„The Slaughter“ Teil 4: Das Mädchen, das aus einem fahrenden Zug sprang

Titelbild
Zum 16. Jahrestag des 20. Juli 1999 veröffentlicht EPOCH TIMES Ausschnitte aus „The Slaughter“.Foto: Kevin Frayer / Getty Images
Epoch Times27. Juli 2015

Vor sechzehn Jahren begann in China die Verfolgung von Falun Gong.

Zum Jahrestag der Ereignisse veröffentlicht EPOCH TIMES Ausschnitte aus dem Buch „The Slaughter“ von Ethan Gutman. Das Buch ist einerseits schockierender Zeugenbericht über Chinas geheimen Organhandel in all seinen Ausprägungen, andererseits ein packendes Stück Zeitgeschichte, welches die Verfolgung von Falun Gong in ihrer enormen Dimension, menschlichen Tragik und alltäglichen Routine beschreibt. 

Falun Gong war im China der 90er Jahre eine enorm beliebte Qigong-Praxis und hatte innerhalb von nur sieben Jahren 100 Millionen Anhänger in allen Gesellschaftsschichten gewonnen: Menschen, die am 20. Juli 1999 über Nacht zum Staatsfeind Nr. 1 erklärt wurden, weil sich das Regime durch ihre Anzahl und Unabhängikeit bedroht sah. Im folgenden schildert der Autor, wie Chinas Regime die westlichen Medien einschüchterte und Falun Gong per Propaganda als durchgedrehte Sekte darstellte:

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Ende Oktober brachte die Partei offiziell das Etikett Sekte an. Dreißig lokale Praktizierende in Peking reagierten, indem sie an einem geheimen Ort eine Pressekonferenz für westliche Journalisten abhielten.

Eine Praktikantin von AP wurde vor laufender Kamera interviewt und zeigte Sympathie für die Notlage von Falun Gong. Daraufhin wurde sie gefeuert. Tatsächlich war es so, dass alle westlichen Berichte über die Falun Gong-Krise entweder sorgfältig balanciert waren und es ihnen an Tiefe fehlte, sodass sie raffiniert dafür benutzt wurden, um die wilden Vorwürfe der chinesischen Regierung zu legitimieren; oder – wie im Fall von Enthüllungsjournalisten wie John Pomfret von der Washington Post oder Ian Johnson vom Wall Street Journal – sie wurden ganz einfach im Internet blockiert und buchstäblich mit Scheren aus den Druckversionen der in chinesischen Hotels verkauften Ausgaben herausgeschnitten. Ohne Angst vor westlichem Widerspruch haben zu müssen war die Bahn für chinesische Medien frei, aussagekräftige Bilder von Leichnamen und Begräbnissen mit frisierten Aussagen von Li Hongzhi und seinen übereifrigen Anhängern zu mischen, um ein Bild von einer Sekte zu zeichnen, die Amok lief.

Doch etwas schien auch im chinesischen Sicherheitsdienst Amok zu laufen. Als erstes war da Mitte August der Fall von Chen Ying, einer High School-Schülerin im ersten Jahr. Da Chen an Komplikationen starb, nachdem sie von einem fahrenden Zug gesprungen war, nutzte CCTV die Chance, ihren Tod als typischen Falun-Gong-macht-dich-verrückt-Selbstmord darzustellen.

Chen Ying.Chen Ying.Foto: Minghui

Chen war Ende Juli, kurz nach dem harten Durchgreifen der Polizei, nach Peking gegangen, um dort ein Bittgesuch einzureichen. Sie wurde gefasst, doch sie entkam ihrer Polizeibewachung. Dann wurde sie erneut gefasst, formell verhaftet und diesmal im Gewahrsam ordentlich verprügelt. Irgendwie entkam sie wieder. Ein weiteres Mal identifiziert und verhaftet, eskortierte die Polizei sie diesmal zurück in ihre Heimatprovinz Heilongjiang. Doch diesmal konnte sie in einer Zugstation entkommen. Nach wochenlangem Katz-und-Maus- Spiel wurde sie nun zum vierten Mal in Peking verhaftet und befand sich am frühen Nachmittag des 16. August wieder in einem Zug zurück.

Sie fragte die Polizeiwachen um Erlaubnis, die Toilette benutzen zu dürfen. „Okay, aber lass die Tür offen!“, wurde ihr gesagt. Minuten später entdeckte die Polizei, dass sie aus dem Fenster gesprungen war. Als sie gefunden wurde, meinten die ortsansässigen Ärzte, dass Chens hoffnungsloser Zustand es rechtfertige, ihre Sauerstoffzufuhr abzubrechen. Wir werden Chens körperlichen Zustand nie erfahren. Doch ein Punkt ist in jedem Fall intuitiv offensichtlich: aus einem fahrenden Zug zu springen ist gefährlich, aber man kann es überleben. Chens Sprung war nicht als Selbstmord gedacht, sondern als ihre vierte Flucht. Diesmal ging sie furchtbar schief.

Eine Reihe von ebenso verdächtigen Todesfällen folgte: Am 11. September wurde Dong Buyun, eine Grundschullehrerin aus Shandong, in Peking verhaftet und in einem Schulgebäude festgehalten. Der Polizei zufolge sprang sie mitten in der Nacht aus dem Fenster und starb infolge des Sprungs. Zwölf Stunden nach dem Vorfall ordnete die Polizei die Einäscherung des Körpers von Dong an. Das betreffende Fenster lag im zweiten Stock.

Zhao Dong, ein siebenundzwanzigjähriger Mann aus der Provinz Heilongjiang, wurde ebenfalls bei den Pekinger Protesten verhaftet. In einem Zug zurück nach Jixin wurde er am 29. September von Polizisten verprügelt. Er sprang aus dem Zug und starb. Sein Leichnam trug noch immer Handschellen.

Am 7. Oktober starb eine fünfzigjährige Frau aus Jinzhou mit Namen Zhu Shaolan in einem Krankenhaus an den Folgen eines viertägigen Hungerstreiks. Sie war verhaftet worden, weil sie einen Bittbrief für Falun Gong unterschrieben hatte.

In der Provinz Shandong wurde eine Bäuerin mittleren Alters namens Zhao Jinhua verhaftet, als sie Ende September auf einem Feld arbeitete. Nach neun Tagen Schlägen, Elektroschocks und Schlafentzug wurde sie am 7. Oktober für tot erklärt (der erste bestätigte Fall von Tod durch Folter).

Und schließlich wurde darüber berichtet, dass ein Mann unbekannten Alters mit Namen Wang Guoping aus der Provinz Jilin am 17. Oktober aus einem Fenster in einem Gefangenenlager in Peking sprang. Auf Minghui wurde auch beschrieben, dass er gefoltert und sein Kopf in eine Toilette gedrückt worden war.

Am 25. April 1999 hatte die Partei die Größe von Falun Gong als Bumerang gegen die Bewegung verwendet. Nach dem Verbot hatte Falun Gong zumindest einen geringen Anteil seiner Größe zur Anwendung gebracht; dreitausend Praktizierende waren in Peking im Oktober beim Petitionieren verhaftet worden.

Als der November kam, gab es nach Falun Gong-Zählung sechs tote Praktizierende (der chinesische Staat zählte nur drei: zwei starben eines natürlichen Todes und Chen durch Selbstmord). Selbst wenn man bedenkt, dass die Informationen rund um diese Todesfälle im besten Fall nicht vollständig waren, zeigt sich klar: Das, was Falun Gong als „die Verfolgung“ zu bezeichnen begann, war in eine neue, giftigere Phase eingetreten. Ein kalter Schauer lief durch die mittlerweile fragmentierte Praktizierenden-Gemeinde. Diejenigen mit einem Pass flohen nach Hongkong, Taiwan, Australien und Amerika, oder dachten stark darüber nach. Die überwiegende Mehrheit der gelegentlich praktizierenden hörte einfach auf und vermied jegliche Verbindung zu Falun Gong. Bis Weihnachten hatte das Büro 610 die Praktizierenden auf die Matte geworfen, und es schien, als ob Falun Gong keine Massenbewegung mehr wäre.

Die übriggebliebenen Praktizierenden, umgeben von einer Welt, die sie scheinbar zurückgewiesen hatte, waren mit einer Art von emotionaler Einzelhaft konfrontiert.

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Enthüllungsjournalist Ethan Gutmann recherchierte 7 Jahre lang im Alleingang über Chinas blutiges Transplantations-Business und die Verfolung von Falun Gong.Enthüllungsjournalist Ethan Gutmann recherchierte 7 Jahre lang im Alleingang über Chinas blutiges Transplantations-Business und die Verfolung von Falun Gong.Foto: Florian Godovits

Sieben Jahre Recherche und Interviews mit über 100 Zeugen stecken in Ethan Gutmans Dokumentation "The Slaughter: Massenmorde, Organraub und Chinas geheime Lösung für sein Dissidenten-Problem“. Gutmann ist US-Amerikaner jüdischer Abstammung und interviewte sowohl Täter wie Opfer. Ihm gelang eine schonungslose Bestandsaufnahme ohne moralischen Zeigefinger.

Weitere Auszüge aus „The Slaughter“ werden in den nächsten Tagen folgen!

Buchinfo:

Ethan Gutmann

The Slaughter. Massenmorde, Organraub und Chinas geheime Lösung für sein Dissidentenproblem“

448 Seiten, Deutsch von Florian Godovits.

Erschienen 2015 im GoodSpirit Verlag.

Als E-Book für 8,95 Euro und als Taschenbuch für 17,95 Euro erhältlich bei Amazon.

ISBN-10: 3862391051



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