Grabstein – Wie Mao sein eigenes Volk umbrachte

Titelbild
Múbei – das chinesische Wort für Grabstein – steht für die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas.Foto: S. Fischer Verlag
Von 11. Juli 2012

 

In seinem Wahn, mit völlig untauglichen Methoden China zur Wirtschaftsmacht umzuwandeln und zugleich den Kommunismus rasch zu verwirklichen, ließ sich Mao Zedong von den sowjetischen Propagandamärchen um den Scheinwissenschaftler Trofim Denissowitsch Lyssenko beeindrucken, dessen Theorie zufolge sozialistische Ideologie naturwissenschaftliche Gesetze verändern sollte.

Ende 1949 hatte Mao seine „Volks“-republik ausgerufen, das Volk hingegen, ja nicht einmal die Kommunistische Partei Chinas, ließ sich nicht für seine wahnwitzigen Vorstellungen erwärmen. Um jegliche Opposition zu unterdrücken und seine Version von Sozialismus umzusetzen, verordnete er die Unterdrückung von „Rechtsabweichlern“ und die völlige Kollektivierung.

Davon handelt das Werk des Journalisten Yang Jisheng, der seinem in dieser Zeit verhungerten Vater einen literarischen Grabstein setzen möchte. Das Buch heißt denn auch: Grabstein – Múbei und ist bei S. Fischer erschienen. Durch Jahrzehnte währende Recherchen konnte Yang alle Mosaiksteine durch unzählige Interviews, Archivstudien und den Abgleich mit Presseartikeln und Buchpublikationen erhalten. Sein Resultat: Es war Mao, auf dessen Befehl hin über 36 Millionen Menschen verhungerten oder durch Hunger geschwächt Krankheiten zum Opfer fielen.

Maos „Nachhilfe in demokratischer Revolution“ in den Jahren 1958 bis 1962 für das chinesische Volk waren geprägt durch zwei Begriffe, nämlich die „Drei Roten Banner“ und der „Große Sprung nach vorn“, unter denen die totale Herrschaft und die Entrechtung von über einer halben Milliarde Menschen umgesetzt wurden.

Unter den Drei Roten Bannern verstand Mao erstens die Generallinie der Partei für den sozialistischen Aufbau in Industrie und Agrarproduktion, wobei traditionelle und moderne Produktionsmethoden zum Einsatz kommen sollten, zweitens die Mobilisierung der ‚Massen’ mittels arbeitsintensiver Produktion und drittens die Kollektivierung der Landwirtschaft. Begrifflich waren die roten Banner der Sowjetunion entlehnt, hatten inzwischen aber unter Mao eine trennende Funktion zu den als Revisionisten geschmähten Genossen.

Mit dem Großen Sprung nach vorn sollte Punkt zwei der Drei Roten Banner verwirklicht werden. Großmäulig kündigte Mao an, in 15 Jahren werde man die Wirtschaft Großbritanniens überholt haben. Für den Aufschwung benötigte die Wirtschaft Stahl. Es fehlten aber Devisen, um Stahl, Erze und Energieträger einzukaufen. Hochöfen waren gleichfalls nicht verfügbar. Dies war für Mao Zedong jedoch kein Problem. Im ganzen Land baute man Hochöfen. Behausungen wurden eingerissen, um aus den Tonziegeln Brennkammern zu errichten. Lehmziegel dienten dem gleichen Zweck. In dicht bevölkerten Städten, in abgelegen Dörfern und selbst in Gefängnishöfen rauchten die Schlote.

Waren im September 1958 nur 14 Prozent von Chinas Stahloutput aus kleinen Öfen, so betrug ihr Anteil einen Monat später 49 Prozent. Hierfür wurde die gesamte Kohle verbraucht. Als der Nachschub aus den Bergwerken, wo man rund um die Uhr wie ein Sklave malochte, der Nachfrage nicht nachkam, wurden Dachstühle, Möbel, Haustüren, Gebrauchsgegenstände und anderes Holz ins Feuer geworfen. Da mittlerweile Obst als unnützes, bourgeoises Lebensmittel verpönt war, erachtete man Apfel-, Pfirsich- oder Orangenbäume nur noch als Brennmaterial, das Privateigentum wurde abgeschafft.

Auch die Stütze der chinesischen Kultur, die Familie, hatte keine Bedeutung mehr. Kollektive und Volkskommunen hatten das gesamte Leben zu prägen. Gemeinschaftsküchen, Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen, Sanitätsstationen und Beerdigungseinrichtungen ersetzten die Familie. So war es denn auch logisch, dass bäuerliche Haushalte ihre Küchen zu zerstören hatten. Löffel, Pfannen und Brennholz waren ohnehin schon der Produktion zum Opfer gefallen.

Maos Apparat konnte seine Bürger beim Frühstück, beim Mittag- und Abendessen, bei der Arbeit und bei den abendlichen Indoktrinierungen rund um die Uhr überwachen. Der Mensch war stets in der Öffentlichkeit, selbst in der Gemeinschaftstoilette.

Die Hungerkatastrophe – Lesen Sie weiter auf Seite 2

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Die Hungerkatastrophe

Für militärische Zwecke tauschte Mao ab 1958 Lebensmittel gegen ausländische Rüstungsgüter. Als nach den befohlenen, aber völlig ungeeigneten Produktionsmethoden das gewonnene Industriegut nichts weiter als minderwertigen Eisenschrott darstellte und zu allem Elend Missernten folgten, war der Zusammenbruch der Wirtschaft unaufhaltsam. Mao hätte spätestens dann die einbehaltenen Nahrungsmittel wieder ausgeben können. Doch er entschied sich für die Katastrophe.

Wohl wissend, dass sein Volk hungerte, ließ er verkünden, der Große Vorsitzende esse kein Fleisch mehr, doch waren die raffinierten Küchenrezepte seines Leibkochs eines Kaisers würdig. Hierzu gehörten gedämpfter Fischpudding, Mandarinfisch, Hummer und – natürlich Fleisch! Indes kam es zu lokalen Aufständen, Plünderungen und verzweifelten Versuchen, durch Mundraub Leben zu retten.

Grafiken und Tabellen ergänzen die Ausführungen. So etwa zeigt die Bevölkerungspyramide tiefe Einschnitte, welche darauf zurückzuführen sind, dass in den Jahren 1958 bis 1962 dramatische Geburtenrückgänge zu verzeichnen waren und Menschen in Höhe mehrerer Zehnmillionen durch unnatürliche Weise ums Leben kamen.

Yangs Resümee lautet, Mao sei der letzte Kaiser gewesen und habe sich auch so gefühlt. Aber er war ein schlechter Kaiser. Für Mao habe die Despotie, die Tyrannei und der Terror dazugehört. Maos nominelle Demokratie sei folglich eine Despotie gewesen.

Es muss betont werden, dass Yangs Schilderungen äußerst zurückhaltend sind. Um dem Vorwurf der Übertreibung zu begegnen, entschied er sich für eine schlichte Sprache und eine äußerst konservative Darlegung der Opferzahlen. Andere Autoren, wie der Wissenschaftler Frank Dikötter, kommen zu weit höheren Zahlen – bis zu 46 Millionen Toten!

Zurück zu den Grabsteinen: selbst diese wurden den Toten nicht gegönnt. Friedhöfe wurden geräumt, und die Steine zum Häuserbau verwendet. Múbei – das chinesische Wort für Grabstein – steht für die Geschichte der Kommunistischen Partei Chinas.

Der Autor dieser Rezension, Dr. Thomas Weyrauch, beobachtet seit seinem beruflichen Aufenthalt in China 1989-1990 mit vertieftem Interesse die politische Entwicklung in dem Land, das ihm noch immer nahe steht. Seine erste Arbeit über die Menschenrechte in China schrieb der Jurist Weyrauch im Jahr 1983. Es folgten mehrere Bücher, erschienen im Longtai-Verlag.

 

Cover: S. Fischer VerlagCover: S. Fischer Verlag

Yang Jisheng: Grabstein – Múbei.

Die große chinesische Hungerkatastrophe 1958 – 1962.

Aus dem Chinesischen von Hans Peter Hoffmann

Frankfurt (S. Fischer Verlag) 2012

ISBN: 978-3-10-080023-7

792 Seiten, 28,00 Euro

 



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