Merkel wird in China das Autorenpaar eines staatlich verbotenen Buches empfangen

Von 22. Mai 2006

Bundeskanzlerin Angela Merkel wird während ihres ersten Chinabesuchs als Kanzlerin die Autoren des Buches „Untersuchung zur Lage der chinesischen Bauern“ (Zhongguo Nongmin Diaocha) empfangen. Der vorgesehene Empfang wird am Abend des 22. Mai in der Deutschen Botschaft in Peking stattfinden.

Das Ehepaar Wu Chuntao und Chen Guidi hat die Lebenswirklichkeit der chinesischen Bauern, ihre Verarmung, ihre Rechtlosigkeit, ihre Unterdrückung und Demütigung durch die allseitige Korruption und die omnipotente Macht im Zusammenspiel von Partei, Justiz und Medien, und ihre Widerstandsversuche gegen Beamtentyrannei und Ausbeutung in diesem Buch dargestellt. Im Jahr 2004 hat das Autorenpaar für das Buch den mit 50.000 Euro dotierten ersten Preis des Lettre Ulysses Weltpreises für literarische Reportage (Lettre Ulysses Award for the Art of Reportage) gewonnen. Das Buch ist seit 2004 in China verboten.

Der Lettre Ulysses Award ist der erste und bislang einzige Weltpreis für Reportageliteratur. Er wird jährlich vergeben für die besten literarischen Reportagen der Welt, die in den vorangegangenen zwei Jahren veröffentlicht worden sind. Zugleich ist er der höchstdotierte und der einzige internationale Literaturpreis der deutschen Hauptstadt Berlin.

Eine neue diplomatische Tradition

Der geplante Empfang des Ehepaars wird von chinesischen Menschenrechtlern sehr begrüßt. Der ehemalige Professor für Publizistik an der Pekinger Universität Jiao Guobiao äußerte sich anerkennend, dass dies nicht nur eine große Ermutigung für die ständig wachsenden Kräfte der Bürgerrechtsbewegung sei, sondern auch eine neue diplomatische Tradition eröffne.

Professor Jiao ist wegen seiner kritischen Artikel gegen das politische System beim kommunistischen Regime nicht gerade beliebt. Aufgrund seines Artikels „Abschaffung des Propagandaministeriums“ verlor er seine Stelle an der Universität Peking. Im Interview mit der Zentralen Nachrichtenagentur Taiwans sagte er, dass der amerikanische Präsident Bush neulich drei Christen aus der Untergrundkirche Chinas öffentlich empfangen habe und jetzt wird die deutsche Bundeskanzlerin das Autorenpaar, das die schwerwiegenden Bauerprobleme in China aufgedeckt hat, empfangen. Dies zeige, dass die westlichen Länder angefangen hätten, die Nicht-Regierungskräfte der chinesischen Gesellschaft anzuerkennen. Sie änderten ihre bisherige Gewohnheit, mit China Geschäfte zu machen, ohne auf die Menschenrechte zu achten.

Jiao äußerte dem Journalisten gegenüber seine Hoffnung, dass die Regierenden aus westlichen Ländern in Zukunft auch Vertreter von Petitionssuchenden, Menschenrechtsanwälte und Falun Gong-Praktizierende empfangen werden. Das setzt gegenüber dem Regime nicht nur ein Zeichen, auf die Menschenrechte zu achten, sondern schützt das auch unmittelbar die Sicherheit von solchen Menschen.

Über das Buch „Untersuchung zur Lage der chinesischen Bauern“

2001 begann das Ehepaar Wu Chuntao und Chen Guidi die Arbeit an dieser großen literarischen Reportage: „Untersuchung zur Lage der chinesischen Bauern“. Die Idee zu diesem Projekt reifte zehn Jahre lang, aber erst nach der Geburt ihres Sohnes entschlossen sie sich, den Text in Angriff zu nehmen. Anlass dafür war, dass sie Zeuge davon wurden, wie eine Frau und ihr Kind während der Geburt starben, weil sie zu arm waren, sich eine angemessene medizinische Versorgung zu leisten.

Die Arbeit an der Untersuchung zur Lage der chinesischen Bauern dauerte mehr als drei Jahre und das Ehepaar musste alle seine Ersparnisse aufbrauchen, um das Buch fertig zu stellen. Chen und Wu recherchierten an mehr als 50 Orten in der Provinz Anhui; mehrere Male reisten sie nach Peking, um mit hohen Behördenvertretern zu sprechen, und sie interviewten Tausende von Bauern.

Das Buch handelt von der Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die den ungefähr 900 Millionen chinesischen Bauern aufgezwungenen wurde und die immer noch besteht. Es beschreibt, was die Autoren als Teufelskreis bezeichnen, indem ungerechte Besteuerung und behördliche Willkürakte – die manchmal in extreme Gewalt gegenüber den Bauern ausarten – zur Norm geworden sind.

Ein Vorabdruck des Textes erschien Ende 2003 im Literaturmagazin Dangdai (Modernes Magazin) und wurde in kurzer Zeit in zehn Auflagen über 100.000 Mal verkauft. Dieser Erfolg veranlasste eines der größten Verlagshäuser Chinas, den Verlag für Volksliteratur in Peking, eine Buchfassung davon zu publizieren. In nur einem Monat wurde das Buch mehr als 150.000 Mal verkauft, bevor es im März 2004 durch die chinesischen Behörden überraschend aus dem Vertrieb genommen wurde. Es gelangten daraufhin nur noch Raubkopien in den Umlauf, von denen schätzungsweise sieben Millionen Exemplare in China verkauft worden sind.



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