Objektive Berichterstattung

Von 5. Oktober 2007

1 zu 0,000004313 ist das Verhältnis, mit dem über einen Häftling in Guantanamo im Vergleich zu einem Insassen eines chinesischen Laogai-Arbeitslagers berichtet wird. Allein von der Anzahl der Berichte seit Anfang August 2007 erfährt man über die Vorgänge in diesen Arbeits- und Umerziehungslagern Chinas, in denen nach Schätzungen von Human Rights Watch zwischen vier bis sechs Millionen Menschen sitzen, nur ein Dreißigstel soviel wie über die Geschehnisse in Guantanamo. Allerdings befinden sich in den Laogai knapp 8.000 Mal so viele Menschen wie in Guantanamo. Wenn man also ein Menschenleben als gleichwertig am einen wie am anderen Ende des Globus ansieht, muss also auch diese Komponente in die Berechnungen einfließen.

Das heißt, die Indexzahl „1″ wird vergeben für Guantanomo mit 647 Inhaftierten (Stand April 2006) und 90 Berichten in den deutschsprachigen Diensten der dpa, AP und Reuters seit Anfang August. Statistisch gesehen: ein Bericht für etwas mehr als sieben Häftlinge. Für fünf Millionen Gefangene in China ergibt sich bei drei Berichten (mehr waren es nicht) eine statistische Berichtszahl von einem Bericht für 1,667 Millionen Häftlinge; oder eben die „Objektivitäts“-Indexzahl von 0,000004313. Ein Gefangener in Guantanamo ist für die Medien also mehr als 230.000 Mal so interessant wie ein chinesischer Arbeitslager-Insasse.

Bei der Frequenz, mit der Auslandsjournalisten derzeit ins Reich der Mitte gekarrt werden, sollte man annehmen, dass sich der eine oder andere auch ein Herz bzw. seine Feder nimmt, um diese heiklen Themen aufzugreifen. Doch leider sieht die Realität anders aus. Natürlich, von sich aus werden Chinas offizielle Vertreter keine Sightseeing-Touren durch die Arbeitslager Pekings und Shanghais anbieten. Da muss man schon die Opfer befragen, die es dank glücklicher Fügung bis nach Deutschland geschafft haben. Doch offensichtlich gilt für den Großteil der westlichen Schreiber das Prinzip „Augen zu und durch“, noch einen Reiswein vielleicht, und dann – man ist „gutel Fleund, nicht wahl“?

Wenn sich der derzeitige Trend bei der Berichterstattung fortsetzt, wird wohl nichts aus der Hoffnung vieler Leser auf „objektive Berichterstattung“ aus China, auch nicht während Olympia 2008. „Die Wahrheit ist eine Tochter der Zeit“, sagte schon Friedrich Schiller. Für die Olympischen Spiele 1936 trifft dies hundertprozentig zu – auch damals sah die Weltöffentlichkeit ob wirtschaftlicher Interessen über das bereits bestehende Lager Dachau hinweg, auch damals wurden die Spiele unter aller Augen für Propagandazwecke missbraucht. Zeit, mit der Mutter der Wahrheit einmal ein ernstes Wort zu reden…

(Text erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 7, Seite 1)



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