Sprachlos vor dem Frühstück

Das Leben im Asylaufnahmelager erscheint den Wartenden wie von einer anderen Welt
Von 4. April 2007

„Als wir noch in China waren, haben wir nie an die möglichen Probleme des Lebens im Ausland gedacht. Denn wir wollten nur der Festnahme entkommen und konzentrierten uns ganz auf unsere Sicherheit. In Deutschland, wo wir uns um die Sicherheit kaum sorgen mussten, kamen uns die Probleme mit dem Essen, der Kommunikation mit den Menschen und dem Benutzen öffentlicher Verkehrsmittel plötzlich ungeheuer vor“, erinnert sich Rong an seine ersten Tage im Asylaufnahmelager.

Rong starrte auf das Frühstück auf einem Tisch in der Kantine des Asylaufnahmelagers in Karlsruhe. Vor seinen Augen standen eine Tasse Milch, ein Brötchen, Butter, Marmelade, dazu Gabel, Messer … ein ganz gewöhnliches deutsches Frühstück. Der schlanke, zierliche Chinese sah Qiong, seine Frau an, die neben ihm saß und ebenfalls auf das Frühstück starrte, als ob sie nicht wusste, womit sie anfangen sollte. Verzweifelt fragte er sie: „Wie kann man so was runterkriegen?“

{R:1}Es war das erste Frühstück der beiden in Deutschland. Sie haben kaum etwas davon angerührt. Nur drei Tage zuvor hatten sie zum Frühstück noch heiße Reissuppe, Baozi, eine Art Hefeteig mit Füllung aus Fleisch und Gemüse, dazu gedämpftes Brot und eingelegtes Gemüse gegessen, warm, ohne süße Speisen, ohne Milchprodukte, und natürlich mit Stäbchen. So hatten sich Rong schon als Dorfbewohner in der südchinesischen Provinz Yunnan 32 Jahre lang und Qiong 29 Jahre lang ernährt. Nie hatte er gedacht, dass er einst das gänzlich andere Essen der „Langnasen“ zu sich nehmen müsste.

Flucht von China nach Deutschland

In der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2004 kamen Rong und Qiong auf dem Frankfurter Flughafen an. Sie flüchteten vor der Verfolgung in China. Vom Dezember 1999 bis August 2002 wurde Rong dort ohne jegliche schriftliche Anordnung zuerst in ein Untersuchungsgefängnis und danach ohne Gerichtsverfahren in ein Arbeitslager geschickt, wo er verprügelt, mit Füssen getreten und gezwungen wurde, tagelang in einem kleinen Metallkäfig zu hocken. Für all das gab die Polizei bei der Festnahme nur eine mündliche Erklärung ab: Rong werde beschuldigt, „Falun-Gong-Übungsaktivitäten organisiert zu haben“. Damit war gemeint, dass er jeden Morgen zusammen mit ein paar anderen Mitbewohnern des Dorfes im Freien Falun-Gong-Übungen gemacht hatte, fünf langsame Übungen, die Tai-Chi-Chuan-Übungen ähnlich sehen. Nach drei Prinzipien versuchen Rong und andere Falun-Gong-Anhänger im Alltag zu leben: Wahrhaftigkeit, Barmherzigkeit und Nachsicht. „Ich möchte durch Falun-Gong doch nur ein besserer Mensch werden, sowohl körperlich als auch geistig. Das habe ich in den letzten neuneinhalb Jahren auch verwirklicht. Aber die Kommunistische Partei erlaubt das nicht, nur weil zu viele Menschen Falun-Gong praktizieren. 70 Millionen bis 100 Millionen, das sind mehr als die Kommunistische Partei Chinas Mitglieder hat.“

Im August 2002 gelang es Rong, in einem offenen Müllwagen versteckt, aus dem Arbeitslager zu entkommen. Seitdem waren Rong und seine Frau auf der Flucht. Als sie merkten, dass die Polizei ihnen auf der Spur war, sahen sie sich gezwungen, China zu verlassen.

„Wie gelähmt, taub, stumm und blind“ in Deutschland

Das Leben in einem Land, wo fast nur Deutsch gesprochen wird, war für Rong und seine Frau ein Sprung ins kalte Wasser. „Als ich in Deutschland angekommen war, dachte ich am Anfang oft, dass sogar ein zweijähriges deutsches Kind besser zurecht kommt als ich. Es kann nicht alleine mit dem Bus fahren, ich auch nicht. Es kann nichts im Supermarkt kaufen, ich auch nicht. In unserem Dorf gab es ja keine Supermärkte. Es kennt die Zeichen auf den Schildern auf der Strasse nicht, ich auch nicht. Ich kann nicht ausdrücken, was ich essen will, das aber kann ein Kind immerhin. Oft haben wir eine Chinesin zum Dolmetschen angerufen, mal ging es um das monatliche Sozialgeld oder die Putzarbeit in dem Asylheim, mal um einen Arzttermin oder die Ausweisausstellung“, blickt Rong zurück.

„Ich war plötzlich wie gelähmt, taub, stumm und blind geworden. Dieses Gefühl kann sich jemand, der so etwas nie am eigenen Leib erlebt hat, schwer vorstellen“, seufzt Rong. Der Deutschunterricht begann schon im Asyllager in Wiesloch bei Heidelberg, wohin Rong und Qiong im Juni 2004 von Karlsruhe aus verlegt wurden. Zwei Stunden Deutschunterricht am Mittwochmittag. „Stell dir mal vor, nur zwei Stunden wöchentlich. Da kommen verschiedene Menschen zusammen, von denen der eine gerade eben nach Deutschland gekommen ist und gar nichts versteht, der andere ist schon ein paar Jahre hier und kann sich schon einigermaßen verständigen. Der Lehrer richtet sich nach denen, die schon länger in Deutschland leben. Deshalb war es für uns, die Neuankömmlinge, sehr schwierig. Aber anders ging es auch nicht. Es wäre doch auch nicht richtig gewesen, wenn der Lehrer sich nach uns gerichtet hätte. So oder so war es nicht zufriedenstellend.“ Rong schüttelt den Kopf.

Erst ein Jahr später, nachdem sie den Asylstatus bekommen haben, haben sie richtig angefangen, Deutsch zu lernen: ein paar Stunden vormittags in einer kleineren Gruppe mit über zehn anderen Asylanten an der Volksschule in Heidelberg. Für Chinesen, die nur Chinesisch beherrschen, ist eine westliche Sprache eine ganz andere Welt: Von der Grammatik bis zur Aussprache, von der Denkweise bis zur Körpersprache. Um sich jedoch so schnell wie möglich in die deutsche Gesellschaft integrieren zu können, gaben sich Rong und Qiong große Mühe. Trotz der auch heute noch in China auf dem Land üblichen nur fünf Jahre währenden Grundschulbildung, wurden sie nach ein paar Wochen die besten Schüler in der Gruppe.

Wer keinen Asylstatus hat, und dazu zählen über 90 Prozent der chinesischen Asylsuchenden, hat keinen Anspruch auf Deutschunterricht. Sie lernen im Allgemeinen ein wenig beim Umgang mit Deutschen und bleiben doch auch nach zehn, zwanzig Jahren noch halb gelähmt, halb taub, halb stumm und halb blind.

Umgang mit Menschen im Asyllager

„Mit den meisten Bewohnern dort kamen wir gut zurecht. Nur ein paar waren oft schlechter Laune und wollten immer streiten, wobei ich manchmal auch nicht wusste warum. Ich konnte ja nicht so gut Deutsch.“ Unter den Bewohnern dort waren Chinesen, Vietnamesen, Iraner, Schwarzafrikaner … verschiedene Sitten, Gebräuche und Wohngewohnheiten kamen zusammen.

„Die Schwarzafrikaner hören oft laute und starke Musik. Wir aus China und Vietnam sind eher leise. Wir Asiaten essen mehr Gemüse und Reis als die anderen. Sie aber brauchten mehr Zucker für Kaffee, Tee und sogar für das Kochen. So gaben wir ihnen oft unseren Zucker weiter, den wir vom Asylheim bekamen, aber nicht verbrauchen konnten. Ein gewisser Austausch war schon trotz der Sprachbarriere immer da“, erinnert sich Rong.

Auf die Frage, was Rong im Asyllager am stärksten beeindruckt hat, antwortet er sofort, „dass wir ein Fahrrad geschenkt bekommen haben“. „Der Innenhof des Asyllagers war oft schmutzig von den Kinderspielen und im Herbst haben viele Blätter den Boden bedeckt. So haben wir dem Hausmeister geholfen, den Innenhof zu kehren. Wir haben sowieso nichts zu tun gehabt, wir durften ja ohne Asylstatus nicht arbeiten. Nach einer nächtlichen Party war der Hof einmal besonders dreckig. Wir brauchten zwei Tage, ihn wieder in Ordnung zu bringen, dafür hat uns der Hausmeister ein Fahrrad geschenkt, das eine Wohltätigkeitsorganisation gespendet hatte.“ Mit diesem Fahrrad wurde der Bewegungsradius von Rong und seiner Frau plötzlich viel größer. Denn von ihren 40 Euro monatlichem Sozialgeld, wovon fast die Hälfte für zusätzliches Gemüse ausgegeben wurde, hatten sie sich Bus- und Zugfahrten nicht leisten können.

„Ich habe ab und zu von anderen Chinesen gehört, dass manch ein Aufseher in einem Asylheim gegenüber den Asylsuchenden besonders respektlos ist. Aber wir hatten das Glück, immer nette Asylheimmitarbeiter getroffen zu haben“, äußert sich Rong zufrieden.

{R:2}Dankbarkeit trotz allem

„Die zwei Jahre im Asylheim waren nicht leicht. Langeweile, Einsamkeit, Sorgen um unser Asylverfahren, Angst vor einer Abschiebung nach China, Konflikte mit anderen … man kann hier nur das Lebensnotwendige haben. Bei manchen Asylaufsehern gibt es ja auch Vorurteile gegenüber Chinesen, was mich auch nicht glücklich machte. Aber trotz allem haben wir hier in Deutschland einen sicheren Ort gefunden.“ Rong denkt an das kleine Zimmer mit acht, neun Quadratmetern im Asylheim in Wiesloch. Er und Qiong wohnten dort bis zum März 2006.

Das Zimmer war zwar klein, aber Rong konnte darin bei geöffneter Tür meditieren, was er sich in China nicht trauen konnte. „Auch Info-Materialien zur Aufdeckung der brutalen Verfolgung von Falun-Gong in China darf ich hier in Deutschland auf der Strasse verteilen. Das könnte man in China nur im Geheimen machen. In diesem Sinne bin ich der deutschen Regierung wirklich dankbar“, meint Rong mit Blick zurück auf seine schlimmen Tage im Arbeitslager in China.

Nur diejenigen, denen der Asylstatus zugestanden wird, bekommen eine Arbeitserlaubnis. Sich endlich wieder selbst ernähren können, war schon immer Rongs Wunsch: „Ich bin erst 35 und kann arbeiten. Außerdem hat die deutsche Regierung schon vieles für uns getan, nun sollten wir doch nach unserer Möglichkeit selbstständig werden.“ Wegen der Sprachbarriere können sie zunächst nur entweder in der Küche eines Cafés oder als Aushilfe in einem China-Restaurant arbeiten.

„Vielleicht machen wir später einen Suschi-Laden auf. Einige Vorbereitungen habe ich schon getroffen.“ Rong und Qiong haben hier schon Fuß gefasst. Das ist bereits an ihrer Sprache zu erkennen: fließendes muttersprachliches Chinesisch, unter das sich unbeabsichtigt ab und zu ein deutsches Wort mischt.



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