Abendphantasie – Von Friedrich Hölderlin

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
O dorthin nehmt mich purpurne Wolken! und möge droben in Licht und Luft zerrinnen mir Lieb' und Leid! –Foto: iStock
Epoch Times12. September 2018

Abendphantasie

Vor seiner Hütte ruhig im Schatten sitzt

Der Pflüger, dem Genügsamen raucht sein Herd.

Gastfreundlich tönt dem Wanderer im

Friedlichen Dorfe die Abendglocke.

Wohl kehren jetzt die Schiffer zum Hafen auch,

In fernen Städten, fröhlich verrauscht des Markts

Geschäft’ger Lärm; in stiller Laube

Glänzt das gesellige Mahl den Freunden.

Wohin denn ich? Es leben die Sterblichen

Von Lohn und Arbeit; wechselnd in Müh‘ und Ruh‘

Ist alles freudig; warum schläft denn

Nimmer nur mir in der Brust der Stachel?

Am Abendhimmel blühet ein Frühling auf;

Unzählig blühn die Rosen und ruhig scheint

Die goldne Welt; o dorthin nehmt mich

Purpurne Wolken! und möge droben

In Licht und Luft zerrinnen mir Lieb‘ und Leid! –

Doch, wie verscheucht von törichter Bitte, flieht

Der Zauber; dunkel wird’s und einsam

Unter dem Himmel, wie immer, bin ich –

Komm du nun, sanfter Schlummer! zu viel begehrt

Das Herz; doch endlich, Jugend! verglühst du ja,

Du ruhelose, träumerische!

Friedlich und heiter ist dann das Alter.

Friedrich Hölderlin  (1770 – 1843)



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