Berlinale-Finale: Das deutsche Kino darf hoffen

Die Filmfestspiele in Berlin sind kein Kuschelfest. Die Leinwand zeigt Familienunglück, Kindesmissbrauch und einen Serienmörder. Bei der Preisverleihung ist eine deutsche Überraschung möglich.
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Angela Schanelec hat mit «Ich war zuhause, aber» eine rätselhafte Ballade gedreht.Foto: Gregor Fischer//dpa
Epoch Times15. Februar 2019

Mit einem trotzigen Satz hat Regisseurin Angela Schanelec vielleicht beschrieben, was viele Filme der Berlinale in diesem Jahr ausmacht.

„Ich werde das ganz bestimmt nicht interpretieren“, sagte die Deutsche diese Woche zu ihrem Familiendrama „Ich war zuhause, aber“. Tatsächlich stellen mehrere der 16 Wettbewerbsfilme das Publikum vor ein Rätsel.

Wenn am Samstagabend die Auszeichnungen in Berlin vergeben werden, gehen etliche undurchsichtige Geschichten ins Rennen. In „Öndög“ tanzt ein Polizist neben einer Leiche durch die mongolische Steppe, in „Ghost Town Anthology“ erscheinen Tote im kanadischen Schnee und bei Schanelec versteht man erstmal gar nichts.

Die Berlinale – neben Cannes und Venedig eines der wichtigsten Filmfestivals der Welt – steht diesmal unter dem Gedanken „Das Private ist politisch“. Das zeigen viele Filme, die „Mr. Berlinale“ Dieter Kosslick ausgesucht hat. Der scheidende Direktor führt nach 18 Jahren zum letzten Mal über den roten Teppich.

In zehn Festivaltagen wurde viel über den Streamingdienst Netflix, den Protest der Kinobetreiber und die Absage eines chinesischen Beitrags geredet. Nun werden die Preise verliehen. Im Wettbewerb sind zwar einige bekannte Namen dabei, etwa Fatih Akin mit seinem Serienmörderporträt „Der Goldene Handschuh“ und François Ozon mit „Gelobt sei Gott“ über den Missbrauch in der katholischen Kirche.

Als Favoriten gelten aber andere. Ein hoch gehandelter Kandidat für den Goldenen Bären ist „So Long, My Son“. Der chinesische Regisseur Wang Xiaoshuai gewann mit „Beijing Bicycle“ bereits 2001 einen Silbernen Bären. Sein neuer Film zeigt das Leben zweier Paare über 30 Jahre hinweg und spiegelt einfühlsam in mehreren Zeitebenen, was etwa die Ein-Kind-Politik für die Menschen bedeutete.

Gute Chancen dürften auch andere Filme mit starken weiblichen Hauptfiguren haben. Das ist ohnehin auffällig in diesem Jahr: 9 von 16 Wettbewerbsbeiträgen erzählen von ganz unterschiedlichen Frauenschicksalen zwischen Anpassung und Aufbegehren.

Dazu gehört auch „A Tale of Three Sisters“ von Regisseur Emin Alper. Ein archaisches Märchen über drei Schwestern in einem türkischen Bergdorf. Sehr langsam, aber fast magisch erzählt. Außerdem überzeugt darin Kayhan Açikgöz als einfacher Schafhirte, der manche schlechte Entscheidung trifft. Kandidat für einen Bären.

Abräumen könnte auch „Öndög“, vom Chinesen Wang Quan’an in der Mongolei gedreht. Er holte 2007 mit „Tuyas Hochzeit“ den Hauptpreis. „Öndög“ zeigt eine Hirtin, die auf ihre Unabhängigkeit pocht. Chancen hat auch „God Exists, Her Name Is Petrunya“. Die mazedonische Regisseurin Teona Strugar Mitevska zeigt eine Frau, die eher aus Versehen eine Männertradition bricht.

Zwei Überraschungen aber kommen aus dem deutschen Kino. Mit „Systemsprenger“ hat Nora Fingscheidt ihren ersten abendfüllenden Spielfilm vorgelegt. Es ist die Geschichte eines gewalttätigen Mädchens, das von einer Unterbringung in die nächste geschoben wird. Extrem überzeugend: die zehnjährige Darstellerin Helena Zengel.

Ein zweiter deutscher Film führte zu etlichen Kontroversen – und hat vielleicht gerade deswegen gute Chancen. Es ist Angela Schanelecs rätselhafte Ballade um eine alleinerziehende Mutter, zwei Kinder, Shakespeare-Texte und einige Tiere. Wie man den Film deuten kann, lässt die 57-Jährige offen. Manche Zuschauer hassten die nur schwer entschlüsselbare Form, andere lobten sie.

„Spiegel Online“ spricht vom „schönsten und kunstvollsten Film des Wettbewerbs“. Die britische Zeitung „The Guardian“ dagegen schreibt, der Film sei manieriert und undurchsichtig. Die Wut der Hauptfigur (gespielt von Maren Eggert) werde mit unzusammenhängenden Szenen und unpassenden Eseln nicht erklärt. Dem Publikum verlangt der Film einiges ab. Nicht zuletzt wegen sehr langer Kameraeinstellungen.

Denkbar ist Schanelecs Sieg dennoch, denn Jurypräsidentin Juliette Binoche hat als Schauspielerin schon oft ihre Vorliebe für komplizierte Filme bewiesen. Ebenso ihre Mitjurorin Sandra Hüller („Toni Erdmann“). Zudem hat Jurymitglied und MoMa-Filmkurator Rajendra Roy in einem Buch über die sogenannte Berliner Schule seine Liebe zu dieser Art Kino dokumentiert.

Dass auf der Berlinale auch Filme eine Chance haben, die es den Zuschauern schwer machen, hat das Festival erst im Vorjahr gezeigt. 2018 gewann der Experimentalfilm „Touch Me Not“ über Spielarten und Grenzen menschlicher Sexualität. Auch der Film stieß auf ziemlich geteiltes Echo. Ob in diesem Jahr wieder ein umstrittener Kandidat den Goldenen Bären holt, entscheidet nun die Jury. (dpa)

«Systemsprenger» von Nora Fingscheidt erzählt die Geschichte eines gewalttätigen Mädchens (Helena Zengel). Foto: Gregor Fischer



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