Das jüdische Leben kehrt zurück

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Foto: Heike Soleinsky/The Epoch Times
Von 6. August 2010

Ende des 19. Jahrhunderts zogen so viele Juden ins Grindelviertel in Hamburg, dass man es „Klein Jerusalem“ nannte. Rund 20.000 Juden lebten Anfang des 20. Jahrhunderts in der Hansestadt. Nachdem durch die Verfolgung durch die Nazis die Zahl bis 1945 auf wenige Hundert geschrumpft war, kehrt das jüdische Leben allmählich zurück. Das bedeutet nicht, dass einem am Grindelhof ständig Männer mit Kaftan und großen schwarzen Hüten begegnen. Doch der Kiosk am Grindel bietet jüdische Zeitungen an, ein Eiscafe in der Nähe hat auch koscheres Eis und in der Rentzelstraße 13 haben sich gleich drei koschere Geschäfte nebeneinander niedergelassen: Mezada, ein Laden für koscheren Wein, Lechaim, ein Geschäft für koschere Lebensmittel und das koschere Café Fankoni.

„Es war eine Kettenreaktion“, sagt der Inhaber des kleinen Weingschäfts Dr. Ulrich Michael Lohse. „Ich hatte vor einigen Jahren ein ähnliches Geschäft in der Grindelallee, welches ich mit der linken Hand betrieb; ich habe eigentlich einen ganz anderen Beruf.“ Das Geschäft des Doktors der Zahnmedizin erwies sich als ein wirtschaftlicher Flop. Er gab das Geschäft auf und wollte die verbliebenen „paar hundert Weinflaschen“ in einem Onlineshop für koscheren Wein unter die Leute bringen. So schaute er sich nach einem Lagerplatz um. Das „Lager“, das er fand, war der Laden in der Rentzelstraße 13. Da es halt ein Laden ist, versuchte Lohse im April 2009 erneut den direkten Verkauf. „Das wirft zwar keine großen Gewinne ab, aber immerhin auch keine untragbaren Verluste.“ Lohse ermunterte darauf seinen Freund Vladimir Gurevich, es doch mit dem Café zu versuchen. „Dann kam unser Freund Zach, der jetzt das Geschäft für koschere Lebensmittel Lechaim und Geschenkartikel betreibt, das einen Grundbedarf an koscheren Speisen deckt.“

Streng koscher – eine große Herausforderung

Obwohl die jüdische Gemeinde in den letzten Jahren stark angewachsen ist – die große Mehrheit bilden russische Zuwanderer – kämpfen viele Läden, die in Deutschland koschere Waren anbieten, „mit dem Wasser an der Unterlippe“, erzählt Lohse. Koschere Waren sind teuer. Lebensmittel nach den Grundsätzen der Kaschrut (Speisegesetze) herzustellen ist aufwändig und vieles muss von weit gebracht werden, um es hier einem winzigen Klientel anzubieten.

Wenn andere Gaststätten den meisten Umsatz machen, ist das Café Fankoni geschlossen: Von Freitag ab Sonnenuntergang bis Sonnabendabends feiern die Juden Schabbat, den siebenten Tag der Woche, an dem nicht gearbeitet werden darf.Wenn andere Gaststätten den meisten Umsatz machen, ist das Café Fankoni geschlossen: Von Freitag ab Sonnenuntergang bis Sonnabendabends feiern die Juden Schabbat, den siebenten Tag der Woche, an dem nicht gearbeitet werden darf.Foto: Heike Soleinsky/The Epoch Times

Ins Café Fankoni kommen jedoch auch Nicht-Juden gern. „Unser Kunden kommen nicht nur, weil hier hausgemachte und richtig leckere koschere Küche ist“ sagt Gurevich, „auch wegen der ganz netten, familiären Atmosphäre.“ Dennoch ist das Fankoni ausgerechnet immer dann geschlossen, wenn andere Gaststätten den meisten Umsatz machen: schon um 14: Uhr ist im Winter am Freitag Schluss. Von Freitag ab Sonnenuntergang bis Sonnabendabend feiern die Juden Schabbat, den siebenten Tag der Woche, an dem nicht gearbeitet werden darf. Hinzu kommen jüdische Feier- und Fastentage, zusammengerechnet rund zwei weitere Wochen fehlende Arbeitstage. Gurevich arbeitet zusätzlich seit sieben Jahren als Hauswart für die Jüdische Gemeinde. „Ich habe vier Kinder zu Hause. Das Fankoni bringt mehr Stolz und Spaß als Geld.“ Lohse lobt seinen Ladennachbarn: “Das ist alles koscher hier, strengst koscher. das ist eine ganz große Herausforderung. Die meistert Vladimir mit einem Übermaß an Einsatz.“ Der Kaffee, alle Zutaten, jeder Krümel sind koscher. Das Geschirr wurde vor der Benutzung rituell getaucht und alle Mitarbeiter sind Juden. Dass alles koscher ist, wird regelmäßig von zwei Rabbinern überwacht.

Wir sind da

Lohse und Gurevich tragen eine Kippa (jüdische, kleine, runde Kopfbedeckung). Kürzlich wurde mit Lohse diskutiert, ob er so sichtbar mit seiner Kippa auf dem Kopf durchs Viertel laufen sollte. „Ich habe der Person damit geantwortet, was ich hier in den letzten 14 Tagen gesehen habe: Einen Araber mit einem langen, weißen Kaftan, Turban und einer Schleppe, die am Turban herab hing. Eine Frau in Burka. Türkische Frauen mit Kopftüchern. Zwei Sikhs, einer mit einem gelben, der andere mit einem weißen Turban. Heute hatte ich einen Kurierfahrer mit einem rechteckigen Turban hier – sichtbar mit indischer Herkunft, der aber das breiteste Hamburgisch sprach. Und jeden Sonntag pilgert eine Schar von pechschwarzen Jugendlichen an meinem Haus vorbei; frische, junge Leute, die sich im breitesten Hamburgisch miteinander unterhalten. Die Eltern in ihren farbigen, traditionellen Gewändern. – Wenn alle diese Menschen, ihre Ethnien und Religionszugehörigkeiten in der Kleidung manifestieren, warum um alles in der Welt darf ich dann keine Kippa tragen? Und ich glaube, es ist irgendwann auch die Zeit gekommen, da man diese Hemmungen überwinden muss und einfach durch sein Dasein zeigen: wir sind da.“

Ist es ein Bedürfnis, der Hamburger Juden, ihre Religionszugehörigkeit zu zeigen? „Nein, von vielen ist es ein Bedürfnis, nicht erkannt zu werden“, meint Lohse. „Als die Körperschaft vor einigen Jahren die Gemeindesteuer, sprich Kirchensteuer, einführte, sind mehrere Hundert ausgetreten. Deren Hauptmotiv war die Eintragung auf der Steuerkarte, mit der man sie als Jude identifizieren konnte.“

Dazu muss man bedenken, dass die große Mehrheit der Hamburger Juden aus Russland stammt, die den Antisemitismus in der Sowjetunion selbst miterlebten.

Lohse kam erst als reifer Mensch zur Jüdischen Religion, wuchs fast atheistisch auf. Als er sich zum Judentum bekannte, war sein Vater gar nicht froh: „Junge, du kannst machen, was du willst. Es wird dir auf Dauer nie gelingen, es zu verheimlichen.“ Es könnte herauskommen, das war sein einziger Gedanke, denn seine Erfahrungen ließen gar nichts anderes zu. „Ich binde es zwar niemanden auf die Brust“, sagt Lohse, „ich hatte aber gar nicht die Absicht es zu verheimlichen.“

Harmonisches Miteinander

Was sagt die Nachbarschaft zum jüdischen Leben? Es herrsche ein freundliches Einvernehmen, antworten die Juden. „Keine antisemitischen Schmiererein, keine blöden Worte.“„Sie kommen zu uns zum essen.“ Der Antisemitismus nähme weltweit ab. Einen Kern von Antisemiten gäbe es, genauso wie es Hasser von anderen Gruppen gibt.

„In den vielen Jahren, die ich hier lebe, habe ich keine antisemitischen Zumutungen erlebt, obwohl ich ja selbst gut als Jude zu identifizieren bin – und wenn ich zur Synagoge gehe, dann erst richtig: dann habe ich einen großen schwarzen Hut auf und alles.“ Dann ist Lohse schon mehrfach angesprochen, manchmal eher angeflüstert worden: „Sie sind doch Jude …?“ Und dann kommen die Leute mit „wirklich netten Fragen“. Etwa: Was macht denn ein Rabbiner?

Foto: Heike Soleinsky/The Epoch Times


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