Der Dichter – Von Wihelm Busch

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
So auch der Dichter. - Stillbeglückt Hat er sich was zurechtgedrückt und fühlt sich nun in jeder Richtung befriedigt durch die eigne Dichtung.Foto: iStock

Der Dichter

Wie wohl ist dem, der dann und wann

Sich etwas Schönes dichten kann.

Der Mensch, durchtrieben und gescheit,

Bemerkte schon zu alter Zeit,

Daß ihm hienieden allerlei

Verdrießlich und zuwider sei.

Die Freude flieht auf allen Wegen;

Der Ärger kommt uns gern entgegen.

Gar mancher schleicht betrübt umher;

Sein Knopfloch ist so öd und leer.

Für manchen hat ein Mädchen Reiz,

Nur bleibt die Liebe seinerseits.

Doch gibt’s noch mehr Verdrießlichkeiten.

Zum Beispiel läßt sich nicht bestreiten:

Die Sorge, wie man Nahrung findet,

Ist häufig nicht so unbegründet.

Kommt einer dann und fragt: „Wie geht’s?“

Steht man gewöhnlich oder stets

Gewissermaßen peinlich da,

Indem man spricht: „Nun, so lala!“

Und nur der Heuchler lacht vergnüglich

Und gibt zur Antwort: „Ei, vorzüglich!“

Im Durchschnitt ist man kummervoll

Und weiß nicht, was man machen soll. –

Nicht so der Dichter. Kaum mißfällt

Ihm diese altgebackne Welt,

So knetet er aus weicher Kleie

Für sich privatim eine neue

Und zieht als freier Musensohn

In die Poetendimension.

Die fünfte, da die vierte jetzt

Von Geistern ohnehin besetzt.

Hier ist es luftig, duftig schön,

Hier hat er nichts mehr auszustehn,

Hier aus dem mütterlichen Busen

Der ewig wohlgenährten Musen

Rinnt ihm der Stoff beständig neu

In seine saubre Molkerei.

Gleichwie die brave Bauernmutter.

Tagtäglich macht sie frische Butter.

Des Abends spät, des morgens frühe

Zupft sie am Hinterleib der Kühe

Mit kunstgeübten Handgelenken

Und trägt, was kommt, zu kühlen Schränken,

Wo bald ihr Finger, leicht gekrümmt,

Den fetten Rahm, der oben schwimmt,

Beiseite schöpft und so in Masse

Vereint im hohen Butterfasse.

Jetzt mit durchlöchertem Pistille

Bedrängt sie die geschmeidge Fülle.

Es kullert, bullert, quietscht und quatscht,

Wird auf und nieder durchgematscht,

Bis das geplagte Element

Vor Angst in Dick und Dünn sich trennt.

Dies ist der Augenblick der Wonne.

Sie hebt das Dicke aus der Tonne,

Legt’s in die Mulde, flach vom Holz,

Durchknetet es und drückt und rollt’s,

Und sieh, in frommen Händen hält se

Die wohlgeratne Butterwälze.

So auch der Dichter. – Stillbeglückt

Hat er sich was zurechtgedrückt

Und fühlt sich nun in jeder Richtung

Befriedigt durch die eigne Dichtung.

Doch guter Menschen Hauptbestreben

Ist, andern auch was abzugeben.

Dem Dichter, dem sein Fabrikat

Soviel Genuß bereitet hat,

Er sehnt sich sehr, er kann nicht ruhn,

Auch andern damit wohlzutun;

Und muß er sich auch recht bemühn,

Er sucht sich wen und findet ihn;

Und sträubt sich der vor solchen Freuden,

Er kann sein Glück mal nicht vermeiden.

Am Mittelknopfe seiner Weste

Hält ihn der Dichter dringen feste,

Führt ihn beiseit zum guten Zwecke

In eine lauschig stille Ecke,

Und schon erfolgt der Griff, der rasche,

Links in die warme Busentasche,

Und rauschend öffnen sich die Spalten

Des Manuskripts, die viel enthalten.

Die Lippe sprüht, das Auge leuchtet,

Des Lauschers Bart wird angefeuchtet,

Denn nah und warm, wie sanftes Flöten,

Ertönt die Stimme des Poeten. –

„Vortrefflich!“ ruft des Dichters Freund,

Dasselbe, was der Dichter meint;

Und, was er sicher weiß zu glauben,

Darf sich doch jeder wohl erlauben.

Wie schön, wenn dann, was er erdacht,

Empfunden und zurecht gemacht,

Wenn seines Geistes Kunstprodukt,

im Morgenblättchen abgedruckt,

Vom treuen Kolporteur geleitet,

Sich durch die ganze Stadt verbreitet:

Das Wasser kocht. – In jedem Hause,

Hervor aus stiller Schlummerklause,

Eilt neu gestärkt und neu gereinigt,

Froh grüßend, weil aufs neu geeinigt,

Hausvater, Mutter, Jüngling, Mädchen

Zum Frühkaffee mit frischen Brötchen.

Sie alle bitten nach der Reihe

Das Morgenblatt sich aus das neue,

und jeder stutzt und jeder spricht:

„Was für ein reizendes Gedicht!“

Durch die Lorgnetten, durch die Brillen,

Durch weit geöffnete Pupillen,

erst in den Kopf, dann in das Herz,

Dann kreuz und quer und niederwärts

Fließt’s und durchweicht das ganze Wesen

Von denen allen, die es lesen.

Nun lebt in Leib und Seel der Leute,

Umschlossen vom Bezirk der Häute

Und andern warmen Kleidungsstücken,

Der Dichter fort, um zu beglücken,

Bis daß er schließlich abgenützt,

Verklungen oder ausgeschwitzt.

Ein schönes Los! Indessen doch

Das allerschönste blüht ihm noch.

Denn Laura, seine süße Qual,

Sein Himmelstraum, sein Ideal,

Die glühend ihm entgegenfliegt,

Besiegt in seinen Armen liegt,

Sie flüstert schmachtend inniglich:

„Göttlicher Mensch, ich schätze dich!

Und daß du so mein Herz gewannst,

Macht bloß, weil du so dichten kannst!“

Oh, wie beglückt ist doch ein Mann,

Wenn er Gedichte machen kann!

Wilhelm Busch (1832 – 1908)



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