„Der Engel, der Satan fesselt“

Sich nach innen richten: Was traditionelle Kunst dem Herzen bietet
Titelbild
„Der Engel, der den Satan bindet“, um 1797, von Philip James von Loutherbourg. Öl auf Leinwand, 17,75 mal 14,76 Zentimeter. Yale Center for British Art, Connecticut.Foto: Public Domain
Von 23. August 2021

Schließen wir unsere Augen und stellen uns die beste Version unseres Selbst vor. Wie sieht diese für uns aus? Wie würden wir uns verhalten?

Höchstwahrscheinlich haben wir alle eine andere Vorstellung, wenn wir dieses Gedankenexperiment durchführen. Einige von uns stellen sich vielleicht vor, dass wir viel Geld, Ruhm oder Macht haben; wir denken möglicherweise, dass diese Faktoren notwendig sind, um zu unserem besten Selbst zu gelangen.

Ich denke jedoch, dass es wichtig ist, sich daran zu erinnern, dass Menschen mit Geld, Ruhm und Macht gut, großzügig und mitfühlend, aber auch destruktiv und bösartig sein können. Wir müssen uns also fragen: Können wir die beste Version von uns selbst sein, wenn wir uns wie schlechte Menschen verhalten? Wenn Sie mich fragen, ist die Antwort natürlich ein klares Nein!

Unabhängig davon, was wir im Leben erreichen können, müssen wir uns gut verhalten, um zu unserem besten Selbst zu werden. Kürzlich stieß ich auf ein Gemälde des romantischen Malers Philip James de Loutherbourg mit dem Titel „Der Engel, der den Satan fesselt“, das mich an den inneren Kampf erinnerte, den wir durchstehen müssen, um zu unserem besten Selbst zu wachsen.

Das Gemälde von Loutherbourg ist eine farbenfrohe Abbildung eines Engels, der mit einem Fuß auf die Flanke des Satans tritt. In den meisten Fällen ist es der Erzengel Michael, der den Satan auf diese Weise besiegt (wie im Beispiel von Guido Reni), weshalb wir den Engel als Michael bezeichnen. Der heilige Michael wird bis in die heutige Zeit als Schutzpatron von Deutschland und der katholischen Kirche betrachtet, nachdem Otto der Große im Jahr 955 mit seiner Hilfe in der Schlacht auf dem Lechfeld gesiegt hatte.

Michael stellt den Mittelpunkt des Bildes dar. Das pastellrosa Tuch, das die kühlen Grautöne seiner Rüstung umspielt, hebt ihn vor dem hellen Hintergrund hervor.

Seine Pose ist recht dynamisch: Sein rechtes Bein befindet sich auf dem Felsen hinter ihm, während sein linkes Bein auf die Flanke des Satans tritt. Seine ausgebreiteten Flügel ergänzen sowohl die Farbe als auch die Aktivität des Tuches, das ihn umgibt; seine wallenden, goldenen Locken ahmen die Farbe des Schlüssels in den Himmel nach, den er in seiner rechten Hand hält; und seine linke Hand ergreift die Ketten, die Satan nunmehr fesseln.

Satan wird in einer Pose der Niederlage dargestellt. Sein Körper verformt sich unter dem Druck von Michaels Fuß, während er nach den Ketten greift, die der Erzengel ihm um den Hals geworfen hat. Mit der anderen Hand greift er nach einer Schlange, die sich um seinen Arm windet, und sein Kopf, den Loutherbourg als Totenkopf dargestellt hat, dreht sich um und blickt Michael an.

Satan hebt sich nicht sehr von seiner Umgebung ab. Wenn wir die Augen zusammenkneifen, werden wir feststellen, dass sich sein Oberkörper kaum vom Hintergrund abhebt. Interessanterweise hebt sich Satans Körper an der Stelle, an der Michael seinen Fuß aufsetzt, am stärksten von seiner Umgebung ab.

Die komplementären (kontrastierenden) Farben von gedämpftem Grün und intensivem Rot nehmen die untere Hälfte der Komposition ein. Satans Beine verwandeln sich in grüne Schlangenschwänze, von denen einer in die glühende, rote Hitze der Hölle unter ihm hinabtaucht. Das andere Bein schlängelt sich in die Ferne, auf der linken Seite der Komposition.

Die Kontrolle der zerstörerischen Kräfte

„Erzengel Michael zertritt den Satan“, ca. 1635, von Guido Reni. Santa Maria della Concezione, Rom. Foto: Public Domain

Welche Weisheit könnte dieses Bild dazu beisteuern, dass wir zu unserem besten Selbst heranreifen?

Es ist nicht schwer zu verstehen, dass dieses Bild einen Kampf zwischen Gut und Böse, zwischen Himmel und Hölle darstellt und dass dieser Kampf an einem Ort „da draußen“, getrennt von uns, stattfindet. Nehmen wir uns jedoch einen Moment Zeit, um unseren Blick auf unser Inneres zu richten und zu bedenken, dass dieses Gemälde einen Kampf darstellt, der in uns selbst stattfindet.

Loutherbourg stellte Satan mit einem Totenschädel als Kopf dar. Normalerweise symbolisieren Totenköpfe in der bildenden Kunst Tod oder Zerstörung. Eines der Schlangenbeine Satans reicht in die Hölle hinab, das andere windet sich in die Ferne; in seiner linken Hand hält er eine Schlange. Diese schlangenartigen Elemente stehen für die Versuchung. Daraus wird deutlich, dass Satan den Tod, die Zerstörung, die Verlockung oder sogar eine Beziehung zwischen diesen Elementen darstellt: Tod und Zerstörung als Folge der Versuchung. Diese Versuchungen erstrecken sich auf die ganze Welt um uns herum und verbinden uns mit der Hölle, wie die Schlangenbeine des Satans.

Wenn Satan die bösen Elemente verkörpert, dann wäre das Böse laut dem Gemälde, das wir analysieren, gleichbedeutend mit den Verlockungen, die Tod und Zerstörung verursachen. Wie können wir, um unser besseres Selbst zu finden, die zerstörerischen Versuchungen in uns unter Kontrolle bringen?

Michael würde die Beherrschung der Versuchungen darstellen, die Tod und Zerstörung hervorrufen. Er hält Satan mit seinem Fuß und seinen Ketten in Schach. Michael, ein Engel, der die Güte des Himmels repräsentiert, kann Satan, die Verkörperung des Bösen, erst in Ketten legen. Er streckt einen Schlüssel zum Licht des Himmels empor. Ist dies der Schlüssel, der Satan an seinen Platz kettet und ihn gefangen hält? Bedeutet dies, dass das Böse durch den Himmel besiegt wird?

Der Schlüssel kann nicht nur dafür stehen, dass Satan und seine Versuchungen weggesperrt werden, sondern er kann auch ein Symbol für den Schlüssel sein, der uns aus dem Gefängnis der Versuchung befreit.

Zu Beginn dieses Artikels haben wir uns auf ein Gedankenexperiment eingelassen. Wir haben gefragt, was wohl die beste Version von unserem Selbst wäre. Würde nach der Aussage dieses Bildes vielleicht die beste Version von uns selbst formen, wenn wir uns nach den Tugenden und Verhaltensweisen von Gottheiten im Himmel richten? Ist die himmlische Gutherzigkeit der Schlüssel, mit dem wir sowohl unsere zerstörerischen Tendenzen wegsperren als auch uns von Versuchungen befreien können?

Die traditionellen Künste enthalten oft spirituelle Darstellungen und Symbole, deren Bedeutung mit unserem modernen Denken möglicherweise schwer zu erfassen ist. In unserer Reihe „Nach innen gehen: Was traditionelle Kunst dem Herzen bietet“ interpretieren wir die bildende Kunst auf eine Weise, die für uns heute moralisch aufschlussreich sein kann. Wir erheben nicht den Anspruch, absolute Antworten auf Fragen zu geben, mit denen Generationen gerungen haben, sondern hoffen, dass unsere Fragen zu einer nachdenklichen Reise anregen, die uns zu authentischeren, mitfühlenderen und mutigeren Menschen macht.


Eric Bess ist bildender Künstler und Doktorand am Institut der Bildenden Künste „Institute for Doctoral Studies in the Visual Arts“ (IDSVA) in Portland, Maine, USA. 

 



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