Die Erschaffung Adams und das Königreich im Innern – Was traditionelle Kunst dem Herzen bieten kann

Die Kunst hat eine unglaubliche Fähigkeit, auf das Unsichtbare hinzuweisen, sodass wir fragen können: "Was bedeutet das für mich und für jeden, der es sieht"; "Wie hat sie die Vergangenheit beeinflusst und wie könnte sie die Zukunft beeinflussen?" Das sind Fragen, die ich in meiner Serie „Reaching Within“ untersuchen werde: Was bietet traditionelle Kunst dem Herzen?
Titelbild
„Die Erschaffung Adams“ Fresko in der Sixtinischen Kapelle zu Rom, von Michelangelo (1475-1564) ital. Maler, Architekt, Bildhauer, Poet und Erfinder.Foto: Wikipedia/Public Domain
Von 21. September 2018

Michelangelos „Die Schöpfung Adams“ ist ein kleiner Ausschnitt eines größeren Freskos in der Sixtinischen Kapelle in Rom. Dieser Ausschnitt ist ein ikonisches Bild und wird oft sowohl im Fernsehen als auch in der Literatur verwendet.

Eine Episode von HBOs „Westworld“ bezog sich auf das Bild in Bezug auf die Bedeutung des Bewusstseins. Der „Westworld“- Charakter Dr. Robert Ford, gespielt von Anthony Hopkins, nutzte „The Creation of Adam“, um einer seiner menschenähnlichen Androiden-Kreationen vorzuschlagen, „dass das Bewusstsein das wahre Geschenk ist, das ein Schöpfer seiner Schöpfung geben kann“.

Ist diese Interpretation zufriedenstellend oder fehlt noch etwas? Deutet Michelangelo an, dass Gott nichts anderes als Bewusstsein ist? Oder dass das Bewusstsein die Verbindung zwischen dem Menschen und Gott ist? Oder ist hier gar nur sein Verständnis einer biblischen Geschichte repräsentiert?

In seinem Artikel „An Interpretation of Michelangelo’s ‚Creation of Adam‘ Based on Neuroanatomy“ (auf Deutsch etwa: „Eine Interpretation von Michelangelos ‚Erschaffung Adams‘ basierend auf Neuroanatomie) schlägt Dr. Frank Lynn Meshberger vor, dass die Darstellung von Gott als Bewusstsein eine plausible Interpretation von „Die Erschaffung Adams“ ist.  Er behauptet, Michelangelos Sonette und sein Studium der Anatomie lieferten Beweise für diese Interpretation.

Michelangelos Sonette deuten darauf hin, dass sich die Schöpfung zuerst im Intellekt formt, bevor die Hände ihre Rolle spielen können. Mit Hilfe seines Wissens aus der Sezierung von Leichen malte er den Querschnitts eines Gehirns, um die Quelle der Schöpfung zu halten: Gott. Das heißt, wenn man sich den Teil des Gemäldes ansieht, der Gott, seine Begleiter und den elliptisch geformten Stoff hinter ihnen darstellt, kann man die Form eines Gehirns im Querschnitt vorstellen. Daraus könnte interpretiert werden, dass das Immaterielle – der Verstand und der Geist – das Materielle, also den Körper beeinflusst.

Ist das eine überzeugende Interpretation von Michelangelos Werk? Es gibt keine Möglichkeit, sich der Absichten von Michelangelo sicher zu sein, ohne dass er sie erklärt hat.

Tatsächlich schlägt Dr. MichaelSalcman, ein Neurochirurg, vor, dass „unsere visuellen Systeme… Details ausfüllen und Bedeutung schaffen, wo kein Muster oder keine Bedeutung beabsichtigt war„. Der Mensch ist in der Lage, gegenständliche Dinge in den abstrakten Formen zu „sehen“, wie zum Beispiel unsere Erfahrung, Bilder in Wolken zu sehen. Aber dennoch hat das Spekulieren über die Möglichkeiten der Bedeutung auf eine seltsame Art und Weise, selbst die Fähigkeit Bedeutungen zu erzeugen.

Meine eigene Interpretation

Bevor ich auf die Interpretation von „Die Schöpfung Adams“ kam – dass Gott Bewusstsein ist – hatte ich nur eine: Gott erschafft Adam abgebildet nach Michelangelos Verständnis der katholischen Lehre. Wenn ich jedoch anderen Interpretationen ausgesetzt bin, erfrischt das meine eigene.

Michelangelo war ein frommer Katholik und Jesus sagt: „Das Reich Gottes ist in dir.“Vielleicht hat Michelangelo dieses Zitat während seiner Zeit, als er die Körper Verstorbener sezierte, wörtlich genommen. Oder er benutzt vielleicht seine Kunst einfach nur, um das Immaterielle darzustellen.

Unabhängig von Michelangelos Absichten erlebe ich das Fresko nun anders. Ich schaue mir jetzt Adams Nacktheit an. Wir werden nackt in diese Welt hineingeboren und sterben alles zurücklassend. Adam hat nichts als den Boden, auf dem er liegen kann, seinen Körper und die ausgestreckte Hand Gottes. Adam scheint als Vermittler zwischen dem Göttlichen und dem Alltäglichen zu existieren. Aber was erlaubt das? Was erlaubt es Gott, so nahe an die ausgestreckte Hand Adams heranzukommen? Könnte es seine Nacktheit sein?

Für mich bedeutet diese Nacktheit eine Abwesenheit von Egoismus. Er ist nicht Eigentümer von irgendetwas und scheint ohne Verlangen nach etwas zu sein. Selbst seine ausgestreckte Hand ist schlaff und ohne erkennbare Absicht. Er liegt entspannt und bequem. Dies ist jedoch kein Hinweis darauf, wie er über Gott denkt, da sein Gesicht von Anbetung erfüllt ist, wenn er auf das Göttliche blickt. Es scheint vielmehr, dass dieser Zustand der ruhigen Selbstlosigkeit die Voraussetzung dafür ist, dass Gott nach dem was er geschaffen hat greifen kann.

Das Fresko selbst trägt den Titel ‚Die Schöpfung Adams‘. Gott erschafft Adam auf eine Weise, die ihm gefällt. Es scheint mir, dass Adam sich in einen Zustand der selbstlosen Ruhe befindet. Ein Zustand der frei von Begehrlichkeiten und Begierden ist. Und dieses Herz scheint Gott zu gefallen.

Man könnte jedoch argumentieren, dass Adams Arm nur deshalb entspannt ist, weil Gottes ausgestreckter Arm gerade dabei ist, ihm Leben einzuhauchen. Adams Arm ist noch nicht mit Lebensenergie gefüllt. Sein Wesen im Begriff lebendig zu werden, erklärt die entspannte Haltung und das eher träge Verhalten. Sein Ausdruck ist das einer Sehnsucht und des Wunsches, dass Gott die Aufgabe der Lebensspende erfüllt.

Auch wenn diese Interpretation zur Anwendung käme, so wäre auch in diesem Fall Adam nur auf Gott und nichts anderes ausgerichtet. Das was in Adams körperlichem Ausdruck vorhanden ist, ob es nun die Anbetung Gottes ist oder die sehnsuchtsvolle Erwartung, das Lebendig sein zu empfangen, ist Ausdruck für die Beziehung des Geschöpfes zum Leben erschaffenden Gott.

Vielleicht aber hat Gott die Aufgabe hier bereits erfüllt: Adam ist bereits animiert. Adam wird nicht lebendig, sondern reagiert auf die Gabe des Lebens. Er hat sich in seiner zurückgelehnten Haltung positioniert. Die Distanz zwischen ihren Händen und der Ausdruck auf Adams Gesicht, könnte die Dankbarkeit zeigen, die er für das soeben geschenkte Leben fühlt.

Dies zeigt mir, dass Michelangelo Adam absichtlich in einer animierten aber ruhigen, entspannten und selbstlosen Haltung in der Gegenwart Gottes abgebildet hat. Als Ausdruck seiner Dankbarkeit für Gottes Gaben.

Ich bin indes nicht ganz davon überzeugt, dass Michelangelo wirklich heimlich das Bild eines Gehirns im Querschnitt gemalt hat, in dem Gott sitzt. Aber wenn er es tat, so denke ich, dass er es aus folgendem Grund getan hat: Nur wenn wir uns in einem entspannten und selbstlosen Geisteszustand befinden, wird das Göttliche uns erreichen. Der Zustand unseres Geistes ist es, der es uns erlaubt, das Göttliche während unseres kurzen Aufenthalts hier auf der Erde wahrzunehmen.

Ich kenne die Absichten nicht, die Michelangelo in Bezug auf dieses Fresko hatte. Ich schätze es jedoch sehr, dass es auch gut 500 Jahre nach seiner Erschaffung, uns noch immer zu faszinieren vermag. Vielleicht ist meine innere Erforschung und Reflexion über dieses Gemälde Teil meiner Reise in das innere Königreich.

Die Kunst hat eine unglaubliche Fähigkeit, auf das Unsichtbare hinzuweisen, sodass wir fragen können: „Was bedeutet das für mich und für jeden, der es sieht“; „Wie hat sie die Vergangenheit beeinflusst und wie könnte sie die Zukunft beeinflussen“; „Was sagt sie über die menschliche Erfahrung aus? Das sind einige der Fragen, die ich in meiner Serie „Reaching Within“ untersuchen werde: Was bietet traditionelle Kunst dem Herzen?

Eric Bess ist Gegenwartskünstler und Doktorand am Institut der Bildenden Künste „Institute for Doctoral Studies in the Visual Arts“ (IDSVA) in Portland, Maine, USA. 

Dieser Artikel erschien im Original auf The Epoch Times USA unter dem Titel: ‘The Creation of Adam’ and the Kingdom Within (deutsche Bearbeitung von nw)



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