Unentdeckte Paradiese hinter Hecken und Mauern

Ein Buch legt den Blick auf Wiens geheime Gärten frei.
Titelbild
Wasserbecken mit angelehnten Amphoren und einer Palmlilie. Inspiriert durch Gärten in England und Frankreich wollte der Besitzer hier einen Garten mit romantischem Charakter erschaffen.Foto: © Ferdinand Graf von Luckner
Von 30. August 2022

Städtische Oasen hinter hohen Mauern, verwunschene Gärten in verträumten Innenhöfen, prächtige Privatgärten und luftig grünbewachsene Dachgärten: In der Donaumetropole Wien findet sich eine beeindruckende Vielfalt gärtnerischer Anlagen, zum Großteil verborgen hinter verschlossenen Türen. Einer erhielt Zutritt in die privaten Refugien und lässt uns nun daran teilhaben: Epoch Times sprach mit dem Landschaftsarchitekten Georg von Gayl über seine grüne Passion, über prägende Ernteerlebnisse und künstliche Inszenierungen.

Dachgarten an der Kuppel der Karlskirche. Eine Großstadtoase bestehend aus vielen Kübelpflanzen wie Zitronen, Mandarinen, Oleander, aber auch Tomaten und italienischen Wildkräutern. Foto: © Ferdinand Graf von Luckner

Herr von Gayl, woher stammt Ihre Leidenschaft für Gärten?

Sie ist sehr früh entstanden, dadurch, dass ich als Kind in einem großen Garten aufgewachsen bin und auch im Gemüsegarten meiner Großmutter gegärtnert habe. Sie hat eine Beziehung zu ihrem Gewächshaus gepflegt. Der Geruch von feuchter, warmer Luft in Kombination mit Pflanzen hat mich schon mit acht Jahren stark fasziniert und geprägt. So wusste ich recht früh, was ich später beruflich machen wollte.

Erinnern Sie sich an besondere Momente in einem Garten, die Sie geprägt haben?

Das sind definitiv Ernteerlebnisse aus meiner Kindheit. Wenn man als Kind ein Hühnernest findet, in dem echte Eier liegen, ist dies für ein Kind eine überwältigende Erfahrung. Heute würde ich das noch genauso sagen. So ist es auch beim Gärtnern: Hat man einen Kartoffelacker und gräbt die großen Knollen aus der Erde aus, ist das ein sehr zentrales Ernteerlebnis. Auch die Apfelernte im Herbst … diese Erlebnisse prägen einen.

Als Landschaftsarchitekt bin ich ab und an für die Planung von Privatgärten zuständig. Ich bekomme mit, dass es den Wunsch gibt, auch Obst und Gemüse anzubauen. Nicht unbedingt, um den eigenen Bedarf zu decken – das wird eher auf dem Markt getan –, sondern um den Kindern Ernteerlebnisse zu ermöglichen. Es birgt eine gewisse Mystik, denke ich. Deswegen ist es mir nicht anders ergangen als anderen Kindern.

Was ist für Sie das Besondere an einem Garten?

Es ist ein Ort, dessen Fertigstellung nie abgeschlossen ist, der sich ständig verändert, nicht nur im Laufe der vier Jahreszeiten, sondern im Lauf der Jahre. Es ist ein Ort ohne statischem Zustand, vielmehr des Wechsels und Wandels, was den Garten für mich interessant macht. Man möchte ihn stets optimieren. Dadurch, dass die Pflanzen wachsen, ergeben sich automatische Veränderungen. Schattenbereiche vergrößern sich, Pflanzen verdrängen einander, weil sie mehr Licht benötigen – der Garten ist immer nur ein Istzustand und niemals vollendet. Das finde ich weitaus spannender als beispielsweise das Projekt eines Hochbauarchitekten, der plant und baut und etwas fertiggestellt, das sich danach nicht mehr verändert.

Der Garten lebt von der Dynamik der Natur. Man versucht im Idealfall immer wieder neu auf die Veränderungen einzugehen. Es hat etwas Philosophisches, man begleitet einen im Wandel bestehenden Prozess.

Was ist für Sie das Faszinierende an den verborgenen Gärten Wiens?

Dass man sie für gewöhnlich nicht zu Gesicht bekommt, weil sie privat und nicht öffentlich zugänglich sind. Die Chance, Menschen zu besuchen und sie in ihren privaten „vier Wänden“ im Außenbereich kennenzulernen, hat man üblicherweise nicht. Wenn Sie solch einen Garten besuchen wollen, müssen Sie zudem erst mal durch die gesamte Wohnung spazieren, um anschließend in den Garten zu gelangen. Es ist dieser sehr private Moment, der die Faszination ausmacht. Teil des Problems bei der Recherche war, dass man nicht einfach irgendwo anklingeln und sagen kann: „Ich habe auf Google Maps gesehen, dass Sie einen tollen Dachgarten haben, den würde ich mir gerne anschauen.“ Das geht nicht. Sie können das nur mit einer Eintrittskarte über einen Menschen machen, der die Möglichkeit schafft, sich miteinander zu verbinden und Gespräche zu führen. Das Ganze muss anonym bleiben. Im Buch werden keine Namen genannt, sonst wären die Gartenbesitzer arm dran.

Es gibt eine Vielzahl unterschiedlichster Gärten in Wien. Was ist Ihnen besonders ins Auge gefallen?

Das Alter der Gärten. Ich habe auch ein Buch über die geheimen Gärten Berlins geschrieben. Sie haben in Berlin eine Stadt, die 1945 größtenteils zerstört worden ist und damit auch die Gärten. Die Gärten in Berlin sind im Vergleich zu denen in Wien später im Rahmen von Grundstücksteilungen verkleinert und zerstückelt worden. Sie sind als Gesamtanlagen häufig nicht mehr fassbar. In Wien haben Sie diese Zerstörung und den Bruch in der Größe nicht so stark. Dadurch gibt es in Wien sehr viel ältere Gärten, die teilweise erstaunlich groß sind, in der Innenstadt liegen und von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Die Anlagen sind seit ihrer Entstehung vor sich hingewachsen und wurden nicht maßgeblich verändert. Das ist der größte Unterschied zu Berlin.

Zudem existieren in Wien zahlreiche Dachgärten. Man findet in diesem Bereich eine große Vielfalt – mit Pool, ohne Pool –, ich durfte sehr unterschiedliche Formen von Dachgärten kennenlernen. Ein solcher Dachgarten befand sich in unmittelbarer Nähe zur Karlskirche – mit direktem Blick auf den Kirchturm. Das war schon sehr speziell.

Wie viel sagen die Gärten über deren Besitzer aus?

Tatsächlich sehr viel. Der Spruch „Zeige mir deinen Garten und ich sage dir, wer du bist“ ist sehr treffend. Es ist ein wenig so, wie wenn man bei jemandem zu Besuch ist, die Einrichtung betrachtet und sieht, wie der- oder diejenige geschmacklich aufgestellt ist, was er oder sie schön findet. Wir haben mehr Gärten besucht, als wir letzten Endes im Buch vorstellen konnten. Diejenigen, die es ins Buch geschafft haben, sind natürlich meine persönliche Auswahl und spiegeln meinen eigenen Geschmack wider.

Die Gärten sagen zudem viel über die Bildung der Besitzer aus. Sie setzen sich teilweise sehr intensiv mit ihrem Garten auseinander, wissen alles über die Pflanzen, auch deren lateinische Bezeichnungen. Im Laufe ihres Lebens haben sie sich zu Experten entwickelt, die sich mit einem Landschaftsarchitekten auf Augenhöhe unterhalten können, weil sie fachliche Erfahrung haben. Ich habe erlebt, dass die teuersten Gärten meistens seit vielen Jahren im Besitz von Menschen sind, die diese Gärten selber pflegen und gestalten.

Was kann in der Gartengestaltung schief gehen?

Als Gartenbesitzer gibt man jeder Pflanze, die im Garten wächst, ein Quartier, eine Möglichkeit, sich zu entfalten unter dem Konkurrenzdruck der anderen Pflanzen. Als Planer kümmern wir uns auch um die Pflanzenplanung. Wir sehen aber nach einigen Jahren, dass sich nicht alle Pflanzen gleichmäßig gut entwickelt haben oder von anderen Pflanzen verdrängt wurden. Es gibt eben viel „Versuch und Irrtum“ in der Gartenplanung, was es, weil es unberechenbar ist, auch interessant macht.

Was macht einen gelungenen Garten für Sie aus?

Wenn verschiedene Räume geschaffen wurden, die unterschiedliche Charaktere aufweisen, abwechslungsreich und vielfältig sind. In der Gartenarchitektur versucht man, die Anlage durch verschiedene Teilräume nicht in ihrer Gesamtheit erfassbar zu machen, so wie im Barock, wo es eine Blickachse gibt, sondern man wandelt von einem „Zimmer“ zum nächsten. Das Verwunschene, das Verborgene, das Wilde und das Artenreiche finde ich erstrebenswert.

Es setzt also voraus, dass ein Garten von vornherein mit einer erkennbaren Grundstruktur versehen wird. Innerhalb dieser Struktur hat man den Spielraum, frei zu gestalten und die Räume zu bespielen. Ein gelungener Garten hat Liegeflächen, Rasenflächen, Beetflächen, im Idealfall auch Kunst. Wenn all das platziert wurde, kann man mit den Inhalten spielen. Ob Sie jetzt alles mit Rhododendron oder mit Hortensien auffüllen, bleibt Ihrem individuellen Geschmack überlassen.

Durch die Teilräume resultieren auch verschiedene Sitzplätze: Ein Frühstücksplatz, ein Mittagsplatz mit Schattenbereich, ein Platz, wo Sie Abendsonne haben. So wird versucht, an verschiedenen Stellen den Garten auch interessant zu halten. Die Besitzer können durchgehen und sagen: „Wir gehen in den Nachmittagsbereich und trinken Tee, weil dort die Sonne am besten steht“.

Sie haben mit zahlreichen Gartenbesitzern gesprochen. Gab es ungewöhnliche Begegnungen, die sich auch im Garten gezeigt haben?

Ich durfte sehr sympathische Menschen kennenlernen. Für das Buch haben wir 50 bis 60 Gärten angesehen und die Gartenbesitzer und Besitzerinnen interviewt. Es war eine tolle Gesellschaftsstudie, zu sehen, wie sich Menschen selbst verstehen und in welchen Bereichen sie sich engagieren. Die unterschiedlichsten Menschen waren vertreten wie zum Beispiel ein pensionierter Formel-1-Fahrer. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die meisten Menschen mit schönen Gärten einen durchschnittlich hohen Bildungsgrad haben. Bildung und Garten sind nicht weit voneinander entfernt. Man befasst sich mit einer bestimmten Thematik. Hat man einen anspruchsvollen Garten, benötigt man eine gewisse Bildung.

Eine Szene ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Eine Frau erzählte mir, dass sie wahnsinnig viel wässern muss, um die ganzen Staudenbeete zu versorgen. Da sie so viel Zeit im Garten verbringt, sei ihr Mann auf ihren Garten eifersüchtig. Ich habe ihr sofort geglaubt. Es ist eine große Passion, die in die Pflanzen geht. Als Mensch kann man sich nur bedingt aufteilen, was auch auf Kosten anderer geht. Das war eine Erkenntnis, die mir nahegegangen ist.

Was ist aktuell bei Gartenbesitzern beliebt? Gibt es einen Trend?

Ich denke, dass Gartenbesitzer sich gerade mit dem Thema Trockenheit mehr auseinandersetzen als sonst und auf der Suche nach trockentoleranteren Pflanzenarten sind, um nicht übermäßig viel wässern zu müssen. Ein Trend ist also die Wässerung. Sie ist sehr kostspielig und nicht unbedingt nachhaltig. Einen Garten ohne Wasser herzustellen ist allerdings sehr schwierig. Der Garten ist kein Spiegel der Natur, sondern eine künstliche Inszenierung, an der der Mensch immer wieder drehen, schrauben, schneiden und gießen muss, um diesen Garten in ein bestimmtes Bild zu bringen. Es ist ein vom Menschen sehr stark beeinflusster Ort, deswegen ist das Thema Wassergewinnung, Wasserhaltung und Wasserverbrauch ausgesprochen wichtig für vom Menschen angelegte Gärten.

Das Interview führte Ani Asvazadurian

Ein Stück Italien in Wien Grinzing. Terrassenblick über die Weingärten hinauf zum Kahlenberg. Das Leitbild der passionierten Gärtnerin waren italienische Gartenanlagen. Foto: © Ferdinand Graf von Luckner

 

Bauhausstil im Weingarten. Haus und Garten bilden eine architektonische Einheit mit Aus- und Durchblicken. Foto: © Ferdinand Graf von Luckner

 

Ein Gartenhof in Wien Nussdorf. Da sich im Sommer das Leben der Familie hauptsächlich im Hof abspielt, bezeichnen ihn seine Bewohner als ihr grünes Wohnzimmer. Foto: © Ferdinand Graf von Luckner

 

Ein besonderes Bonbon für Gartenliebhaber: Das Buch „Die geheimen Gärten von Wien“ (Bassermann Verlag) zeigt eine persönliche und bunte Auswahl der schönsten Gartenanlagen in Österreichs Hauptstadt. Der Autor Georg Frhr. von Gayl führt mit liebevollen Beschreibungen durch das Grüne Wien, fotografisch festgehalten von Ferdinand Graf von Luckner.

 

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 59, vom 27. August 2022.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion