„Leg‘ doch mal das Ding weg“: Gehören Handys manchmal weggesperrt?

"Leg' doch mal das Ding weg", sagen Eltern, wenn Kinder sich nicht vom Smartphone lösen können. Auch Erwachsene ringen in den USA mit der Handy-Sucht und kleben teils unentwegt am Display. Der Kampf gegen den digitalen Tunnelblick hat einige erfinderisch gemacht.
Titelbild
Ein Gast legt sein Handy in eine Zigarrenkiste im Restaurant Hearth in New York.Foto: Johannes Schmitt-Tegge/dpa
Epoch Times27. Juli 2018

Die in den USA beliebte Kaffeehauskette „Le Pain Quotidien“ stellte vergangenen Sommer eine Art Gretchenfrage der Tischkultur: „Kannst du eine Mahlzeit ohne dein Handy überleben?“ Gemeint war: Darf das Smartphone mit auf den Tisch, oder sollte es beim Essen verschwinden?

Was in manchen Haushalten auch in Deutschland längst als Benimmregel diskutiert wird, war als Idee bei einer weltweit tätigen Restaurantkette angekommen: Ohne Handy schmeckt das Essen besser.

Gefühlt ununterbrochen lesen, wischen und tippen einige Amerikaner auf ihren Geräten. Millionen beginnen und beenden ihre Tage einer Gallup-Studie zufolge mit dem Griff nach dem Smartphone, 2600 Berührungen täglich sind dem Marktforscher Dscout zufolge Durchschnitt. Einige Restaurants und Musiker, die sich aufmerksameres Publikum wünschen, versuchen mit speziellen Kisten und verschließbaren Handy-Beuteln gegenzusteuern. So sollen die ewig Daddelnden lernen, ihre Finger buchstäblich vom Display zu lassen.

„Öffne mich“ steht etwa auf den Zigarrenkisten, die im Restaurant „Hearth“ in New York zum Gedeck gehören wie Weingläser und Servietten. „Nutze diese Box, um dein Handy wegzulegen und dich mit deinen Tischnachbarn auszutauschen“, heißt es darin. Inhaber Marco Canora, der sich die Kisten ausgedacht hat, sagt: „Es wurde einfach unerträglich, in welchem Maß die Leute an ihre Handys gekettet sind. Wir verlieren das Wesen dessen, was es bedeutet, zu speisen und gesellig zu sein und den Menschen in die Augen zu sehen.“

„Le Pain Quotidien“ ging noch einen Schritt weiter und belohnte diejenigen, die ihr Handy in einer Holzkiste am Tisch lagerten, mit einem kostenlosen Dessert. Der Fastfood-Gigant McDonald’s ließ der Website „Mashable“ zufolge in einer Filiale in Singapur sogar Handy-Schließfächer aufstellen, um vor allem Kinder vom Display wegzulocken. „Handy aus, Spaß an“, hieß es dort.

Etwa zwei Drittel seiner Gäste folgten dem Vorschlag, ihr Handy vorübergehend in der Box zu lagern, schätzt Canora. Kürzlich habe eine Frau die Schatulle als überfällige Pause nach einer „harten Woche“ gefeiert und am Tisch erklärt, die Auszeit vom surrenden Taschencomputer „habe sie jetzt verdient“. Zum guten Benehmen gehört es auch in den USA ohnehin, das Handy beim Tisch verschwinden zu lassen und sich für ein dringendes Telefonat zu entschuldigen. Auf einem „hohen Ross“ sitzen und den Menschen Vorschriften machen, wolle er aber keineswegs, sagt Canora.

Jack White hat sich mit genau diesem Ansatz nicht nur Freunde gemacht. Telefone werden bei Shows des früheren White-Stripes-Sängers in spezielle Handy-Beutel vom Hersteller Yondr aus San Francisco verschlossen. Auch bei Konzerten von Alicia Keys, Guns N‘ Roses und Childish Gambino sowie Auftritten der Comedians Dave Chappelle und Chris Rock waren die Säckchen schon Pflicht. Die Komiker wollten vor allem verhindern, dass ihre frischen Gags zu schnell auf Youtube landen. Wer will, kann die Show jederzeit verlassen und den Beutel draußen wieder entriegeln.

„Zuviel Kontrolle“, sagte Amelia Hampton der Zeitung „USA Today“ nach einer Jack-White-Show in Milwaukee im April. „Deine Lieblings-Band zu filmen, von dessen Konzert du schon immer geträumt hast, die Erinnerungen zu speichern, das ist mir wichtig.“ White erklärte dem „Rolling Stone“ dagegen, dass Zuschauer ihre Handys im Kino, in einem klassischen Konzert oder in einer Kirche ja auch verschwinden ließen. Und wegen der neuerdings ausbleibenden Reaktion eines zu handyfixierten Publikums falle es ihm schwer, nach einem Song die Stimmung auszuloten und so den nächsten Titel zu wählen.

Vielen Künstlern geht es weniger um ein Handyverbot als um aufmerksame, anwesende Zuschauer: „Du musst diesen Moment auskosten, Baby! Nimm‘ diese verdammte Kamera runter“, sagte Beyoncé etwa 2013 zu einem Fan, der so sehr mit seinem Handy beschäftigt war und nicht merkte, dass „Queen Bey“ ihm für einige Takte das Mikro hingehalten hatte. Adele machte sich 2016 über eine filmende Frau im Publikum lustig mit den Worten: „Ich bin im wirklichen Leben hier, du kannst es im wirklichen Leben genießen.“

Im Sport sind Handyverbote vor allem im Golf und im Tennis bekannt, die vor allem der Konzentration der Spieler gelten. Selbst die Basketballer der College-Liga NCAA schienen sich aber präsentere Fans zu wünschen, als sie im Januar zu einem Spiel ganz ohne Handys luden. Namensschildchen und ein Stand für schriftliche Botschaften an andere Fans sollten die Menschen einander näherbringen. Die Georgetown Hoyas warben scherzhaft damit, dass man an dem Abend sogar „persönliche Gespräche von Angesicht zu Angesicht“ führen könne – in Zeiten des Handy-Tunnelblicks offenkundig eine besondere Ausnahme.

Wer Handys verbietet, verzichtet auch auf kostenloses Marketing in sozialen Netzwerken. Und nicht wenige Konzert- und Restaurantbesucher dürften verpassten Foto-Gelegenheiten für Instagram nachtrauern. Für sie und all jene, die ihr Essen stets en détail fotografieren, hatte David Chang vom New Yorker Restaurant „Momofuku Ko“ schon vor zehn Jahren eine Antwort: „Es ist nur Essen. Esst es.“ (dpa)



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