„Der Welt entrückt“

Herrenchiemsee-Festspiele: Das 20. Jubiläum einer ganz besonderen Konzertstätte lockt bis zum 31. Juli mit Beethoven, Bach, Bruckner, Mozart und Barockorchestern.
Titelbild
Foto: Korbinian Bauer
Von 27. Juli 2022

Epoch Times sprach mit Josef Kröner, dem Intendant der Herrenchiemsee-Festspiele, und ließ sich mitnehmen auf eine Zeit- und Raumreise.

Herr Kröner, Sie feiern heute das 20-jährige Festspiele-Jubiläum. Was ist das Besondere an den Herrenchiemsee-Festspielen und wofür steht das Motto „Der Welt entrückt“?

Das Motto „Der Welt entrückt“ ist unser generelles Motto, das wir seit 20 Jahren haben. Das ist unser Logo, das ist auf dem Plakat, das ist auch auf dem Jahresprogramm. Da sieht man diesen Steg, der in den See hinausgeht, in einen leicht vernebelten See quasi wie nach Avalon. Der Hintergrund ist einfach: Man spielt auf einer Insel, man verlässt das Festland auf einem Schiff und auf der Insel ist man dann in einer anderen Welt.

Und dann ist man in dieser wunderbaren Spielstätte, dieser Kopie von Versailles, die König Ludwig II. in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts dorthin gestellt hat. Was fast schon ein verrücktes Unternehmen war. Aber es ist halt einfach da und es ist gut, dass es da ist und die Leute lieben es. Es kommen Tausende von Leuten jedes Jahr und besichtigen es. Für uns ist es seit 20 Jahren eine Spielstätte geworden.

Herrenchiemsee-Festspiele Orchesterprobe

Probe des Orchesters KlangVerwaltung vor der Eröffnung am 19. Juli in der Klosterkirche auf der Insel Frauenchiemsee in Bayern. Foto: Korbinian Bauer

Was macht diese besondere Spielstätte aus?

Das Besondere an diesen Festspielen ist einfach, wie soll ich sagen, – man hat diesen Saal. Dieser Saal ist so eine Art Zeitmaschine. Eine Zeit- und auch Raummaschine. Bei speziellen Programmen ist man in Paris, in der Zeit von Lully und Rameau und man kann förmlich hören, wie er mit seinem großen Taktstock auf den Boden schlägt und sie eine wahnsinnig schöne Bourrée spielen. Es ist natürlich die Kopie, aber man kann es sich vorstellen.

Auf der anderen Seite kann man sich auch vorstellen, wie König Ludwig II. durch diese Hallen wandelt und über Wagner sinniert. Diese beiden Pole, die bedienen wir auf den Festspielen. Wir haben einen großen Schwerpunkt in der Einladung von berühmten Barockorchestern, die eine perfekte Akustik vorfinden. Wir haben dieses Jahr das Freiburger Barockorchester, Concerto Köln, Concentus Musicus Wien, wir haben La Folia und andere. Die Ensembles sind natürlich in diesem Saal supergut aufgehoben.

Herrenchiemsee-Festspiele - Konzert im Spiegelsaal

Konzert im Spiegelsaal. Foto: Herrenchiemsee Festspiele

Inwiefern spielt die Musik von Bach eine Rolle für die Festspiele?

Die Musik von Bach hatte insofern eine große Rolle, weil Enoch zu Guttenberg einen großen Schwerpunkt seines Schaffens als Dirigent und Chorleiter auf das Repertoire von Bach legte. Sein Kernre­per­toire lag bei der Matthäus-Passion, h-Moll-Messe, dem Weihnachtsoratorium und auch den Bachkantaten. Ein großes Projekt war von Anfang an im Zuge der Zeit so viele Bachkantaten wie möglich zu spielen.

Deshalb spielen wir Bach bis auf ganz wenige Ausnahmen traditionell beim allerersten Konzert, auch wie heute wieder in der wunderbaren romanischen Kirche auf der Fraueninsel. Das ist die Nachbarinsel. Das heutige Konzert zum Beispiel hat den Titel „Jauchzet Gott in allen Landen“. Und das ist sozusagen ein Rahmen.

Häufig schließen wir mit Bruckner oder mit Wagner ab. Und wir fangen mit Bach an. Da sind wir auf der einen Seite im sakralen Bereich und beim Schlusskonzert dann meistens bei Ludwig II. und seinen Vorstellungen. Wie ja auch unsere Mottos, die wir normalerweise haben, immer einen Bezug zu König Ludwig II haben.

Was sind Ihre persönlichen Lieblingsstücke aus dem diesjährigen Programm?

Da ich das Programm selbst gemacht habe, kann man eigentlich sagen, dass das alles Lieblingsstücke sind. Ich bin ja selbst Geiger. „Jauchzet Gott in allen Landen“ ist ganz toll. Da ist ein wunderschönes Zwei-Geigen-Solo drin, es ist phänomenal. Es ist eine der wenigen Kantaten, wo eine Trompete einfach mitspielt, aber eben als Soloinstrument und wo keine Pauke dabei ist.

Es gibt auch eine Fassung mit Pauken, aber die ursprüngliche Fassung ist nur mit Trompete. Mit zwei Geigen machen wir dann gleich weiter: Wir spielen dieses wunderbare d-Moll-Doppelkonzert. Für das Konzert haben wir uns einen Dirigenten ausgesucht, der es den Zuhörern nicht immer leicht macht. Er hat aber eine unglaubliche Brillanz, Stücke so zu präparieren, dass sie wirken, als wenn man sie in diesem Moment erfindet.

Wer ist der Dirigent?

Reinhard Goebel, eins der großen Schwergewichte in der historischen Aufführungspraxis. Früher ein hervorragender Geiger, jetzt dirigiert er hauptsächlich.

Dirigent der Herrenchiemsee-Festspiele

Dirigent Reinhard Goebel. Foto: Matthias Strobl

Können Sie uns etwas zum Orchester „KlangVerwaltung“ erzählen?

Die KlangVerwaltung entstand in den späten 90er-Jahren. Mein Partner und ich, mit dem wir das Orchester gegründet haben, hatten schon in verschiedenen Formationen, – auch mit Enoch zu Guttenberg – gearbeitet. Es stellte sich irgendwann die Aufgabe, dass man ihm ein Ensemble gibt, welches ihm einen fruchtbaren Boden für seine Ideen bietet. Ein Ensemble, das wendig ist, extrem gut zusammenspielt und auch immer offen ist, was die Interpretation angeht. Für diesen Zweck haben wir damals die KlangVerwaltung ins Leben gerufen.

Bis zu seinem Tod 2018 haben wir viele Konzerte gegeben, viel gespielt und viel zusammen erlebt. Und wir haben handverlesene Musiker, junge Spieler, etablierte Spieler aus den berühmten Orchestern und auch Solisten zusammengebracht. Wir hatten jede Menge Kammermusiker; ganz tolle, die aus berühmten Streichquartetten oder Klaviertrios kamen. Also ein wirklich handverlesenes Ensemble aus Leuten, die gerne an einem Strang ziehen, die gerne proaktiv zusammenarbeiten.

Den provokanten Namen haben wir ausgewählt, um uns von der breiten Masse abzuheben. Das ist uns auch gelungen, es hat sehr polarisiert. Die Sache wurde in einer Zeit ins Leben gerufen, in der es so viele Kollegien und Konsortien und Kammerphilharmonien gegeben hat. Viele Leute sind gleich mit gespitzten Bleistiften auf uns losgegangen und haben sich darüber lustig gemacht oder gesagt: ‚Ja, das kann man doch nicht machen. Man kann doch ein Orchester nicht so nennen‘. Aber wir haben gesagt: ‚Nee, das ist gut. Jemand, der sich darüber aufregt, der vergisst es auch nicht.‘

Wie gelingt es Ihnen, dem Qualitätsanspruch weiter gerecht zu werden?

Es gibt viele Orchester, traditionelle Orchester, die das auf eine andere Weise auch haben. Wenn man zum Beispiel die Wiener Philharmoniker nimmt. Wenn man dort spielt, dann merkt man sehr schnell, dass ein kollektives Gedächtnis da ist, das sich über viele Jahrzehnte oder in diesem Fall vielleicht sogar Jahrhunderte aufgebaut hat. Jeder, der neu dazukommt, wächst in diese Unternehmung rein und übernimmt das.

Und dann haben wir ein kollektives Gedächtnis. Sie müssen sich vorstellen, wir hatten gestern die offizielle Eröffnung der Festspiele, mit einem Festakt der Bayerischen Staatsregierung. Wir haben bei der Eröffnung natürlich kein großes Programm gespielt, aber wir haben sie musikalisch untermalt und wir haben seit drei Jahren das erste Mal wieder in einer größeren Besetzung gespielt.

Das letzte Mal, dass wir in großer Besetzung gespielt haben, war 2019 bei den Herrenchiemsee-Festspielen mit Bruckners Siebter mit Kent Nagano. – Gestern haben wir wieder mit Kent Nagano gespielt. Es war das erste Mal, dass wir uns wieder als großes oder mittelgroßes Orchester materialisiert haben. Das Gefühl nach ein paar Minuten war dann so, als ob keine große Pause gewesen wäre.

Elisabeth Breuer – Sopran. Foto: Korbinian Bauer

Können Sie kurz schildern, wie so ein Abend abläuft?

Das Erste, was man beachten muss, man muss pünktlich ankommen. Pünktlich ankommen heißt, man muss das Schiff erreichen, denn wenn man das Schiff nicht erreicht, kommt man nicht auf die Insel. Das heißt, man parkt sein Auto. Dann geht man zum Schiff, das Schiff bringt einen auf die Insel. Auf der Insel kann man entweder zu Fuß zum Schloss gehen, man kann mit einem Shuttle fahren oder man kann mit der Pferdekutsche zum Schloss hinauffahren.

Dort erwarten einen meistens die Wasserspiele vor dem Schloss. Es gibt immer einen Einführungsvortrag für das aktuelle Programm des Abends. Das findet eine Stunde vorher im unvollendeten Treppenhaus statt. Das heißt, ein Kurator erzählt über das Repertoire, die Stücke, die Musikgeschichte, die Zusammenhänge. Das ist immer sehr gern besucht.

Um 19:00 Uhr ist das Konzert und dann ist immer die Frage: Wie ist das Wetter? Ist das Wetter schön, dann findet in der Pause der traditionelle Aufmarsch der Alphörner statt. Die livrierten Spieler und auch die „Diener“ tragen die Alphörner ganz weit vor in die Wasserspiel-Galerie. Wenn die Pause aufhört, dann geben diese mit einem Stück das Signal, dass die Pause jetzt zu Ende ist. Das passiert in drei Stufen. Das zweite Signal ist dann vielleicht noch 50 Meter vom Schloss entfernt und nach dem dritten Signal – direkt vor dem Schloss – ist die Pause vorbei.

Das ist immer ein sehr schönes Bild. Vor allem, weil in der Zeit die Sonne meistens untergeht. Das ist ein Ritual, das die Zuhörer sehr lieben. Die stehen alle auf der großen Terrasse, schauen ins Licht und schauen sich das an. Dann wird es dunkel und dann kommt die zweite Hälfte.

Gibt es Herausforderungen, vor denen Sie stehen, um die Festspiele weiterzubetreiben?

Ich hatte das Glück oder die Gnade, von Kindesbeinen an kulturaffin zu sein. An den Chiemsee-Festspielen war ich vom ersten Tag an mitbeteiligt in verschiedenen Aufgaben. Lange Zeit war ich nur Geiger und dann war ich Geiger und Orchestermanager und habe verschiedene Aufgaben bewältigt. Wenn man eine Sache hat, die im Grunde etabliert ist und die man, wenn man gut kalkuliert, gut budgetiert und wenn man weise Entscheidungen trifft, was das Programm angeht. Wenn man an die Verkaufbarkeit des Programms denkt – und nicht nur Pop und Greatest Hits macht – und sich an gewisse intellektuelle goldene Fäden, die sich durch das Programm spinnen, hält, kann eigentlich nicht viel schiefgehen.

Wenn man eine Auslastung um die 85 Prozent hat, – wir haben dieses Jahr sogar über 90 Prozent –, dann ist es machbar. Die Zuwendung des Staates Bayern ist sehr großzügig. Wenn der Kartenverkauf in dieser Größenordnung funktioniert, dann hat man genug Geld da, um absolute Spitze auftreten zu lassen.

Das Interview führte Kalina Rammer.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe Nr. 54, vom 23. Juli 2022.



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