Bayreuther Festspiele 2012: „Fliegender Holländer“ dank Christian Thielemann sicher gelandet

Titelbild
Senta, Adrianne Pieczonka und Daland, Franz-Josef Selig, rechts Samuel Youn als Holländer.Foto: Bayreuther Festspiele Enrico Nawrath
Von 26. Juli 2012

Christian Thielemann am Pult und ein leidenschaftlich singendes und spielendes Ensemble aus großen Stimmen machten den Eröffnungsabend der Bayreuther Festspiele 2012 zu einem Bombenerfolg beim Publikum. Unter den anwesenden prominenten Premierengästen war auch Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auf dem Programm stand Wagners frühe romantische Oper „Der fliegende Holländer“ in einer Neuinszenierung von Jan Philipp Gloger.

Der Erlebnisfaktor Risiko

Nach den Turbulenzen um einen in letzter Sekunde gegangenen Hauptdarsteller (der sog. „Nazi-Tattoo Skandal“ um Evgeny Nikitin, wir berichteten) fand diese Aufführung auf drei separaten Erlebnisebenen statt: Emotional, musikalisch und szenisch. Wobei das Gefühl des großen Risikos, die Gewissheit entweder gleich einem Erfolg oder einer Katastrophe beizuwohnen, die psychologische Klammer zwischen dem Publikum und einer eigentlich sterbenslangweiligen Finanzkrisen-Inszenierung bildete. Diese aufgekratzt optimistische Stimmung aller Anwesenden, auf der Bühne wie im Publikum, entlud sich dann schließlich in einen Sturm der Euphorie.

Am rührendsten geschah dies im Fall von Samuel Youn, dem koreanischen Ersatzmann, der die schwere Bürde eines Auftritts anstelle von Evgeny Nikitin mit bewundernswerter Konzentration und Souveränität getragen hatte. Er erhielt, nachdem diese Notoperation geglückt war, einen gigantischen Applaus, für den er sich auf Knien bedankte. Ein erschütterndes Zeichen dafür, wie sehr er selbst mit der Ablehnung des Publikums gerechnet hatte. Vom ersten Moment seines Auftritts an, merkte man, dass er regelrecht um sein Leben sang.

Dass dem späten Einspringer ein solcher Erfolg ohne Zwischenfälle gelingen konnte, lag auch daran, dass der Rest des Ensembles ihn regelrecht getragen hat, allen voran seine Senta, Adrianne Pieczonka und Daland Franz-Josef Selig. Die Szenen mit ihnen und dem Holländer gelangen so homogen, als hätten sie wochenlang Zeit gehabt, sich aufeinander einzustellen. Soweit die emotionale, sehr erfreuliche Komponente des Abends.

Unter Thielemanns pompösem Dirigat

Fast ebenso schön war die musikalische Ebene: Hier dominierte Christian Thielemanns Dirigat, der mit reichlich Bayreuth-Erfahrung gewappnet, wie ein Fels in der Brandung die nervösen Kräfte zu einem Ganzen bündelte. Das gelang ihm nach einigen (rein mentalen) Anlaufschwierigkeiten in der Ouvertüre sehr gut, wo er und das brillante Festspielorchester erst ins Fahrwasser kommen mussten und die Gäste noch hörbar dabei waren, sich innerlich vom roten Teppich auf die Oper umzustellen.

Thielemanns Interpretation war Geschmackssache. Zwar konnte er das Sausen und Brausen der Streicher auf den Punkt kontrollieren, was ein bisschen so klang, als machte das Orchester alles perfekt auf Knopfdruck mit, doch ein Eintauchen in den Ozean war nicht zu fühlen. Es klang über weite Strecken alles sehr blechlastig knatternd und beeindruckend, was beim Premierenpublikum sehr gut ankam. Der Dirigent stellte absichtlich keinen Bogen her, sondern grenzte die verschiedenen Themen in Wagners Musik stark voneinander ab, wobei er nicht mit großen Effekten geizte und die Tempi und Stimmungen sehr unterschiedlich zelebrierte. Das Erlösungsthema zum Beispiel führte er sehr pathetisch und choralartig ein. So blieb es mehr bei einem Film mit bewusst gesetzten Schnitten und manche großartigen Passagen hörten sich etwas absichtsvoll zerstückelt an, zum Beispiel die Ouvertüre und die große Chorszene (Steuermann, lass die Wacht) mit dem gegeneinander Ansingen von Daland und des Holländers Matrosen.

Die Sänger waren die Sieger

Christa Mayer als Mary, Adrianna Pieczonka als Sente.Christa Mayer als Mary, Adrianna Pieczonka als Sente.Foto: Bayreuther Festspiele Enrico Nawrath


Die Sänger waren die Seele der Aufführung und wie sie für das Gelingen des Abends kämpften, war menschlich und künstlerisch beeindruckend. Glücklicherweise besaßen sie alle große Stimmen, die mit Thielemanns Stil kein Problem hatten. Sie alle hatten zum Glück den Bogen und den Ausdruck, den man in der Inszenierung vermisste: Angefangen beim Steuermann, einem, spröden, schlanken und hohen Tenor (Benjamin Bruns), der in sein Lied richtig viel Herz und auch ein bisschen güldenen Schmelz legte, obwohl er seinem Mädel ja gar kein gülden Band, sondern eine Glamourklamotte mitbringen würde. Der väterlich warme und charaktervolle Bass Franz Josef Selig war von der Regie leider dazu angehalten, sich vor allem aus materialistischen Gründen zu freuen, was er glaubwürdig und spielfreudig in die Tat umsetzte.

Der Holländer Samuel Youns war dramatisch und düster, zwischen abweisender Kälte und einem weichen Kern angelegt. Er konnte sich ausdrucksstarke Brüche und Ausbrüche leisten und meisterte die schwierige Partie bis auf den Beginn des Liebesduetts, wo er gerne Pianissimo-Legato gesungen hätte, es aber nicht hinbekam, stimmlich sehr souverän. Was ihm in diesem romantisch unergründlichen Moment (der dennoch zum musikalischen und emotionalen Höhepunkt des Abends wurde) an Elastizität fehlte, hatte seine Partnerin in großer Menge: Adrianne Pieczonka sang eine wunderbar jugendliche, leuchtende und kraftvoll intensive Senta und das von der ersten bis zur letzten Minute. Ja, sie sang sie tatsächlich, wurde niemals zur kreischenden Furie, auch nicht in der dazu verführenden „Ballade“, wo sie jedes einzelne „Johohe“ und die Spitzentöne am Schluss auf Schönheit und Ausdruck formte und das war eine echte Sternstunde. Dazu kam noch ihre starke Bühnenpräsenz. Soviel liebevoll ausgelebte „Girlpower“ hat Bayreuth schon lange nicht mehr erlebt und deshalb war sie der absolute Publikumsliebling.

Sehr emotional und stark war auch der Erik von Michael König, der mit seinem heldisch strahlenden Tenor eine ernsthafte Konkurrenz zum Holländer darstellte und ebenso Gefühl mit Drama verband. Er hätte wirklich einen besseren Job verdient, doch hatte er ausgerechnet den dümmsten: Er war ein Hausmeister im karierten Hemd, mit Silikonspritze und leerem Portemonnaie, womit wir auch schon bei der dritten Erlebnisebene, dem szenischen Geschehen wären.

Statt der Katastrophe kamen Klischees

Und da gab es viel leere Luft. Dass in der Geschichte vom fliegenden Holländer das Meer die Hauptrolle spielt, weil es ein universelles Sinnbild für das Ausgeliefertsein des Menschen an höhere Gewalten ist, vergisst man gleich zu Beginn, weil die Szene jeden Bezug dazu verweigert. Da stehen Daland und der Steuermann als Geschäftsleute in grauen Anzügen in einem kleinen Boot auf spiegelglattem schwarzem Boden. Vor einer schicken Gerüstarchitektur, die kein Bankenhochhaus ist, aber doch etwas Ähnliches sein soll. Es zuckt alles vor gewitterartigen Neonblitzen und rechnenden Zahlenreihen, denn wir haben es hier mit einem hochengagierten, aktuellen Krisen-Szenario zu tun: Der Holländer ist ein Finanzhai, dem sein unermesslicher Papierreichtum, den er im schwarzem Koffertrolley mit sich führt, auch nicht glücklich macht.

Dass es in Wagners Geschichte jedoch um weit mehr, nämlich um Leben und Tod geht, versuchte Samuel Youn trotzdem verzweifelt zu kommunizieren! Als ewig Verdammter wird er hier nicht nur vom Satan, sondern während seines Auftrittsmonologs auch von Regiedämlichkeiten heimgesucht, gegen die man spontan protestieren wollte. Da wurden Coffee-To-Go Becher zu Boden geschleudert und eine Pelzmantel-Prostituierte, die plötzlich in Strapsen dastand, mit Geldscheinen beschmissen. Und was geschah wohl an der Stelle „Wann dröhnt er, der Vernichtungsschlag, mit dem die Welt zusammenkracht?“ Genau: Alle Zahlenanzeigen sprangen auf Null.

Daland, der Ventilatoren-Fabrikant

Franz-Josef Selig als Daland, rechts Samuel Youn als Holländer.Franz-Josef Selig als Daland, rechts Samuel Youn als Holländer.Foto: Bayreuther Festspiele Enrico Nawrath


Die weiteren szenischen Entwicklungen blieben auf demselben Niveau: Im zweiten Bild erfahren wir nämlich, das Daland Produzent eines läppischen Standventilators namens „N1H-1L“ ist und der Lateiner merkt sofort, dieses Geschäft ist nichts. Dafür haben die Chordamen sehr viel Spaß beim Einpacken des Produktes in Kartons und beim Verladen derselben auf Europaletten. Auch Christa Mayer hat hier einen kurzen, fast neckischen Auftritt als Buchhalterin Mary.

Und am Ende des Dramas, nach dem großen Crash, der gelungenen Unternehmensfusion – oder war es eher ein anarchischer Liebesakt? Senta und der Holländer verbrennen nämlich kurz vor Schluss gemeinsam den Inhalt seines magischen Geldkoffers. Am Ende also, nachdem Senta sich lächelnd erstochen hat und synchron dazu ein roter Farbbeutel geplatzt ist, der das Hemd des Holländers mit Theaterblut durchtränkt, gibt es eine höchst lebendige Umarmung der eigentlich Sterbenden auf einem großen Kartonturm, die zum Vorbild des nächsten, völlig sinnfreien Produktes aus Dalands Fabrik wird. Der Vorhang schließt sich und öffnet sich zu den letzten Takten der Erlösungsmusik wieder und wir sehen die adretten Damen beim Verpacken einer Figur, die die Umarmung des Liebespaares darstellt und die schöne Bezeichnung „3T3R-N4L“ trägt. Ein verschlüsseltes „eternal“, englisch für „ewig“.

„Geld oder Liebe?“ statt echter Romantik

Das Geld verbrennt, aber die Liebe bleibt. Dass seine romantische Oper mal eine derart willkommene Projektionsfläche für die Ängste und wirtschaftlichen Nöte einer weit entfernten Generation bieten würde, hätte Wagner, der selbst nur zu gut wusste, was finanzielle Sorgen sind, bestimmt nicht zu hoffen gewagt. Das Premierenpublikum jedenfalls war ganz und gar hingerissen. Und das, obwohl weder Kostümbild (Karin Jud), noch Bühnenbild (Christof Hetzer) oder Lichtführung (Urs Schönebaum) irgendwie bemerkenswert, stimmungsvoll oder gar kreativ waren.

Warum Senta zum Beispiel alles mit roter Farbe bemalt und sich einen Papp-Holländer gebastelt hat, der aussieht wie ein überdimensionales Legomännchen? Schwer zu sagen. Sehr ärgerlich war auch, dass die Chorherren nur als anonyme Masse mit dümmlicher Gestik agieren durften. Natürlich lieferten sie dazu die gewohnt stupende, sängerische Leistung, einstudiert von Eberhard Friedrich.

Wahrscheinlich lag es an diesem selbstgefällig motivierten Grinsen, das bis auf den Holländer und den armen Erik fast jeder auf der Bühne zur Schau trug, dass sich Tiefgang und Gruselschauer an diesem Abend unmöglich einstellen konnten. Und die sind doch eigentlich die Hauptzutat zu einem guten „Fliegenden Holländer“. Die Regie kassierte ein deftiges Buh-Konzert.

Fazit: Fantastische Sänger in einem Inszenierungs-Derivat, für das leider viel Geld verbrannt wurde. Allen Wagnerianern, die mit dem Gedanken spielen, Teilhaber an dieser Aufführung zu werden um daran seelisch zu profitieren, sei geraten, in das Papier GII/16 zu investieren, den Hörplatz.

 

 

 

 



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