Die Muschel, der Wanderarbeiter und die unpolitische Schreibe

Titelbild
(Eckehard Kunkel/Epoch Times Deutschland)
Von 29. September 2009

Ungefähr 50 Leute sitzen im Konferenzraum. Die Sinologin Dr. Sabine Hieronymus eröffnet als Moderatorin der Veranstaltung in Heidelberg die Autorenlesung, die anlässlich der Buchmesse am 23. September stattfand.

„Dichter wie Clemens Brentano oder Heinrich Heine haben den Weg nach Heidelberg gefunden,“ so Hieronymus. Nun kommen aus dem fernen China auch die Jungautorin Zhang Yueran, eine Vertreterin der chinesischen Gegenwartsliteratur sowie Jing Yongming, der mit seiner Romanserie über die Wanderarbeiter in China schon die Aufmerksamkeit der Leser gewann.

Zhang Yueran liest aus ihrem Buch „Der Eidvogel“ – natürlich auf Chinesisch. Das Buch führte 2006 die Rangliste der besten chinesischen Romane an. Zhang Yueran hat sich in ihrem Schreibstil von der traditionellen chinesischen Erzählform „huaben“ inspirieren lassen. Die vorgelesene Textpassage hat den Untertitel „Die Muschel“. Die Autorin erzählt, wie ihre Liebe zum Meer sie zu dieser Geschichte inspiriert hatte. In „Die Muschel“ beschreibt sie in einem inneren Monolog, wie Muscheln von Legenden erzählen, von Erinnerungen, die in ihnen versteckt seien und dass man sie wie Stimmen hören könne.

Roman Roth, bekannt aus dem Fernsehen, liest auf dem Podium die deutsche Übersetzung: „…Das Wasser des Meeres antwortete mir Welle um Welle, dazu drehte sich die Muschel wie ein Stern. Da erst verstand ich, dass sie doch voller Geschichten war. Ich hob meinen Kopf, blickte Chun Chi an und lachte freudig auf….“

Eine Frage aus dem Publikum: „Sind Ihre Texte von der Tang-Lyrik beeinflusst?“ Die Autorin antwortet, dass sie als Kind traditionelle Literatur gelesen hätte, jedoch damals ein Gefühl von Abneigung dagegen hatte. Erst in Singapur, wo sie zum Studium hinzog und schließlich unter Heimweh litt, begann sie wieder chinesische  Klassiker zu lesen und auch die innere Kraft dieser Dichter zu spüren.

Man könnte aber auch meinen, dass „Die Muschel“ Ausdruck der Suche nach einer kulturellen Identität ist, die durch die Kulturrevolution zerstört worden ist. Immerhin hat die Autorin im Ausland, in Singapur, erst wieder Interesse an den klassischen chinesischen Werken gefunden. Vielleicht weil die Fremde einen eher nach den eigenen Wurzeln suchen lässt, vor allem, wenn dort mehr Freiheit herrscht? Singapur ist eine parlamentarische Demokratie mit Einschränkungen, die nicht so weit gehen wie im kommunistischen China. Das gegenwärtige chinesische Schulsystem jedenfalls lehrt keine chinesische Kultur: keinen Laotse, keinen Konfuzius.

Der Autor Jing Yongming stellt sein Buch "Ein Pekinger Zugvogel" vor und stellt sich anschließend den Fragen aus dem Publikum. (Eckehard Kunkel/Epoch Times Deutschland)Der Autor Jing Yongming stellt sein Buch "Ein Pekinger Zugvogel" vor und stellt sich anschließend den Fragen aus dem Publikum. (Eckehard Kunkel/Epoch Times Deutschland)

Während Zhang Yueran den Zuhörer an dem reichen emotions-geladenen Innenleben einer Erzählerin teilhaben ließ, malte Jing Yongming in „Ein Pekinger Zugvogel“ mit sehr lebendigen und humorvollen Worten das facettenreiche Bild der Beziehung zwischen einem in Peking lebenden Onkel und seinem als Wanderarbeiter nach Peking gekommenen Neffen während eines Nachhauseweges.

Bis 1998 arbeitete Jing Yongming in einem Kohlebergwerk. „Viele bekamen kein Gehalt“, erzählt der 1958 geborene Autor. Er wurde Wanderarbeiter, landete – oder strandete in Peking und lebte dort das Leben seiner Romanfiguren in der untersten Gesellschaftsschicht Chinas.

Für Jing Yongming sei es nichts anderes, ob er im Heimatland oder im Ausland schreibe, so die Antwort des Autors auf eine Frage aus dem Publikum. Dass es aber für einen Autor ein Unterschied sein kann, im kommunistischen China zu leben oder anderswo, zeigt der Vorfall des regimekritischen Autor Liao Yiwu, der schon bei dem Versuch einer Einreise nach Deutschland zur Buchmesse auf regimegemachte Probleme stieß: Ausreiseverbot.

Am Ende erfahren die Besucher der Lesung, dass es in China keine Tradition gibt Texte vorzulesen auf diese Art und Weise, wie es in dieser Präsentation geschah. Dazu die junge Autorin: „Gefühle so auf diese Weise auszudrücken, sind wir noch nicht gewohnt.“ Man könnte meinen, hierbei sei in getarnter Form gesagt worden, dass auch die Meinungsfreiheit noch nicht gewohnt ist. Und dies in einem Land, welches Ehrengast einer bekannten Buchmesse eines demokatischen Landes sein soll.

Erschienen in The Epoch Times Deutschland Nr. 37/09

(Eckehard Kunkel/Epoch Times Deutschland)
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