Dieter Hildebrandt ist auch mit 84 kein bisschen leise

Was denkt ein Mann, der durchs Schimpfen berühmt wurde? Dieter Hildebrandt sprach mit Epoch Times Redakteurin Rosemarie Frühauf über die Besserungsfähigkeit des Menschen, ein bisschen Fußball, ein Verdienstkreuz und einen verfrühten Nachruf.
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Dieter Hildebrandt.Foto: Daniel Schäfer
Epoch Times15. Juni 2011

Wie alles anfing …

Epoch Times: Als junger Mensch, hätten Sie gedacht, mal so groß in der Öffentlichkeit zu stehen?

Dieter Hildebrandt: Natürlich nicht, da erwischt einen manchmal das Glück, der Zufall. Das mischt sich dann vielleicht mit ein wenig Talent und auch vielleicht so etwas wie einer Durchsetzungskraft. Dann kommt so etwas zustande, aber man kann nicht damit rechnen. Nein.

Epoch Times: Spielen Sie auf der Bühne sich selbst, haben Sie Ihr Bühnen-Ego erfunden?

Hildebrandt: Nein ich bin immer ich selbst. Ich bin kein Schauspieler in dem Sinn. Ich habe zwar Schauspieler gelernt, aber ich habe es nicht ausgeübt. Hin und wieder habe ich dann mal ’ne Rolle gespielt. So ichbezogene Rollen. In der Theaterwissenschaft gibt es so zwei Begriffe, nämlich der Ich-Schauspieler und der Er-Schauspieler und da gehöre ich zu der ersteren Gattung.

Epoch Times: War Ihre Form, die Politik auf die Schippe zu nehmen und damit verbessernd in die Welt einzugreifen, selbst gewählt oder geschichtliche Notwendigkeit?

Hildebrandt: Da passierten viele Dinge. Das eine war, dass ich als Kriegsteilnehmer und im Dritten Reich Erzogener nach 1945 irgendwie das Gefühl hatte, dass sich die Zeit geändert hatte, dass etwas Neues eingetreten ist. Und das ist es ja auch. Das ist nämlich der Versuch gewesen, in Deutschland etwas noch nie Dagewesenes zu schaffen, nämlich eine Demokratie. Das heißt also, eine Republik. Das hat mich sehr interessiert. Ich war damals in den ersten Studienjahren und da hat mich die Politik dann wiederum erwischt insofern, als es die Studenten- und Kulturpolitik war, die in München stattfand und die mir nicht behagt hat. Und die nicht nur mir nicht behagt hat. In der Asta-Vollversammlung da ist das passiert, da bin ich dann ein wenig explodiert und da hab ich festgestellt, dass das Ergreifen des Wortes, was ich in diesem Fall tatsächlich gemacht hab, ich hab mich eigentlich ohne angemeldet zu sein, zu Wort gemeldet und hab mich nicht vertreiben lassen. Und der eine von den rechten Studentenverbindungen zog mich nach rechts rüber vom Podium weg, und der andere, von den farbentragenden und schlagenden Verbindungen stand auf der anderen Seite, hat mich nach links ziehen wollen. Und nachdem der eine links und der andere rechts zog blieb ich in der Mitte.

Das heißt, ich konnte also meine noch etwas groben und grobgezimmerten Formulierungen unterbringen. Aber sie kamen an! Und ich habe festgestellt, als ich mich da durchgesetzt habe, von dem Moment an hab ich das Gefühl gehabt, dass die Politik erstens mich interessiert und zweitens die Ausübung von Kritik an dieser Politik für mich ganz wichtig war.

Und dass man dadurch auch polarisieren kann. Man kann also Meinungen schaffen, Blöcke schaffen, was ja für die Demokratie auch nicht so ganz unrichtig ist.

Also, es ist einiges zusammengekommen. Die geschichtliche Notwendigkeit, die hab ich nicht so gespürt. (lacht) Es ist vielleicht auch etwas überformuliert. Die geschichtliche Notwendigkeit? Da würde ich sofort anfangen, daran herumzukratzen und sagen: „Muss er das sagen?“

Epoch Times: Sie sehen, ich polarisiere auch so ein bisschen.

Hildebrandt: Ja, ich merke.

Epoch Times: Überzeichnen hilft manchmal.

Hildebrandt: Ja, es macht die Wahrheit etwas deutlicher.

Stehengeblieben im Hier und Jetzt

Epoch Times: Was mir auffällt, Sie gründen ja wirklich in dieser Zeit, Sie holen aus bis zum Zweiten Weltkrieg und zur Hitlerjugend, und wer kann das heute noch?

Hildebrandt: Ja, weil ich gehöre zu den noch Überlebenden, Überlebthabenden.

Epoch Times: Ihren Text „Mohnklößchen“ 1945 fand ich sehr beeindruckend; da dachte ich mir, dass wir uns das heute nicht mehr vorstellen können, so zu leben bzw. zu überleben.

Hildebrandt: Naja, Sie werden feststellen, dass wenn die Notwendigkeit auf Sie zukommt, die geschichtliche Notwendigkeit – da haben wir sie wieder – wenn die kommt und Sie sind gezwungen das auszuhalten, dann werden Sie es auch schaffen. Nur ich sehe nicht die Notwendigkeit, es zu probieren … Das muss ja nicht sein. Wir hätten ja auch um diesen Krieg herumkommen können, und das wär’ uns nicht schlecht bekommen.

Epoch Times: Sie waren immer sehr zackig und temporeich – wie ist das für Sie, in einer Zeit älter und langsamer zu werden, die selbst immer schneller wird?

Hildebrandt: Ich bin nicht langsamer geworden, ich bin nur etwas ruhiger geworden, etwas bedächtiger, etwas gelassener geworden. Das bedeutet aber nicht langsamer. Ich gehe durchaus mit dieser Zeit. Ich versuche, das Tempo dieser Zeit auch durchaus zu begreifen und zu halten, aber natürlich versuche ich sie auch zu verlangsamen. Ich versuche zu sagen, behaltet einen kühlen Kopf, was jüngere Generationen mit cool bezeichnen.

Epoch Times: Das ist mir aufgefallen, als ich in Potsdam Ihr Programm anguckte. Sie sind einer, der sehr präsent ist, der absolut den Anschluss geschafft hat. Und das schaffen manche ja nicht.

Hildebrandt: Das fällt mir selbst an mir nicht so auf, weil ich einfach das immer weitermache, was ich immer gemacht habe. Das kann man auch als Stehenbleiben bezeichnen.

Epoch Times: Wahrscheinlich, weil Sie sich immer auf das Hier und Jetzt konzentriert haben und auf die Probleme, die gerade da waren.

Hildebrandt: Und höchstens auf die Zukunft, die ja immer da war und höchstens aus den Bruchstücken der Vergangenheit zusammengesetzt ist.

Veräußerlicht statt verinnerlicht

Epoch Times: War die Zukunft für Sie in Ihrem Leben eigentlich immer ein Antriebsfaktor?

Hildebrandt: Ja. Ich habe immer versucht, mich einzumischen, um sie erträglicher zu machen.

Denn sie ist ja nicht schöner geworden, sie ist ja nicht besser geworden, die Perspektiven sind nicht unbedingt zahlreicher geworden, die Auswahl ist geringer geworden und wir sind, unser Nervensystem ist nicht unbedingt stärker geworden. Wir werden doch langsam immer nervöser.

Und das liegt daran, dass sich unser Leben einfach explosionsartig entwickelt. Wir gehen einfach Entwicklungen nach, die wir noch gar nicht begreifen. Ich hab manchmal das Gefühl, wir benutzen die Technik, haben aber noch nicht mal begriffen, wie das Telefon geht.

Epoch Times: Ja, das stimmt.

Hildebrandt: Aber wir benutzen es natürlich, das ist selbstverständlich; nur das Phänomen, das uns da begleitet, mit dem wir arbeiten, haben wir vermutlich noch gar nicht so richtig verarbeitet.

Wir haben’s veräußerlicht, aber nicht verinnerlicht.

Epoch Times: Was denken Sie über unseren heutigen Zustand? Werden die Menschen dümmer? Oder werden die Anforderungen an uns höher?

Hildebrandt: Da gibt es die verschiedensten Auseinandersetzungen darüber, ob wir eigentlich viel mehr begabt sind und es nicht ausnutzen oder ob wir gar nicht so begabt sind, wie man von uns verlangt.

Ich bin der letzteren Ansicht. Ich bin nicht der Meinung, dass unsere Fähigkeiten so riesengroß sind, dass wir sie ausnutzen sollten. Sondern ich bin der Meinung, dass wir überfordert sind. Und zwar seelisch überfordert sind. Und dass unsere Gefühle verrohen und das unser Zuhören geringer wird. Dass wir autistisch werden langsam mit der Zeit und dass wir verfingern. Und dass wir unsere sozialen Pflichten gerne vergessen würden und auf das Soziale etwas verächtlich herunterschauen.

Die Erfindung des sogenannten „Gutmenschen“ ist so ein Zeichen. Hier wird ein Wort erfunden, dass von den Intellektuellen gebraucht wird, meiner Ansicht nach auch teilweise missbraucht wird.

Dieter Hildebrandt: „Ich kann immer noch erschrecken über den geistigen Zustand von Menschen, die andere Menschen gewählt haben.“Dieter Hildebrandt: „Ich kann immer noch erschrecken über den geistigen Zustand von Menschen, die andere Menschen gewählt haben.“Foto: Christoph Vohler

Weil dieses Wort etwas bezeichnet, das es gar nicht gibt. Ein Mensch der gut ist, der kann nicht in den ironischen Brennpunkt geraten, man kann ihn nicht verspotten wollen. Das kann nicht sein, da ist irgendetwas falsch. Und wenn das Wort aber zusammengesetzt wird aus „gut“ und „Mensch“, und beides sollte ganz gut sein, dann kann es nur sein, dass der Mensch böse ist und wenn er gut ist, ist er eigentlich komisch … (lacht).

Das ist merkwürdig, aber die Sprache entsteht ja aus einem Denken heraus, aus einer Philosophie, die wir als Philosophie gar nicht so begreifen, die aber in uns ist.

Epoch Times: Sie meinen, wenn ich betonen muss, dass der Mensch gut ist, setze ich im Grunde genommen einen schlechten Menschen voraus?

Hildebrandt: Ja, offensichtlich.

Ein unverbesserlicher Optimist

Hildebrandt: Ein Autor in den 20er-Jahren, Leonhard Frank, ein Schriftsteller der sich damals in der Nähe des Literaturnobelpreises bewegt hat, der schrieb ein Buch „Der Mensch ist gut“. Dafür erntete er reichlichen Spott, weil diese Behauptung als ein Leichtsinn, eine Dummheit bezeichnet wurde. Der Mensch wäre nicht gut. Der Mensch ist des Menschen Wolf, so ist ja die Meinung.

Das kann nicht sein! Das glaube ich nicht. Ich glaube, der Mensch ist besserungsfähig.

Und ich meine, dass ich da manchmal sogar in die Nähe der christlichen Ethiker komme, die behaupten, „der Mensch ist gut“. Nur von den Wirren des Alltags wird er verdorben.

Aber das kann nicht sein, denn es gibt auf der anderen Seite Menschen, die Menschen helfen. Es gibt Menschen, die sich bemüßigt fühlen, Gutes zu tun und zu verbessern. Und da kenne ich eine Reihe von Menschen. Und dann gibt es auch Literatur dafür, die zu lesen wichtig wäre. Es ist noch vieles ungelesen, was vor hundert Jahren geschrieben wurde. Es nicht so, dass nichts verbesserungsfähig ist.

Epoch Times: Das heißt, Sie sind grundsätzlich Optimist?

Hildebrandt: Ja!

Epoch Times: Was, denken Sie, können wir machen, um das Gute als Grundvoraussetzung zu pflegen und um es nicht mehr so betonen zu müssen?

Hildebrandt: Wissen Sie, wenn ich das wüsste, dann wäre ich jetzt wahrscheinlich berühmt, hätte mehrere Bücher geschrieben und alle würden nach meinen Rezepten leben.

Das ist es ja gerade! Ich fühle eine ähnliche Ohnmacht wie Millionen von anderen Menschen auch. Ich habe nur den Verdacht, dass man das ändern könnte. Ich habe nicht die Gewissheit und ich habe auch nicht die Kenntnis der Methoden, die man anwenden müsste. Ich kenne auch nicht die politische Zauberidee, wie man hinüberkommt, ich kenne auch nicht die Partei, die man gründen müsste.

Epoch Times: Ich weiß auch nicht, ob das mit einer Partei ginge …

Hildebrandt: (süffisant) Naja, ich sage das ja auch an letzter Stelle …

So ähnlich wie Hundeerziehung

Epoch Times: Wo, finden Sie, hört der Spaß auf? Worüber darf man keine Witze mehr machen?

Hildebrandt: Der Spaß kann ruhig grimmig sein. Eine Pointe bedeutet ja nichts anderes, als etwas auf den Punkt bringen. Deshalb heißt es ja Pointe. Das heißt, es gibt Dinge, die bringt man auf den Punkt und den Menschen gefriert das Lachen. Weil sie wissen, dass es die Wahrheit ist.

Sie haben nur nicht so konsequent darüber nachgedacht. Sie haben’s nicht zu Ende gebracht. Und das ist es, was unsere Arbeit sein sollte, Dinge zu Ende zu bringen, zu Ende zu denken. Und da gibt es in diesem Lande einen, der heißt Georg Schramm. Das ist ein Vertreter unserer Kunstgattung, der dafür gefürchtet ist, dass er etwas zu Ende denkt. Und das endet natürlich nicht immer im Wohlgefallen. Sondern in der Grube. Also, den Tod unseres Wohlstands immer vor Augen, wir bringen uns um, wenn das so weitergeht.

Epoch Times: Wird in Krisenzeiten der Humor schärfer?

Hildebrandt: Ja natürlich, wenn die Krise schärfer wird, dann wird auch der Humor schärfer. Das ist so, als wenn Sie verzweifelt versuchen, Ihrem Hund beizubringen, dass er nicht auf die Straße gehen darf, weil er da überfahren wird. Das heißt, mit der Zeit richten Sie an Ihren Hund immer schärfere Befehle. Aber Sie wollen doch nur seinen sicheren Tod verhindern!

Keine Partei hat immer Recht

Epoch Times: Sie haben viel Freches über andere gesagt, was war der Frechste, das vermutlich über Sie gesagt wurde?

Hildebrandt: Also wenn jemand die Wahrheit entdeckt, und sie ausspricht und ich sage erschrocken, oh Gott, das stimmt sogar, dann ist es nicht frech sondern dann ist es bitter.

Frech ist eigentlich nur, wenn jemand etwas von mir behauptet, das nicht stimmt.

Und da ist das Frechste, was über mich behauptet wurde, ich wäre ein Kommunist. Das bin ich nun grade nicht! Weil ich sicherlich ein Mensch bin, der eine Einschränkung seiner Meinung, seiner Meinungsfreiheit und seiner Informationsmöglichkeit hasst wie die Pest. Also, ich könnte nie zum Beispiel der Doktrin „die Partei hat immer Recht“ zustimmen – zunächst müsste ich erst mal sehr darüber lachen, dass das überhaupt jemand behauptet.

Epoch Times: Sie wurden politisch ja immer etwas in die Richtung der Sozialdemokraten eingeordnet. Sie aber selbst sagten: „Das kann ich gar nicht gewesen sein, ich bin zu oft von der Parteilinie abgewichen.“

Hildebrandt: Naja sicher, ich wäre schon einige Male rausgeworfen worden. Das hat mir der Wolfgang Neuss, den ich sehr liebe, der aber leider nicht mehr lebt, immer gesagt, „tritt nicht ein, du fliegst gleich wieder“. Bei ihm ist es nämlich passiert, er ist zweimal drin gewesen und ist zweimal rausgeflogen.

Wolfgang Neuss war vielleicht der beste Kabarettist in Deutschland. Er ist 1988 gestorben. Er war ein Berliner. Leider Gottes ist seine Berühmtheit bei den jungen Leuten nicht vorhanden. Er war immer hart an der Grenze zur notwendigen Geschmacklosigkeit. Er wurde auf der einen Seite geliebt und auf der anderen Seite gehasst. Ein glänzender Zustand für einen Kabarettisten.

Heucheln geht nicht

Epoch Times: Mit 84 Jahren, sind Sie da wirklich noch schockiert über das, was die gewählten Volksvertreter so sagen, oder denken Sie nur „wieder eine Steilvorlage für mein Programm“?

Hildebrandt: Sie halten es nicht für notwendig, ich bin immer noch zu schockieren. Ich kann immer noch erschrecken über den geistigen Zustand von Menschen, die andere Menschen gewählt haben.

Epoch Times: Dann sind Sie also schockiert, weil Sie immer noch hoffen, und nicht den Glauben aufgeben, dass es besser wird?

Hildebrandt: Richtig, stimmt genau.

Epoch Times: Und warum haben Sie das Bundesverdienstkreuz abgelehnt?

Hildebrandt: Weil ich es als Heuchelei empfinden würde, wenn ich meine ganze Arbeit verwendet habe, um zu schimpfen, dann von diesem Institut, das ich beschimpft habe, noch ausgezeichnet zu werden. Weil ich möchte die anderen nicht zur Heuchelei verleiten! Das wäre unfein. Deshalb fragen die immer vorher an, ob man´s annimmt. Ich wollte daraus kein großes Theater machen.

Ich halte es für selbstverständlich, dass man das nicht annimmt.

Epoch Times: In ihrer Position, da sehe ich das auch für selbstverständlich an.

Hildebrandt: Ja, wenn ich zum Beispiel einen großen Film gemacht hätte und ich bekomm’ einen Filmpreis und den Filmpreis überreicht mir der Ministerpräsident, dann hab ich zwar ein gewisses Zaudern, aber ich sehe die Notwendigkeit das anzunehmen, weil ich ja etwas an einem Kunstwerk gemacht habe, das hat ja mit der Politik und dem Politiker, der mir die Auszeichnung Kraft seines Amtes überreicht, nichts zu tun. Aber in meinem Falle hat es mit der Politik sehr stark zu tun.

Epoch Times: Das stimmt. Wann war das?

Hildebrandt: Das muss ungefähr vor zehn, zwölf Jahren gewesen sein. Preise bekommt man sehr oft, weil man das Alter erreicht hat, in dem man den Preis sozusagen „verdient“ hat und wenn man etwas abschließt. Dass muss in der Zeit gewesen sein, als ich langsam die Sendung [Anm. der Red. den „Scheibenwischer“] aufgegeben habe. Und wahrscheinlich hat man mir dann gesagt: So, zum Abschluss wollte man dir noch sagen „du hast dich verdient gemacht um den Bund“. Das heißt ja „Bundesverdienstkreuz“. Und das halte ich nun wirklich für komisch, kann ich nicht annehmen.

Ein Beispiel aus dem Fußball

Epoch Times: Was bewegt Sie? Wie kann Ihrer Meinung nach ein Mensch die Welt verbessern?

Hildebrandt: Also ich sag Ihnen jetzt mal ein kleines Pars pro Toto, wodurch ich zu rühren bin und glaube, dass die Welt besserungsfähig ist: Ich bin ein Fußballfan.

Wenn ich sehe, dass ein Bundesliga-Fußballspieler, bei dem es, sobald er den Ball hat, um Geld geht – denn er hat das Spielobjekt im Moment am Fuß und mit ihm steht oder fällt vielleicht eine Rieseneinnahme seines Clubs – und er trotzdem einem anderen Spieler, der ihm den Ball wegnehmen will, nicht mit einem Foul begegnet, wenn der andere besser ist, weil er sagt, „er ist halt besser“, und er haut ihm nicht die Beine weg, statt den Ball zu treffen … Dann kommen mir vor Rührung die Tränen.

Epoch Times: Ernsthaft?

Hildebrandt: Ja, ernsthaft. Mich rührt Fairness, weil ich der Meinung bin, das ist langsam eine Kostbarkeit geworden. Dadurch melde ich den Zweifel am Fortgang der Menschheit an, aber gleichzeitig auch die Tatsache, dass es Ausnahmen gibt. Und die Ausnahmen könnten zunehmen.

Epoch Times: Wenn die Ausnahmen zunehmen, dann könnte es in die andere Richtung gehen …

Hildebrandt: Ja, oder ein anderer Zustand sein. Weil die Fairness kann man ja auf die Politik ausdehnen, nicht wahr? Deswegen sagte ich Pars pro Toto!

Zu früh gefilmt

Epoch Times: Sie gehören zu denen, für die der eine oder andere schon einen Nachruf in der Schublade hat …

Hildebrandt: Ja, aber sicher! Schon seit dreißig Jahren! Ich habe selbst den gespielt, der das betrieben hat.1965, da haben wir von Heinrich Bölls „Dr. Murkes gesammeltes Schweigen“ eine Fortsetzung gemacht, die allerdings künstlerisch vollkommen daneben ging und deshalb nie – zu unserer Freude nie – gezeigt wurde. Die Idee war, Dr. Murke wechselt zum Fernsehen und wird dort Redakteur für Nachruf-Filme.

Zehn Jahre später hat ein Regisseur gesagt, er möchte einen kleinen Film über mich drehen, mich auf der Tournee begleiten, dann mal ein Gespräch zu Hause haben. Was man so macht.

Nach ungefähr vier Wochen emsigster Arbeit hab ich einen Verdacht geschöpft und zu ihm gesagt, sag´ jetzt ehrlich, das, was du jetzt drehst, ist ein Nachruf, oder?

Daraufhin wurde er sehr verlegen und hat es natürlich abgestritten. Es stellte sich heraus, dass es natürlich ein Nachruf war. Ich habe damals wahrscheinlich nicht sehr gut ausgesehen. Ich glaube, der hat vermutet, dass ich eine Krankheit habe.

Epoch Times: Herzlichen Dank für das Gespräch, Herr Hildebrandt.

Dieter Hildebrandt.Dieter Hildebrandt.Foto: Daniel Schäfer


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