Erwachen im Frühling

Bezaubernd und wunderschön ist dieses Bild für den, der es zum allerersten Mal sieht – und doch hat sich Sandro Botticellis monumentale Allegorie des Frühlings „La Primavera“ für Kunsthistoriker als besonders harte Nuss erwiesen.
Titelbild
Foto: Puplic Domain
Von 22. April 2010

Von Botanikern wurden darauf über 400 verschiedene Pflanzenarten identifiziert, doch außer der nachweisbaren Detailfülle scheint sich der Zauber dieses idyllischen Gartens und seiner Bewohner rationalen Erklärungen zu entziehen.

Der ungewöhnliche Inhalt macht „La Primavera“ (Der Frühling) zu einem der meistdiskutierten Werke der Kunstgeschichte, weil über das Leben des Malers und seine Inspiration kaum etwas bekannt ist. Dass Botticelli von 1483 bis zu seinem Tod im Jahr 1510 Großmeister der Geheimgesellschaft „Priore von Zion“ war, beflügelte auf jeden Fall Theorien, die man über die Bedeutung des Bildes aufstellte. Literaturvorlagen aus der Antike, Neo-Platonismus, Renaissance-Astronomie und esoterische Erklärungsmodelle wurden bemüht, um herauszufinden, wer die Dargestellten sind und was hier genau vor sich geht.

Als gesichert gilt, dass das Bild einst im florentinischen Stadtpalast von Pierfrancesco di Medici hing und als Hochzeitsgeschenk für ein junges Paar, Lorenzo il Popolano und Semiramide Appiani in Auftrag gegeben wurde – wahrscheinlich zusammen mit „Camilla und der Kentaur“, einem weiteren Botticelli-Gemälde, in dem der Triumph der Selbstbeherrschung über die Leidenschaft thematisiert wird. Gemeinsam schmückten die Bilder ein Zimmer, das wahrscheinlich als Schlafgemach der Dame diente. Bilder, die an die Tugendhaftigkeit von Männern und Frauen appellierten waren beliebte Hochzeitsgeschenk in einer Zeit, die von Ehefrauen absolute Treue erwartete. Insofern war Botticellis Ausgangspunkt thematisch  ziemlich alltäglich.

Das Geheimnis eines objektiven Kunstwerks

La Primavera gilt als eines der wenigen Beispiele objektiver Kunst und enthüllt umso mehr faszinierende Bedeutungsfacetten, je genauer man es untersucht. Es scheinen darin Gesetzmäßigkeiten gespiegelt, die objektiv existieren aber in ihrem Ursprung unerklärbar sind. Die Neugier der Betrachter erhält dadurch stets neue Nahrung.

Die Allegorie des Frühlings, das Erwachen zu neuem Leben begegnet uns im Titel. Die dargestellte Welt scheint so real zu sein wie ein Traum, von dem innerlich fühlt, dass er wahr sein muss. Diesen Garten durchweht stille Heiterkeit und Harmonie, alles geschieht ohne Leidenschaft und Schmerz, und doch wird man das Gefühl nicht los, Zeuge eines Dramas zu sein.

Dargestellt sind die großen Themen, die den menschlichen Verstand überfordern: Handelt das Bild nun von den Wundern der Natur oder doch eher von menschlicher Leidenschaft? Vielleicht sollte man es am Besten als ein Bild über die Bedeutung der Liebe im Kreislauf der Natur und des Lebens betrachten.

Die Handlung des Bildes

Sie findet von rechts nach links statt: Der blaue Geist mit geblähten Backen bricht durch die Bäume um ein Mädchen zu fangen. Sie läuft vor ihm davon und scheint um Hilfe zu rufen, doch ihr unhörbarer Schrei verwandelt sich in Blumen. Neben ihr schreitet stolz eine blumenübersäte Frau. Diese Dreiergruppe gab den Anlass das Bild als Allegorie der Monate zu interpretieren: Dem Januar, stürmisch und kalt, folgt der Februar und darauf der erblühende März.

Aber wie wäre es, wenn all die Frauen des Bildes eigentlich für eine Einzige stehen und die beiden Männer für zwei Gesichter ein und desselben Mannes? Dann offenbart die Geschichte überzeitliche Gültigkeit: Die Frau wird in ihrer Zärtlichkeit und Hingabe als Quelle der Liebe und des Lebens verherrlicht und die Figuren stehen für verschiedene Momente, die sie in ihrem Leben durchlaufen muss.

Der in sich geschlossene Garten, Hortus conclusus, steht gleichzeitig für ihren Geist, ihren Körper, ihre innere wie äußere Welt. Die Blumen erblühen von selbst und das neue Leben entspringt  ihrem Körper genauso selbstverständlich wie die Pflanzen der Erde.

Am Anfang ist sie ein unwissendes Mädchen, das ängstlich dem furchteinflößenden blauen Mann zu entkommen versucht, der mit Gewalt in den Garten einbricht.

Dies ist der Verlust ihrer Jungfräulichkeit. Dadurch verwandelt sie sich in den ihr eigentlich bestimmten Zustand und ist von Stolz erfüllt, dargestellt durch die blumenstreuende Frau rechts und die offensichtlich schwangere Königin des Bildes in der Mitte.

Eine antike Inspiration

Die Geschichte der Nymphe Chloris, die vom Windgott Zephir geraubt wird und ihm verzeiht, wurde als literarische Inspiration hinter oben genannter Dreiergruppe entdeckt. Zephir bereut sein Ungestüm und gibt Chloris eine neue Identität als Blumengöttin Flora, deren Garten ewig blüht. Sie wurden ein glückliches Paar, wie Ovid in seinen Metamorphosen berichet.

Bemerkenswert ist die Zartheit und Grazie, mit der Botticelli sowohl Frauen als auch Blumen malte. Alles strahlt eine Aura von Unschuld und Heiligkeit, aber auch Zerbrechlichkeit aus.

Wie heilig die Liebe als Quelle des Lebens ist, bestärkt die Königin in der Mitte mit ihrer segnenden Geste. Sie wurde als seltener Fall einer bekleideten Venus identifiziert, die in der Ehe „gebändigte“ Leidenschaft. Myrtenzweige umgeben sie wie ein Heiligenschein und machen sie zur zentralen Gestalt des Bildes. Außerdem stehen sie für Ehe und Keuschheit.

Sie trägt einen roten Umhang, der demjenigen des jungen Mannes auf der linken Seite sehr ähnelt – eine eindeutige Verbindung zwischen den Beiden. Er stellt dem bedrohlichen Wingott vom Anfang den fürsorglichen Ehemann gegenüber.

Mit einem Kaduzeus-Stab, der ihn als Merkur ausweist, ist er aufmerksam dabei, dunkle Wolken zu verscheuchen, die sich am oberen Bildrand einzuschleichen drohen. Ein Schwert charakterisiert ihn zusätzlich als Beschützer des Gartens.

Der Kreislauf des Lebens als Tanz

Nahe ihm tanzen die drei Grazien friedlich im Kreis, diese stehen u.a. für Vergangenheit Gegenwart und Zukunft. Hier deuten sie auf die drei Stadien im Leben der Frau hin: Die erste von links ist das junge Mädchen, dass ihrer Reife entgegen sieht. Sie blickt freundlich auf die Mittlere, die die Frau in der Blüte ihrer Fruchtbarkeit darstellt.

Ganz offensichtlich bewundert diese den gutaussehenden Ritter am Bildrand. Die Hände der anderen treffen sich hoch über ihrem Kopf, was heißt dass sie sich in der besten Zeit ihres Lebens befindet. Auch der Pfeil des kleinen Amors ist auf sie gerichtet, was bestärkt, dass sie in ihn verliebt ist.

Die dritte Grazie wendet sich zu den anderen zurück, wie die alte Frau, die auf ihre Jugend zurückschaut. Die Lebensquelle ihres Körpers ist bereits versiegt und so trifft sich ihre Hand mit der ihrer Vorgängerin an der niedrigsten Stelle.

Die offensichtlichste Botschaft des mysteriösen Botticellis, dass Frauen heilig sind, weil sie neues Leben gebären können und dass es Pflicht der Männer ist, ihnen Wertschätzung, Schutz und Geborgenheit zu bieten. So wie der junge Mann links: Indem er die dunklen Wolken wegschiebt, kann der Tanz von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – also der Kreislauf des Lebens – ungestört weitergehen.

Foto: Puplic Domain


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