Fliegende Rosensträuße in Salzburg für Cecilia Bartoli

Im Rahmen der alljährlich stattfindenden Salzburger Pfingstfestspiele brachte Cecilia Bartoli „Orfeo und Euridice“ von Gluck zur Aufführung. Die gefeierte Mezzosopranistin war selbst in der Rolle des Orfeo zu hören.
Titelbild
Im Reich der Toten begegnen Orpheus selige Geister – junge Frauen, die nach leidvollem Leben ihren Frieden gefunden haben.Foto: SF/Monika Rittershaus
Von 1. Juni 2023

Das Publikum strömt an diesem lauen, frühsommerlichen Abend des diesjährigen Pfingstsonntags dem Salzburger Festspielhaus zu. Die Erwartung, Teil eines außergewöhnlichen Opernabends zu werden, liegt förmlich in der Luft. Der Saal „Haus für Mozart“ ist bis in die oberen Ränge gefüllt.

Es ist wahrlich ein Gesamtkunstwerk, welches in den folgenden gut eineinhalb Stunden die Zuschauer auf eine emotionale Reise mitnimmt. Chor, Orchester, Tänzer und die drei Gesangssolisten verschmelzen in eine dichte Darstellung, der die Menschheit bewegenden Emotionen: lieben und geliebt werden wollen, die Angst vor dem Tod, das Festhalten an den eigenen Vorstellungen und der als grausam erlebte Kontrollverlust, wenn das Leben uns verborgenen Regeln folgt.

Wahrhaftes, die Seele Berührendes

Willibald Gluck schuf Mitte des 18. Jahrhunderts mit diesem als Reformoper in die Geschichte eingegangen Stück eine intensive Melange aus Musik, Bildern und Worten – und Tanz. Sein Wunsch war, die Oper von Lächerlichkeiten und übertriebenen Koloraturen zu befreien und wieder zum Wesentlichen zu führen. In Salzburg war die selten gespielte Fassung aus Parma von 1769 zu hören.

Gluck komponierte die Partitur des Orfeo für den damals berühmten und mit ihm befreundeten Soprankastraten Giuseppe Millico. Ranieri de‘ Calzabigi schrieb das italienische Libretto dazu.

Der Handlung liegt der Mythos von Orpheus und Eurydike zugrunde: Dem begnadeten Musiker und Sänger Orpheus wird die Chance geboten, die Furien der Unterwelt durch seinen Gesang zu beruhigen und so lebend den Fluss Hades zu überqueren, um seine an einem Schlangenbiss verstorbene Gattin Eurydike zu den Lebenden zurückzuholen. Unter einer Bedingung: Er dürfe sie – komme, was wolle – nicht ansehen, denn sonst stürbe sie erneut, und diesmal für immer.

Kraft der Musik

„Kultur ist lebenswichtig für uns […]“, mit diesen Worten begrüßt Cecilia Bartoli, seit 2012 künstlerische Leiterin der Pfingstfestspiele Salzburg, das Publikum im Programmheft. Und weiter: „[…], denn sie [die Kultur] bestimmt, wie wir miteinander leben. Durch Rituale, Bräuche, Überlieferung und Wissen, spezifischer noch durch Religion und Kunst, wird sie von Generation zu Generation weitergegeben und ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.“

Mythen bildeten dabei die Grundlage, die den menschlichen Gemeinschaften und Nationen ihre Ansichten sowie die Art und Weise zu leben definiere.

Bartoli war am Pfingstsonntag sowie am Freitag zuvor selbst in der Rolle des Orfeo zu erleben. Ihrer Darstellung des verzweifelten Liebenden kann man sich zu keinem Zeitpunkt entziehen. Das Leiden Orfeos transportiert Bartoli unmittelbar und ohne Filter. Ihre krankheitsbedingte Abgeschlagenheit ist dabei in keiner Weise zu spüren.

Gerade Euridice ist es, die Orfeo so leiden lässt. Ihr Unverständnis ob des vermiedenen Blickkontakts ergießt sich in Schuldvorwürfen über ihn – und gipfelt schließlich darin, lieber zu sterben, als so ungeliebt mit ihrem Mann zu leben. Dies überzeugend und mit großer Natürlichkeit von der Sopranistin Mélissa Petit verkörpert.

Ende wie am Anfang in Stille

Zu Beginn ist der klare Bühnenraum zu sehen, der sich langsam, aber kontinuierlich und beinahe lautlos mit Menschen – sich bewegenden Körpern – füllt. Der Fokus bleibt vorerst auf dem Visuellen.

Dies ineinander Flechten der unterschiedlichen Ausdrucksformen – Instrumente, szenisches Spiel, Stimme, Körperausdruck – führt das Publikum zu unterschiedlichen Perspektiven unter der Regie und Choreografie von Christof Loy und der musikalischen Leitung von Gianluca Capuano.

Das gute Zusammenspiel ist es, das begeistert. Eine Zuschauerin, die junge Dirigentin Daria Rumiantceva, hebt dies in einem Gespräch nach dem Ende der Vorstellung besonders hervor: Die Verbindung von Chor und Orchester sei beeindruckend gewesen und der Gesang aller so ausdrucksstark, dass sie sich alles leicht erschließen konnte, obwohl Italienisch nicht ihre Muttersprache ist.

Wild gewordene Furien

Welche Kraft einfache Bewegungen oder auch nur Positionen haben, wird durch die 14 Tänzer und Tänzerinnen deutlich. Bevor ein Wort gesprochen ist, wird spürbar, welch Universum an menschlichen Beziehungen in dieser Geschichte verhandelt wird.

Um die Unterwelt bewachende Dämonen zu verbildlichen, rollen, stürzen, fallen oder fliegen die Tänzer auch – interagieren miteinander, um sich gleich darauf wieder abzuwenden.

All dies vermag Orfeo mit seiner Musik, seiner Stimme zu besänftigen, doch dem Misstrauen und dem unbändigen Verlangen Euridices nach Bestätigung und Erwiderung ihrer Liebe ist er nicht gewachsen.

Aus dem Gefühl, sonst wahnsinnig zu werden, dreht sich Orfeo voller Leidenschaft zu Euridice um und blickt sie an. All dies mit einer unglaublichen Vitalität und Authentizität von Cecilia Bartoli stimmlich und spielerisch in Szene gesetzt.

Und Euridice stirbt, wie von Amor prophezeit – dieser von Madison Nonoa schelmisch und kraftvoll gestaltet.

Kein gnädiges Eingreifen von Amor

In der Originalversion von Gluck singt der Chor am Schluss: „Amor soll triumphieren und die ganze Welt der Macht der Schönheit dienen.“ Orpheus, der sich in seiner Verzweiflung das Leben nehmen möchte, wird dort von Amor barmherzig Eurydike zurückgegeben und sie werden in das Reich der Lebenden geleitet.

Nicht so in der Salzburger Version: Wie ein Ringschluss folgt hier erneut die erste Szene. Orfeo versinkt in bodenloser Trauer um Euridice.

Christof Loy, im Gespräch mit dem Dramaturgen Klaus Bertisch – im Programmheft nachzulesen –, gibt auf die Frage, warum es kein glückliches Ende geben kann, nicht direkt Antwort. Wie es in sein eigenes Werk einzuordnen sei, beantwortet er mit den Worten: „Wir alle müssen jeden Tag kreativ eingreifen in das, was sich uns bietet. Insofern ist jeder Mensch ein Künstler, der an seinem eigenen großen Werk, an seiner eigenen Biografie arbeitet.“

Und an anderer Stelle: „Was ist der Tod, die Unterwelt, ein Elysium? Und was befindet sich hinter dem Raum, der unser Leben beschränkt? Deshalb war für mich die Ausrichtung nach oben und hinten sehr wichtig. Bei einem kürzlichen Besuch der Alhambra in Granada habe ich gelernt, dass man sich den Weg ins Paradies erarbeiten muss. Deshalb gibt es dort, bevor man einen Garten betreten kann, überall Stufen, die man bewältigen muss, die man hinter sich bringen muss, bevor man dieses „Paradies“ erreicht. […]. Ohne einen beschwerlichen Weg kommt man nicht weiter.“

Ungewöhnlicher langer Applaus

Das Publikum bedankt sich mit begeistertem Applaus für die hervorragende Leistung aller Mitwirkenden. Plötzlich fliegen kurz hintereinander zwei große Rosensträuße, einer in Weiß-cremefarben und der andere in Rosé-rot gehalten, zu Ehren Cecilia Bartolis auf die Bühne. Schließlich überwiegend Standing Ovations im gesamten Saal: Ein fulminanter Abschluss eines fulminanten Abends.

 

 



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