„La Juive“ von Halévy wird Höhepunkt des Wagner-Jahrs der Semperoper Dresden

Titelbild
Der Jude Eléazar (Gilles Ragon) und seine Adoptivtocher Rachel (Vanessa Goikoetxea).Foto: Matthias Creutziger
Von 10. Juli 2013

 

Das Wagner-Jahr 2013 nahm die Semperoper Dresden im Juni zum Anlass, den Erneuerer des Musikdramas mit einer etwas anderen Aufführungsserie zu feiern. Im Mittelpunkt standen Werke, die Richard Wagner in seiner Dresdener Zeit beschäftigt hatten: „La Juive“ („Die Jüdin“) von Fromental Halévy, „La Vestale“ von Gaspare Spontini und Wagners romantische Oper „Der Fliegender Holländer“, die er in Dresden uraufgeführt hatte. Überragender Höhepunkt und Glücksfall des Wagner-Jahrs wurde „La Juive“.

Fromental Halévy gab seiner Grand Opera von 1835 den schlichten Namen „Die Jüdin“, weil deren zeitlose Geschichte über Ausgrenzung und Verfolgung immer und überall stattfinden könnte. Gleich einem Roman erzählt die fünfstündige Aufführung kein Einzelschicksal, sondern eine verzwickte Familiengeschichte mit den Zutaten Parallelgesellschaft, Glaubenskonflikt, verbotene Liebe, Eifersucht, etc. Der Themen-Mix ist so dicht und fein gezeichnet, dass er die Grenzen des musikdramatisch Möglichen streift, vor allem für die Hauptdarsteller, die Unglaubliches leisten müssen. Halévy reizt die psychologischen Entwicklungsmöglichkeiten voll aus, wodurch alle Figuren Brüche bekommen und keine von ihnen schwarz oder weiß bleibt. Die Handlung klingt im Opernführer konstruiert und klischeebeladen. Live erlebt, wie in der Dresdener Aufführung am 29. Juni 2013, wirkt sie erschütternd und hochaktuell.

Das Stück konzentriert sich auf die Beziehung des Juden Eléazar und seiner Adoptivtocher Rachel, die nichts davon ahnt, dass sie die leibliche Tochter des Kardinals de Brogni und damit christlicher Herkunft ist. Um die beiden Hauptpersonen gruppieren sich alle Handlungsstränge und die Inspirationen, die Wagner aus dem Werk zog, sind unübersehbar: Nach einem schlichten Vorspiel setzt, wie in den Meistersingern, ein Choral mit Orgelbegleitung ein und die dramatischen Konflikte, die der scheinbar heilen Welt bevorstehen, sind lediglich angedeutet, wenn Rachel – brav wie Evchen – aus dem Haus tritt und sagt, sie fühle sich beobachtet …

Die Inszenierung benutzte Versatzstücke einer mittelalterlichen Welt, jüdische wie christliche Klischees und Darstellungen von Maskerade, um zu zeigen, dass in diesem Spiel von Mehrheit gegen Minderheit die Rollen von Opfern und Tätern austauschbar sind. Das Grundproblem heißt „Angst und Ablehnung gegenüber Fremdem“ und entwickelt sich mit manipulativer Eigendynamik.

Gerade der Spagat zwischen Schablonen und „echten“ Menschen bringt einem die Protagonisten der „Jüdin“ nahe und die Hauptdarsteller waren ideal besetzt: Eléazar war der französische Tenor Gilles Ragon, eine kraftvolle Heldenstimme mit reifem Bronzeglanz. Er gab dem alten Mann, der seine erste Familie durch Verfolgung verlor, eine flammend leidenschaftliche Verkörperung. Zwischen Fürsorge und Unbestechlichkeit gab er den äußerlich Gleichgültigen, für den Versöhnung mit Christen keine Option ist.

Ihm stand ein blutjunges Liebespaar zu Seite. Als Rachel beeindruckte Vanessa Goikoetxea, die ungeheuer wandlungsfähig – schauspielerisch wie stimmlich – ihre riesige Rolle als ständige Aufwärtskurve gestaltete. Als leuchtender und lyrisch klingender Sopran bewies sie enorme Ausdauer. Eine packende Frauengestalt in einer Intensität und Glaubwürdigkeit, wie man sie selten erlebt. Ideal auch der zart- statt starkbesaitete Tenor Dmitry Trunov als Léopold mit eleganten, lyrischen Phrasen. Er erklomm die höchsten Höhen seiner Partie mit der Leichtigkeit des unbeschwerten Herzensbrechers, der bis zuletzt hofft, dass seine Frauen das doppelte Spiel nicht bemerken. Als es ernst wurde, brach er als Schwächling zusammen.

Halévy schildert unverblümt, dass Léopold mit Eudoxie eine Hormonbeziehung führt, denn untergründige Melancholie und Leere durchwehten die schillernden Koloraturen der zuckersüßen Eudoxie von Nadja Mchantaf, die Marylin-Look mit tragischem Potential verband. Der Komponist konstrastiert mit ihr die beseelte Schilderung von Rachels Liebe, die tief verletzt durch Léopolds Betrug zur rachedurstigen Furie wird. Parallelen zum 2. Akt der Götterdämmerung tun sich auf.

Die monumentale Gesamtanlage des Werkes, dessen publikumswirksame Musik stilistisch zwischen den Genres hin und her springt, ist für den Dirigenten ein Prüfstein. Tomáš Netopil gelang es, den musikalischen Strom so zu dosieren, dass er auch noch nach Stunden einen ungeahnten Höhepunkt im dritten Akt explodieren lassen konnte. Nach dem Eklat nimmt Halévy den Tenor aus dem Spiel und der zweite Vater des Stückes, Kardinal de Brogni, tritt auf den Plan, wodurch sich der Konflikt zwischen den Machtlosen/Juden und den Mächtigen/Christen weiter zuspitzt. Die Frage, ob Rachel ihre Herkunft erfährt oder den Märtyrertod stirbt, wird die alles Entscheidende. Der Dialog der beiden Väter bringt Abgründe zu Tage, aber keine Versöhnung. Radikalisiert durch ihre enttäuschte Liebe und in totaler Identifikation mit dem Weltbild Eléazars, der es nicht geschafft hat, seiner Ziehtocher die Wahrheit zu sagen, geht Rachel in den Tod.

Bass Liang Li war der dritte Star des Abends mit seiner überragenden Darstellung des Brogni, eines Mannes zwischen Macht und Machtlosigkeit, dem er Herz und große Wärme gab.

Großen Anteil an der Spannung der Aufführung hatte auch der Sächsische Staatsopernchor Dresden, der sich in der „Jüdin“ zwischen Volksfeststimmung, Raserei und subtilen sakralen Nuancen bewegt (Einstudierung Pablo Assante).

Die Inszenierung von Jossi Wieler und Sergio Morabito stammt aus Stuttgart, wo sie seit 2008 ein großer Erfolg war. In Dresden spielte Halévys Grand Opera vor einer zu zwei Drittel leeren Semperoper. Doch das Publikum war hingerissen und spendete Bravostürme schon beim Szenenapplaus. Die verbleibenden zwei Aufführungen am 15. und 29. September 2013 sind ein Muss für jeden Opernfreund. Musiktheater in dieser Dichte und Qualität sind eine Seltenheit, es stimmte einfach jedes Detail und man hätte die Geschichte sogar unvorbereitet und ohne Übertitelanlage verstanden. Halévys „La Juive“ in der Semperoper Dresden hat Weltklasse.

 



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