Mona Lisa: Zwei Bilder – zwei Geschichten

Titelbild
Das Auftauchen der Prado Mona Lisa (rechtes Bild) ist die Chance uns zu fragen: Sehen wir das Wirkliche oder das, was wir hineinprojizieren? Und falls Kunstwerke eine Seele haben: Warum sind dann diese beiden Frauen so grundverschieden?Foto: Jean-Pierre Muller-Javier Sorian/AFP/Getty-Images
Von 9. Mai 2012

Als Anfang des Jahres ein bisher unbedeutendes Frauenportrait im Madrider Prado als reale Zwillingsschwester der Mona Lisa erkannt wurde, rieb sich die Kunstwelt erstaunt die Augen. Doch auch die „Prado Mona Lisa“ löst nicht die Rätsel des Originals. Vielmehr inspiriert sie zu neuen Fragen.

Noch bis zum 25. Juni kann man die Mona Lisa von Leonardo da Vinci (Öl auf Pappelholz, 77 cm x 53 cm) und die neuentdeckte „Mona Lisa des Prado“, (Öl auf Walnussholz, 76 cm x 57 cm)  in einer Ausstellung im Pariser Louvre erleben.

Der Maler der Kopie war vermutlich Andrea Salai oder Francesco Melzi. Sicher ist so viel: Es war ein Schüler, der alle Arbeitsschritte direkt nach dem Vorbild seines Meisters vollzog. Sein Arbeitsplatz muss in derselben Werkstatt gewesen sein. Röntgenuntersuchungen ergaben, dass in den Farbschichten der Prado Mona Lisa die gleichen Veränderungen und Korrekturen stecken, wie bei Leonardos Original.

Ein Unterschied wie Tag und Nacht

Doch hat der Schüler, wenn er zeitgleich mit Leonardo malte, dann nicht höchstwahrscheinlich auch  die gleichen Farben verwendet? Interessanterweise sind bei Leonardos Original die Farben trüb und dunkel geworden und der Firnis des Gemäldes hat Risse. Bei der Prado Mona Lisa ist dies jedoch nicht der Fall. Sie hat sogar noch ihre Wimpern und Augenbrauen, die auf dem Original nachweislich verblasst sind.

Fast sieht es so aus, als ob ihr stilles und unbemerktes Leben die Prado Mona Lisa vor dem Zahn der Zeit bewahrt hätte. Ihr Gesicht strahlt Frische und Natürlichkeit aus, auch die Landschaft wirkt, wenngleich dunstig verblaut, doch licht- und sonnendurchflutet. Es war übrigens genau diese Landschaft im Hintergrund, die die Experten des Prado erkennen ließ, dass es sich um eine bedeutende Kopie handelte. Unter einer schwarzen Lackschicht wurde sie durch Röntgenaufnahmen zutage befördert. Der Originalzustand der alten Mona Lisa muss ähnlich gewesen sein (auch an ihr wurde nachträglich herumgemalt). Die schwarze Schicht, die bisher jeden Verdacht der Ähnlichkeit erstickte, wurde wahrscheinlich erst Mitte des 18. Jahrhunderts aufgebracht. Sonderbar, wenn man bedenkt, dass die Landschaft sehr gut erhalten und Leonardos Original schon damals berühmt war. Vermutlich sollte sich die Prado Mona Lisa optisch in eine Galerie mit anderen dunkel hinterlegten Portraits einfügen nach dem Motto: Was nicht passt wird passend gemacht.

Weil die originale Mona Lisa so unwiederbringlich ist, dass niemand jemals auf die Idee käme, sie  zu „putzen“, zeigt uns nun die gereinigte Kopie, wie es unter ihrem trüben Schleier ausgesehen haben könnte.

Immer noch ungeklärt: Wer war Mona Lisa?

Die spannendsten Fragen bleiben ungelöst. Wir wissen immer noch nicht, wer „Mona Lisa“ war und was uns Leonardo mit dem Bild sagen wollte, außer, dass die suggestive Stärke der Mona Lisa  in ihrem Blick und im Lächeln liegt.

Das Bild baut bewusst eine starke Verbindung zum Betrachter auf. Leonardo wandte den Trick an, die Augen nicht exakt geradeaus schauen zu lassen. Weil sie fast unmerklich schielt, fühlt sich der Betrachter aus jedem Blickwinkel von ihr beobachtet. Doch die Situation wirkt etwas unwirklich, die Landschaft einen Tick zu mystisch und die Dargestellte merkwürdig idealisiert.

Eine interessante These brachte im Jahr 2009 Roberto Zapperi auf, der die Entstehungsgeschichte des Bildes wie folgt erzählte. Seine Recherche stützt sich auf den Hinweis, Da Vinci habe gegenüber einem Augenzeugen Giuliano de Medici als Auftraggeber genannt. Da Giuliano Lisa del Giocondo, das bisher vermutete Modell, nicht gekannt hatte, suchte Zapperi in seinem Umfeld nach einer anderen Frau.

Und er fand Pacifica Brandani aus Urbino, die eine Geliebte Giulianos war und Mutter seines unehelichen Sohnes Ippolito. Sie starb kurz nach der Geburt des Kindes im Jahr 1511. Der Historiker schätzt, dass das Gemälde ein Erinnerungsbild der toten Mutter für den kleinen Sohn war. Diese These passt zum merkwürdig unwirklichen Ausdruck des Bildes. Sie würde auch den zarten Schleier über Kopf und Schultern der Mona Lisa erklären –  dieser war damals ein Erkennungszeichen für Schwangere und frischgebackene Mütter. Der Name „La Gioconda“, wie das Bild in Italien traditionell genannt wird, stände demnach nicht für den Familiennamen „del Giocondo“, sondern im wörtlichen Sinn für „die Tröstende“.

Warum aber gab Leonardo die Mona Lisa nicht ihrem Auftraggeber, sondern behielt sie und verkaufte sie kurz vor seinem Tod an König Franz I. von Frankreich? Die Kette der Fragen ist endlos …

Verführung, Spott, Trauer – was wurde nicht alles in ihrem Gesicht gesehen.

Und wofür die Mona Lisa alles herhalten musste: Napoleon schnappte sie sich für sein Schlafzimmer. Sie  überlebte einen Raub und mehrere Attentate. Und als Leihgabe im Dienst der Nachkriegsdiplomatie durfte sie Frankreichs internationale Beziehungen optimieren. Es scheint, als habe die echte Mona Lisa über die Jahrhunderte die Projektionen und Fantasien aller ihrer Betrachter wie ein Schwamm aufgesaugt und dadurch ihre intensive, düster süße Aura bekommen. Die Prado Mona Lisa schlummerte indessen friedlich im Archiv. Ihr plötzliches, unschuldiges  Auftauchen ist für uns als Publikum die Chance, uns selbst zu befragen: Sehen wir das Wirkliche oder das, was wir hineinprojizieren? Und falls Kunstwerke eine Seele haben: Warum sind dann diese beiden Frauen so grundverschieden?

 

 



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