Musik – mal heilig, mal profan

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Foto: Vivian Song

Heutzutage wird Gustav Mahler (1860-1911) als einer der grössten Komponisten aller Zeiten angesehen. Zu seiner Zeit war er eher als Dirigent bekannt.

Tatsache ist, dass er mit enormer Energie und grossem Engagement als erster Dirigent der Wiener Oper und später in New York als erster Dirigent des Metropolitan Opera House und der New Yorker Philharmonie arbeitete. Seine Opern-Interpretationen waren hervorragend. Daneben zeigte er als  Komponist von Symphonien und Verfasser von Liederzyklen für Gesang mit Orchesterbegleitung sein musikalisches Talent.

Oft bezog Mahler den Gesang als vitales Element in seine Werke mit ein. Brahms, Schubert und Schumann taten dies in ihren Symphonien nicht in diesem Ausmass. Beethoven integrierte Gesang in der letzten seiner Symphonien, der mythischen Neunten. Manche Musikrezensenten meinen, dass Mahlers überzeugendsten Arbeiten nicht seine neun Symphonien, sondern seine mit Orchester begleiteten Liederzyklen seien.

Die „Auferstehung“ und die Liederzyklen

Ich bin mir darüber nicht sicher. Ich hörte letztens wieder eine Aufnahme der zweiten Symphonie von Mahler, die „Auferstehung“. Es war die Version von Leonard Bernstein mit dem Londoner Symphonie-Orchester und der fantastischen Solistin Janet Baker.

Im letzten Teil des Stückes ist mir, als ob die Tore zum Paradies aufgerissen würden. Aber man muss einen hohen Tribut leisten, um dorthin zu gelangen: der erste Part übermittelt Verzweiflung, Angst und ist von düsterer Qualität. (Ursprünglich war der Part als ein eigenes Stück oder symphonisches Gedicht geplant, das er mit „Totenfeier“ oder „Begräbnisfeier“ betitelte.)  Im zweiten Teil folgt Melancholie und die Banalität des täglichen Lebens, Part Drei ist von Ironie durchdrungen. Schliesslich erreichen wir den erhabenen geistigen Frieden im letzten Abschnitt.

Während die hochtrabenden Dimensionen seiner neun Symphonien (zehn, wenn man das aussergewöhnliche Adagio hinzuzählt, das er als Symphonie betitelte, aber nie mit weiteren Teilen vollendete), manche Zuhörer abschreckt, so scheinen seine Liederzyklen dem geneigten Zuhörer viel zugänglicher zu sein.

Einige seiner bekannteren Werke  sind: „Lieder eines fahrenden Gesellen“, „des Knaben Wunderhorn“ und die „Rückertlieder“.

Vielleicht ist sein bestes Werk „das Lied von der Erde“, ein Liederzyklus mit ins Deutsche übersetzten chinesischen Gedichten, und mit der Dimension einer echten Symphonie versehen. Aber nach meinem Empfinden sind die „Kindertotenlieder“ von 1904 ein echtes Meisterwerk eines genialen Komponisten.

Mahlers Musik erleben

Als Musik-Student hatte ich das Glück, gelegentlich nach Chicago reisen und das Chicago-Symphonie-Orchester  hören zu können. Einmal führten sie die Sechste Symphonie von Mahler unter der Leitung von Günther Herbig auf.  Es war das erste Mal, dass ich ein Werk von Mahler live zu Ohren bekam.

Der überwältigende Klang machte mich sprachlos – so etwas hatte ich in meinem Leben noch nie gehört. Und noch nie sass ich bei einem Stück so lange!

Ein Jahr danach kehrte ich zurück um Georg Solti zu hören, der die Fünfte Symphonie dirigierte. Ich habe seither nichts  damit Vergleichbares mehr erfahren. Die Qualität und der Klang dieses Orchesters waren unvergleichlich.  Berufsmusiker, die die legendäre „Chicago Symphonie Brass Section“ aus jener Zeit gehört haben, bezeichnen sie als das „Dream Team“.

Seit zwanzig Jahren bin ich Berufsmusiker in Orchestern und ich muss sagen, es ist ein echtes Erlebnis, die Werke von Mahler zu spielen.

Ein Mal hatte das Management meines Orchesters die Aufführung der Achten Symphonie in der Planung, die „Symphonie der Eintausend“, wie sie häufig wegen der Anzahl der erforderlicher Künstler genannt wird. Wenn schon die Zeitdimensionen seiner Werke extrem sind, so ist das erforderliche Personal für die Achte purer Wahnsinn. (Es sind  nicht wirklich eintausend Personen, aber bei dieser Symphonie ist es nicht ungewöhnlich, über 400 Musiker auf der Bühne zu haben).

Sie „mieteten“ ein zusätzliches Symphonie-Orchester, das mit ihrem ganzen Tross kam, dazu noch drei Chöre und eine Gruppe von Vokal-Solisten und wir alle zusammen spielten dann die Symphonie. Es war ein unvergessliches Erlebnis, Teil dieser enormen Klangflut zu sein.

Mahlers Leben zwischen zwei Welten

Die Gegensätze in dem Leben des Österreichers finden sich in seiner Musik wieder. Er war jüdischer Abstammung, gab aber das Judentum auf. Dadurch konnte er die Position als erster Dirigent der Wiener Oper einnehmen. Nach dem plötzlichen Tod seiner älteren Tochter 1907 und mit wachsendem Antisemitismus verliess er sein Land und ging über den grossen Teich in die Vereinigten Staaten. Als sich 1911 sein Gesundheitszustand zusehends verschlechterte, kehrte er zurück. Er kannte die Höhen und Tiefen des Lebens aus eigener leid- und freudvoller Erfahrung.

Die spirituelle Dimension seiner Musik wird auf viele Weisen deutlich. Die Klangweite gibt den Anschein, als ob er beständig eine Verbindung zu Gott suche. Die durchgehende Bearbeitung der Spannung in allen seinen Werken weist auf ein ständiges Suchen und die Rastlosigkeit einer Seele hin, die von der Existenz des Himmels weiss, sich aber verloren wähnt. Mahler hat mehrere Male Choräle für Orchester geschrieben, die sich sehr stark an sakrale Kirchenmusik anlehnen. Man könnte meinen, er sei ein Romanautor, der sich indirekt auf die Bibel bezieht.

Andererseits macht Mahler von der volkstümlichen Musik seiner Zeit Gebrauch, um den profanen Aspekt des Lebens zu porträtieren. Er selbst sagte, dass eine Symphonie eine vollständige Welt sein sollte. In seinen geschaffenen Welten kann man Walzer, Ländler, Menuette und andere Volksmusik-Gattungen finden. Er verzerrt sie jedoch mit solcher Ironie, dass sie im Vergleich zu den ursprünglichen Formen grotesk und morbid wirken. Manchmal wird die Musik wild, manisch, teuflisch, wütend, und gequält wie die Seele ihres Autors.

Extreme Kontraste emotionaler Zustände sind für Mahler typisch, und der Wechsel von einer Laune zur anderen kann reichlich unerwartet kommen. Banalität und Vulgarität leben Seite an Seite mit dem Heiligen. Dieses Paradox ist meiner Ansicht nach die Essenz dessen, was Mahler übermittelt. Sie verleiht seinen Werken die ihm eigentümliche Dynamik, die einen Hörer entweder begeistert oder abstösst.

Wie viele Künstler, die ihrer Zeit voraus sind, wurde er seit seines Lebens missverstanden. Er selbst sagte richtig voraus, dass seine Werke erst 50 Jahre nach seinem Tod vom Publikum Anerkennung finden werden und tun es noch immer.

Originalartikel auf Englisch: Mahler: Music that embodies the divine and profane

Foto: Vivian Song

 



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