Peter Seiffert als Tristan an der Deutschen Oper Berlin

Essen, Trinken, Schlafen, Bühne: Tenor Peter Seiffert erklärt in Kurzform, wie man sich als „Tristan“ fühlt und warum es sich lohnt, von Wagner taub zu werden.
Titelbild
Foto: Andre Rival im Auftrag der Deutschen Oper Berlin
Von 26. Februar 2011

Ein kleiner älterer Herr steht auf einem Tisch. Er reißt die Arme hoch und ruft: „Ha, das Schiff!“

Ein Bär von einem Mann taumelt wild um ihn herum zu tosender Klavierbegleitung. Sie lachen. Denn noch befinden sie sich auf der Probebühne der Deutschen Oper in Berlin.

Später wird dies die dramatischste Szene von Wagners „Tristan und Isolde“: Der Todeskampf des Helden (hier Tenor Peter Seiffert) im Dialog mit seinem Diener Kurwenal (alias Eike Wilm Schulte, Bariton), die aufs Meer hinaus schauen und die Ankunft der rettenden Geliebten erwarten. Natürlich kommt sie zu spät, Tristan stirbt in ihren Armen. Und auch Isolde stirbt den berühmten Liebestod.

Jetzt lauscht ihnen das Assistenten-Team auf Holzstühlen und an Stelle von GMD Donald Runnicles dirigiert Souffleuse Heike Behrens, ständig Stichwörter rufend. „Very good, very good!“ bedankt sich Graham Vick, der Regisseur. Das Team sammelt heruntergefallene Patience-Karten vom Boden auf: „Und jetzt bitte nochmal ab Takt 240!“

„Dafür lohnt es sich, taub zu werden”

Noch zwei und eine halbe Woche sind es bis zur Premiere an der Deutschen Oper und die Endorphine kochen hoch. Eine ansteckende Euphorie herrscht auf der Probebühne. Und nicht nur Tristan Peter Seiffert, eine Inkarnation rheinischer Frohnatur, muss hier viele Witze reißen und lachen. Während der Arbeit an dem beängstigend ernsthaften Werk versucht jeder, irgendwie normal zu bleiben. Sonst verschlingt es einen.

„Liebe, Todessehnsucht und Ewigkeit“, fasst Seiffert das Thema der Oper zusammen, um im nächsten Atemzug zu sagen, dass man es ja gar nicht so kurz umschreiben kann. Und eigentlich hätte Wagner seine Musik nicht mal selbst beschreiben können: Diese Erfahrung der Grenzenlosigkeit und des „Urvergessens“, die einen packt, sobald einem der Tristan-Klang ans Ohr schwappt: „Das ist da alles drin. Man geht ins Weltverlorene hinein. Keine Ahnung, ob das Stück zeitgemäß ist. Es ist so modern und so altmodisch wie eh und je.“

Und irgendwie müssen sich Kunst und Leben spiegeln, sonst wären sie nicht echt: Tristans „treuester Freund“ Kurwenal, wird von Eike Wilm Schulte gespielt. Seiffert klopft ihm scherzhaft auf die Schulter mit einem „Eike ist mein Lieblingskollege!“ Die beiden singen seit Jahrzehnten gemeinsam. Denn die Wagnersänger der Weltspitze sind ein überschaubares Grüppchen.

„Während der Arbeit, fragt man sich dann gar nicht mehr, ob es anstrengend ist“, meint Seiffert: „Man gibt sich voll ein. Man ist nicht mehr man selbst. Und in solch einer Zeit, wenn man solch eine Stück probt, da fragt man sich schon, ob´s überhaupt noch eine Privatleben gibt. Da fällt einem nichts anderes mehr ein: Essen, Trinken, Schlafen, Bühne … Ende!”

Eine Rolle seines Lebens

Mit vier Jahren, sagt er, habe er die Tristan-Musik schon bewusst kennen gelernt. Als Teenager habe er sich dann am Vorspiel zum 3. Akt berauscht, mit dem Kopf zwischen zwei Lautsprechern. Und voll aufgedreht. „Das war mir wurscht, ob ich dabei taub werde oder nicht. Da kriegte ich Gänsehaut.“ Und bis heute empfiehlt er, lieber Wagner als andere Drogen zu nehmen.

Schon immer wollte er unbedingt zur Oper. Wenn es als Sänger nicht geklappt hätte, egal, dann wäre er Friseur oder Maskenbildner geworden. Dass der liebe Gott ihm eine Stimme geschenkt habe, um bis an diesen Punkt zu kommen, dafür sei er unglaublich dankbar, sagt Seiffert.

Und nun singt er also Tristan, den Mann, der drei Stunden zerfressen von Sehnsucht, im Grenzberich zwischen Leben und Tod, Wahrheit und Traum auf der Bühne unterwegs ist. Eine Rolle, die mehr Archetyp des Menschen als Person ist.

Für Tristan tauscht er dann Gewehr gegen Schwert: Heldentenor Peter Seiffert, hier als Max im "Freischütz".Für Tristan tauscht er dann Gewehr gegen Schwert: Heldentenor Peter Seiffert, hier als Max im "Freischütz".Foto: Bettina Stöss im Auftrag der Deutschen Oper Berlin

„Spätestens beim Tristan bekommt man Ehrfurcht vor dem Beruf“

Seiffert, der seit 1988 Wagner-Helden gesungen, und den Tristan schon 25 Mal auf der Bühne verkörpert hat, meint, dass er sich dieses Mal so richtig drauf freuen würde: „Sonst denk´ ich ja immer, ach, Tristan, so anstrengend, ach nee …“

Denn die mörderische Partie legt schonungslos alle Schwächen offen. Egal ob Premiere oder nicht, es ist immer riesige Aufregung und ein bisschen Roulette dabei: „Alle Beteiligten, nicht nur der Tristan und die Isolde, alle die damit zu tun haben, können vorher ihr Vaterunser beten“, sagt der Sänger. Wagners Held gilt neben Verdis Othello als mörderischste Tenor-Partie. Die Geschichte berichtet von Aufführungen, in denen an einem Abend bis zu drei Tristane verschlissen wurden. In jedem der drei Akte sang sich ein anderer Sänger heiser. Diesmal bekommt Seiffert auf der Bühne zum Glück Beistand von seiner Frau selbst, denn Isolde wird von Petra Maria Schnitzer gesungen. Sie kommt aus dem lyrischen Sopranfach und wagt unter dem sensiblen Dirigenten Runnicles ihr Rollendebut.

Überlebensregel: Risiken ausschalten

Die Vorbereitung auf die Rolle beginnt für ihn schon Jahre vorher, bei der Vertragsunterzeichnung nämlich. Seine Erfahrung gebietet ihm, darauf zu achten, wer dirigiert oder Regie führt: „Wenn man davon ausgehen kann, dass untereinander die Chemie stimmt, dann ist es eine sehr große Hilfe“, meint Seiffert. Aber auch die Kulisse kann Tücken haben: „Ein Bühnenbild mit lauter Samtvorhängen – die können einen umbringen. Da kommt keine Stimme über die Rampe. Das sind so Kleinigkeiten, die einem als Tristan das Genick brechen können.“

Hat er alles schon erlebt. Aber an der Deutschen Oper lief es für Seiffert bisher immer sehr gut. Nach Düsseldorf ist sie das Haus, dem er sich in Deutschland am meisten verbunden fühlt.

Mit Regisseur Graham Vick haben Seiffert und Schulte schon früher zusammengearbeitet. Eher ein Kammerspiel soll es werden, und auch das Dirigat von Donald Runnicles loben die beiden ausdrücklich – bei den Proben waren sogar schon Orchestermitglieder zu Tränen gerührt. Und das will was heißen bei Leuten, die solche Musik routinemäßig spielen.

Etwas Großes wird angepeilt

Geheimnisvoll wie ein Traum hört sich an, was bis dato über die Inszenierung verraten werden kann. Das Ganze wird sich zwischen Bruchstücken einer Wohnung, Sarg, Kerzen und rotem Konfettiregen abspielen. Aber bis zur Premiere kann sich noch einiges ändern.

„Wenn man gesund bleibt, müsste, nach Adam Riese, da was ganz Großes bei rauskommen”, resümiert Seiffert. „Darauf arbeite ich zumindest immer hin. Ich will immer etwas Großes erleben, weiß aber aus Erfahrung, dass es nicht immer klappt.”

Wenn ein Abend auf der Bühne richtig gut war und er seinen Spaß hatte, dann ist es ihm egal, ob das Publikum auch so denkt. Aber meistens ist das ja dann genau der Moment, in dem der Funke überspringt. Eine „Geschwür-platzt-Aufführung“ nennt er das, solch einen Riesenerfolg wie bei seinem Lohengrin-Debut unter Götz Friedrich. Erfahrungsgemäß passiert das aber nur alle zehn Jahre.

Ein Mysterium, das jeden packt

„Aus irgendeinem Grund wird man von den Tristan-Motiven so eingezogen und eingelullt“ beschreibt Seiffert die entrückende Wirkung der Melodien: „Die Musik ist wie eine Endstation der Oper. Wagner ist nicht mehr zu überbieten. Alle anderen Opern, bei aller Berechtigung, wirken dagegen wie Hänschen klein.“

„Das ist so eine Endgültigkeit, so eine Weite, so ein Durchdringen. Man entdeckt immer wieder Neues, weil es einen sowohl vom Wort und der Musik, an die eigenen Grenzen bringt. Als Ausführender, der diese Musik mit seiner Stimme zum Leben erweckt, kommen Texte auf einen zu, da muss man sich erstmal anschnallen.“ Ein Satz vom Tristan als Beispiel:

„Des Schweigens Herrin
heißt mich schweigen:
fass‘ ich, was sie verschwieg,
verschweig‘ ich, was sie nicht fasst.“

Monate hat er gebraucht für die plausible Lösung: „Die Situation ist, dass sie sich eigentlich lieben. Aber sie sagt nicht, dass sie ihn liebt. Und dadurch sagt er ihr auch nicht, dass er sie liebt. Also ihr Schweigen, heißt ihn auch schweigen. Und ist das überhaupt wahr? Kann ich das begreifen, was sie mir verschweigt? Wahrscheinlich würde sie´s auch nicht fassen…“

„Für manche ist das zum Sterben wahnsinnig“, lacht Seiffert, „da sind laufend so Zitate drin.“ Und das Erlösungsmotiv ist – eigentlich logisch – nur der Tod. „So pervers wie das ist, das kann man irgendwie nachvollziehen.“ Man braucht schon Jahre des Lebens und der Erfahrungen, um so etwas schultern zu können.

„Tristan und Isolde“ hat am 13. März an der Deutschen Oper Berlin Premiere.

 

Peter Seiffert gehört zu den international gefragtesten Wagner-Tenören. Er studierte Gesang in seiner Heimatstadt Düsseldorf. Grundstein seiner Weltkarriere wurde sein Sensationserfolg als Lohengrin an der Deutschen Oper Berlin im Jahr 1990. In Bayreuth war er als Stolzing und Lohengrin zu hören.

Er lebt mit der Sopranistin Petra Maria Schnitzer zusammen. Ihre drei Söhne nannten sie Max, Tristan und Florestan.

Foto: Andre Rival im Auftrag der Deutschen Oper Berlin


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