Philipp Stölzls „Fliegender Holländer“ in der Berliner Staatsoper im Schillertheater

Titelbild
Michael Volle als Fliegender Holländer in der Staatsoper im Schillertheater in Berlin.Foto: Matthias Baus
Von 29. April 2013

 

Philipp Stölzls „Fliegender Holländer“ aus Basel ging in der Berliner Staatsoper im Schillertheater an Land. Irgendwo zwischen Caspar David Friedrich, dem „Fluch der Karibik“ und sinnleerer Psychologisierung bewegt sich Philipp Stölzls Inszenierung von Richard Wagners Romantischer Oper „Der Fliegende Holländer“. Am Sonntag, dem 28. April, war Premiere in der Staatsoper im Schillertheater für die Berliner Neuauflage der Produktion aus Basel.

Man ist entzückt, wenn Dalands Schiff angesegelt kommt; hält den Atem an, wenn sich das Geisterschiff gewaltig ins Bild schiebt; aber es gibt einen Haken. Das Meer und die wilde Romantik toben im Monumentalgemälde einer Biedermeier-Bibliothek. Auf der einen Ebene die Biedermänner mit Zylindern und unemanzipierten Frauen in Schürzen, auf der anderen Ebene der Fliegende Holländer und seine Mannschaft als charismatische Untote. Mittendrin Senta als verzweifeltes Mädchen, das mit einem Zigarre rauchenden Greis verheiratet werden soll, der überwiegend scheintot auf der Couch sitzt (beängstigend nichtssagend: Ronald Ries). Filmregisseur Philipp Stölzl zeigt uns einen seiner Opern-Historien-Filme: Die detailliert erzählerische Ausstattung bezeugt, wie sehr er das Genre Oper liebt, aber eine hineininszenierte Konträrgeschichte macht wieder alles kaputt (Kostüme: Ursula Kudrna, Bühnenbild: Conrad Moritz Reinhardt).

Senta (Emma Vetter) ist gedoubelt durch die 17-jährige Schauspielerin Roxana Clemenz. Im Duett steht ihr Holländer weit weg auf Ebene 2, sie und das Double müssen die genau gleichen Bewegungen ausführen, was den Beiden auch gelingt, aber anstrengend ist es schon beim Zuschauen. Am Ende zündet die kleine Senta das Geisterschiff an und umarmt an Deck den Holländer, während sich die große Senta vor versammelter Hochzeitsgesellschaft die Halsschlagader mit einem Sektglas aufschlitzt und sprudelnd verblutet – umringt von Daland und ihrem Betreuer Erik, der ihr in nervösen Momenten immer ein Chloroform-Taschentuch vor die Nase gehalten hat. Eine Borderlinerin? Ein unterdrücktes Mädchen des 19. Jahrhunderts?

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Stölzl verschenkt die überzeitliche Botschaft des Stückes: Dass Wahrheit durch die Sprache der Fantasie ihre Schatten vorrauswirft und die Möglichkeit besteht, dass alles, woran wir nicht (mehr) glauben, Realität ist. Wagner selbst brauchte eine Begründung, warum er der Welt die kompromisslose Idealistin Senta schenkte – eine Figur, die selbst vor dem Hintergrund ihrer Zeit überideal und unrealistisch wirkte. Für Wagner, den Schöpfer der Zukunftsmusik kein Problem, er nannte sie einfach „das Weib der Zukunft“.

Doch Stölzl zeigte uns die Vergangenheit. Die Sänger sangen sich die Seele aus dem Leib, ohne das Publikum wirklich zu erreichen. Als der Vorhang fiel, tobte kein Begeisterungssturm los. Nach zweieinhalb Stunden Zweigleisigkeit wirkte das Auditorium erschöpft. Die meisten Beteiligten, sogar Dirigent Daniel Harding, bekamen nur Achtungsapplaus. Das Regieteam konnte Bravos verbuchen. Doch ein Erfolg war es nicht, Begeisterung klingt anders.

Einem nämlich schlug sie entgegen: Es war Michael Volle als Holländer. Äußerlich eine dämonische und unzivilisierte Urgewalt mit Jack-Nicholson-Ähnlichkeit, stimmlich eine Offenbarung von gebändigter Kraft und dunkler Schönheit. Er sang – ähnlich wie Theo Adam – einen eleganten, großzügig phrasierenden Holländer mit ungeheuren Ausdrucksnuancen und hervorragender Wortbehandlung. Was er an wütender Todessehnsucht, Hoffnung und Zartheit ausschließlich per Stimme kommunizierte, war absolut glaubwürdig und traf direkt ins Herz. Ein großer Sängerdarsteller und ein Glücksfall für die Aufführung.

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Das zweite Zugpferd des Abends war Dirigent Daniel Harding. Er dirigierte mit Schubkraft, Temperament und ohne Experimente. Kompromisslos romantisch zeichnete er Wagners dramatische Fieberkurven nach. Ein Orchester in Bestform half ihm dabei. Alles, was sich nach Längen anfühlte – und die gab es leider öfter! – war durch die Regie verschuldet. Die Staatskapelle Berlin spielte mit perfekter Balance zwischen Klangfülle und Transparenz, sehr musikalischen Solostimmen und präzisestem Schlagwerk. Auch die Windmaschine hatte in der trockenen Akustik des Schillertheaters einen prominenten Auftritt. Dieser Holländer hatte einerseits Wucht und andererseits Feinheiten, die sonst oft untergehen. So hörte man unter dem fröhlichen Getöse der Reprise von „Steuermann lass die Wacht“, leise die Holländer-Motive aus dem Graben krabbeln und das Erwachen der Holländermannschaft ankündigen. Regietechnisch bedingt sangen die Holländermatrosen leider aus dem Off und durch Verstärker, wodurch ein Zweikampf der Chöre unterblieb und das Orchester dominierte.

Der Chor in der Einstudierung von Eberhard Friedrich trat mit je 18 Herren und Damen in Kammerbesetzung an. Wie gut diese stimmlich aufgestellt waren, bewiesen sie als wohltemperierte Spinnerinnen und vorlauter Matrosenchor von erstaunlichem Volumen.

Der Daland von Tobias Schabel war ein schlanker und klangschöner Bass. Wagner gibt ihm als bravem Erdenbürger die „Lortzing-Passagen“ seiner Oper – und dafür war Schabels Stimme wunderbar geeignet, die artikuliert auf den Melodiebögen dahinfloss. Vom Publikum wurde er unterbewertet. Der Erik von Stephan Rügamer steigerte sich in seinem zweiten Arioso zu großer Intensität, nachdem er eher spröde begonnen hatte. Peter Sonn als Steuermann wirkte etwas aufgeregt und forciert in seinem Lied, wie auch Emma Vetter ihre Rolle als Senta mit dünner, spitzer Stimme und stark tremolierend begann, was die „Ballade“ zum Schauerstück machte. Im Folgenden blühte sie zu immer mehr Kraft und Rundheit auf. Schauspielerisch gelangen ihr Sentas rebellische Entschlossenheit und kindliche Schutzbedürftigkeit berührend.

Fazit: Philipp Stölzls „Fliegender Holländer“ in der Staatsoper im Schillertheater Berlin kann man sich anschauen. Muss man aber nicht.

 



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