Stefan Herheims Manon an der Semperoper Dresden

Von 7. März 2013

 

Drei Geschichten auf einmal, aber keine bis zum Ende erzählt, so könnte man die neue Inszenierung der von Stefan Herheim zusammenfassen, die am 2. März in der Semperoper in Dresden Premiere hatte: Giacomo Puccinis erste Erfolgsoper „Manon Lescaut“. Christian Thielemann dirigierte einen Cast aus Ensemblemitgliedern und Gästen in einer Aufführung, die beim Publikum insgesamt gut ankam, doch einige Fragezeichen hinterließ.

Zwischen Fin du Siecle und Show-Effekten

Das erste Fragezeichen galt dem Schauplatz: Es war die historische Konstruktionshalle der Freiheitsstatue, die in Paris in Teilen gefertigt und nach New York verschifft wurde. Die Bauteile sah man herumstehen, ebenso wie ein unfertiges Modell der Miss Liberty ohne Gesicht. De Grieux war der Kostümierung nach ihr Konstrukteur und der Chor stellte Arbeiter und neugierige Bourgeoisie dar, die kam, um den Herstellungsprozess zu begutachten. Gesine Völlms filmreife und farblich wunderbar nuancierte Kostüme gaben dieser Fin du Siecle-Ausstattung Seriosität, während das Bühnenbild von Heike Scheele mit allerlei Verwandlungs- und Show-Effekten sehr an das Unterhaltungsprogramm im Friedrichstadtpalast erinnerte.

Die Grätsche zwischen tragischem Musiktheater und Budenzauber war das Problem: Ständig rollte die Drehbühne nach rechts oder links und hielt die Darsteller auf Trab – es blinkten die Sterne, verwandelten sich Bauteile. Menschen wurden zu Rokoko-Gestalten, denn auf einmal purzelten Zeitreisende aus dem 18. Jahrhundert aus der Unabhängigkeitserklärungs-Tafel: Es waren Manon, ihr Bruder und der schmierige Geronte.

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Der geheimnisvolle dritte Mann

Zu diesen gesellte sich ein Herr mit schwarzem Mantel und Melone, der immer dann eine Zigarette anzündete, wenn die zündende Idee im Handlungsverlauf fehlte: Es war Komponist Giacomo Puccini (Mathias Kopetzki), historisch verbürgter Frauenheld und Kettenraucher. Manon ist bereits eine Dreiecksgeschichte, wozu der dritte Mann? Herheim lässt ihn sich orgiastisch krümmen und mitfiebern, als hätte er mit ihm seinen eigenen Opern-Orgasmus inszeniert. So wird der Komponist zur Projektionsfläche, die vom Wesen der Musik ablenkt. Und dann stellt er sich auch noch in die Mitte des Liebespaares und zwingt sie, mit ihm Händchen haltend ihr Duett zu singen, um dabei in Ohnmacht zu fallen! Merke: Er muss das eigentliche Hindernis für ein Happy End sein …

Und weder kommt Herheims Manon in der Wüste an, noch Miss Liberty auf ihrem Sockel. Was fehlt, ist ein logischer Schluss. Nach einem letzten, verzweifelten Flirt küsst der Komponist Madame zu Tode, während ihr Held das Modell der Liberty demontiert. Skandalös, dass der Melonen-Puccini sich im Verhallen des Schlussakkordes wieder seelenruhig dem Schreibtisch zuwendet, als sei Manon für ihn nur eine von vielen gewesen …

Das Publikum verzieh die inhaltlichen Schwächen, wenige Qualitäts-Verfechter versuchten, das Regieteam abzustrafen und wurden vom Hauptstrom mit Bravos und Getrampel übertönt.

Einen Ärmsten jedoch traf es am ärgsten. Tenor Thiago Arancam war als De Grieux eine Fehlbesetzung. Er wurde von Teilen gewürdigt, von unangenehm Vielen ausgebuht.

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Fragezeichen bei der Besetzung

„Er wird doch wohl nicht …?“, hatte man sich besorgt gefragt, als er seine Stimme erhob, die nicht ansatzweise das Volumen hatte, um das große Haus zu fluten. Während beim zweiten Tenor die goldenen Klangstrahlen aus der Kehle schossen! Giorgio Berrugi versorgte munter drei Nebenrollen und überstrahlte den Helden um Längen. Arancam wirkte wie der kleine Bruder von Jonas Kaufmann – gutaussehend, dunkel timbriert. Doch wie unbalanciert, kehlig, säuselnd und mühevoll gepresst schlug er sich durch den Part.

An der Seite dieses fragilen und tapferen Romantikers stand die propere Norma Fantini als Manon. Und das im positiven Sinne: Sie verfügt als Puccini-Heldin über so viel Erfahrung – als Sängerin wie Schauspielerin –, dass sie ihre Rolle von der großen Kantilene bis zum kleinsten Seufzer kontrollierte und mühelos gestalten konnte, wie es nur eine reife Künstlerin schafft. Sie war Triebfeder der Aufführung und wurde der Publikumsliebling.

Maurizio Muraro steuerte mit voluminösem Bass und Rokoko-Schminke einen doppelbödigen Geronte bei, zwischen Papa und Lüstling. Christoph Pohl empfahl sich als Bariton für alle Fälle mit einem Lescaut voll dubioser Nonchalance und elegant gebändigter Kraft. Stark auch die kleinen Auftritte von Scott Conner als Wirt, Seargeant und Schiffskapitän. Der Chor (Pablo Assante) sang und agierte souverän, egal ob im Gerüst oder konfettiwerfend.

Latte Macciato ohne Milchschaum

Christian Thielemann am Pult der Sächsischen Staatskapelle dirigierte Puccinis Musik in einem natürlichen Fluss und bis auf einige dramatische Momente und Aktschlüsse, die er stark herausmeißelte, verzichtete er auf Pathos und Überzeichnung. Das war eine gute Basis für die Singstimmen und hörte sich überraschend italienisch an, aber noch etwas mehr Süße und Schmelz hätte es gebraucht, um die wahre „Italianitá“ und den letzten Genuss-Kick in die Ohren der Zuhörer zu zaubern. So gelang das solide Spiel der Sächsischen Staatskapelle schon wie Latte Macciato, aber ohne Milchschaum. Das Publikum war trotzdem glücklich und feierte Thielemann und das Orchester stürmisch.



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