Technik sollte der Musik dienen

Eine Kritik unseres modernen Feuerwerk-Wahns
Titelbild
Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Eric Shumsky
Von 4. Februar 2010

Der heutige Eiskunstlauf scheint auf den vierfachen Sprung fixiert zu sein, ein Kraftakt der vier Revolutionen verlangt – er ist von allen Eiskunstbewegungen das 24ste Capriccio von Paganini oder das Concerto in fis-moll von Ernst und könnte, wenn er vom dem, der sich dreht, schlecht ausgeführt wird, einfach töten.

Er ist eine Heldentat, die man ansehen muss. Er ist der Faktor der blendet und in Gefahr bringt. Der „Bungeejump“- Effekt und der Seiltänzer-Killer aller Bewegungen – er bringt uns in Wallung.

Doch ich erinnere mich, als vor einigen Jahren eine wunderschöne russische Eiskunstläuferin, ehemalige Siegerin, die Eisbahn betrat und eine wunderbare Kür aufführte, zerrissen die Schiedsrichter ihre Präsentation sofort: „Zu alt, nicht beweglich genug (ich glaube, sie war damals gerade mal 26 Jahre und umwerfend elegant), über ihr bestes Alter hinaus, sollte ausscheiden, sie versucht nur zu beweisen, dass sie es noch schaffen kann.“

Ich war sehr betroffen davon, wie wenig erwähnt wurde, dass sie in solch anmutiger und herrlicher Weise auf dem Eis tanzte – und wie sie doch die Zuschauer mit ihrer Kunst verzauberte.

Ich sehe die genaue Parallele in der Welt des Geigenspiels. Heute haben nur sehr wenige Geiger ein Repertoire, das über ein paar Paganini-Capriccien hinausgeht. Ihr Ziel scheint zu sein, das Leben aus den Zuhörern heraus zu ballern und uns mit ihren Zirkus-Kunststücken zu blenden.

Es ist mehr als genug wenn jemand schön spielt. Tatsächlich ist es zu einer Seltenheit geworden, dass jemand eine Phrase wunderschön gestaltet. Wir sind mechanisiert worden und versessen darauf, den menschlichen Geist, Herz und Mut in eine Maschine zu verwandeln, stets geneigt zu mehr technischer Leistung und dazu, Gefallen daran zu entwickeln.

Aber die Musik scheint immer weniger wichtig zu werden. Ich liebe gute Intonation, ich liebe einen sanften Bogenwechsel, ein schönes Vibrato um ein Vielfaches mehr, als sorgfältig kalkulierte Computer – Wiedergaben auszuspucken, die hoch symmetrisch einen Eindruck von Perfektion ergeben.

Miki Ando aus Japan, sie war die erste Eiskunsttänzerin, die beim Wettkampf einen Vierfachsprung schaffte.Miki Ando aus Japan, sie war die erste Eiskunsttänzerin, die beim Wettkampf einen Vierfachsprung schaffte.Foto: STR/AFP/Getty Images

Technik sollte der Musik dienen, denn die Musik hat etwas zu sagen. Technik kann auch eine Darbietung aufwerten mit dem Vorteil, den Selbstausdruck des Künstlers zu ermöglichen.

Vielleicht ist es die Kritik, die dem Problem zugrunde liegt. Wir müssen einander vergleichen, um zu lernen und uns zu verbessern, aber auf einer gewissen Ebene tötet kritischer Vergleich die Individualität – den wesentlichen Stoff von Kunst und Leben.

Ich habe einige Stunden bei einem großen ungarischen Geiger genommen. Er war ein riesiges Talent und eine wirkliche Persönlichkeit, zweifellos. Für manche Arten von Musik war seine Technik wie maßgeschneidert. Aber als Lehrer war er äußerst destruktiv. Er war versessen darauf, die Spieler auseinander zu nehmen und zu zeigen wie ihre minderwertige Technik niemals für die interpretierte Musik ausreichte und sie sogar einschränkte. Er kritisierte mit einem Lächeln im Gesicht.

Es muss jetzt fast dreißig Jahre her sein. Mehrere Jahre unter seinem Bann lernte ich wohl einige neue Fertigkeiten. Aber schließlich bemerkte ich den Svengali-Effekt*, den er auf mich hatte. In Wirklichkeit wäre sein enormes Ego am glücklichsten gewesen, viele Klone von sich zu sehen, die im Umkreis des Konzertes herumtourten, um als Propagandamodelle für den echten Event zu wirken – für seinen Auftritt.

Ich erinnere mich auch an einen armen Zigeuner in einer Gasse in Bukarest. Mit zwei gerissenen Saiten auf seiner Fidel, mit Handschuhen, die für die Finger Löcher hatten und mit eiskaltem Atemhauch, kämpfte er bei jedem Ausatmen aus seiner Fidel einen Klang heraus mit einer ungeschickten Bogenhaltung, die ich nicht nachahmen konnte, nicht bei all den Jahren der Technik-Übungen und den von mir entwickelten Fertigkeiten.“

Sein Spiel war ein gefoltertes Ächzen. Er spielte und wir gaben Geld. Es war keine angenehme Erfahrung, aber dennoch absolut tiefgründig. Seine Armut, sein verwittertes Gesicht, seine expressive Traurigkeit spiegelten sich genau im Klang seines Spiels wider. Eins-Sein ohne Fassade –  gar nicht einfach.

Bis heute bringt mich diese Erinnerung dazu, nachzudenken warum wir spielen – um nach etwas Essenziellem zu suchen?

Oder vielleicht sollte die Technik die Kunst ersetzen. Warum nicht Russisches Roulette in eine der Drehungen im Eiskunstlauf einführen – sagen wir zwischen der dritten und vierten Drehung, oder noch besser, nachdem die vierte Drehung vollendet ist. In diesem Moment drückt der Eiskunstläufer den Abzug eines Revolvers mit fast vollständig geleerten Kammern und auf seinen Kopf zielend. Wir werden so donnernden Applaus bekommen, wenn der Eiskunstläufer davon läuft. Ich bin mir sicher, die Einschaltquoten werden durch die Decke gehen, mehr Produkte werden verkauft und Eiskunstlauf wird niemals aufregender sein – wenn Aufregung die einzige Emotion ist, die wir befriedigt haben wollen.

Ich sage es noch einmal: Technik sollte der Musik dienen.

* Als Svengali bezeichnet man eine Person im Hintergrund, die eine andere Person stark beeinflusst oder sogar manipuliert, beispielsweise ein besonders einflussreicher Manager eines Künstlers.


Originalartikel auf Englisch: Technique Should Serve the Music

Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Eric Shumsky


 




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