Trennbare Verben

Von 9. Mai 2010

Was haben die Nebensätze und die trennbaren Verben in der deutschen Sprache gemeinsam? Ich wette, dass das für Deutschmuttersprachler die am schwierigsten zu lösende Frage ist. Die Antwort auf diese ausländerleichte Frage lautet: bei den Beiden handelt es sich um ein perfektes Training für die Kontinuität des Denkens.

Zwei Beispiele, die die oben genannte Antwort veranschaulichen können:

1. Ich habe gehört, dass DIE SHOW um sieben Uhr abends am nächsten Freitag, dem 24.3., im Friedrichstadtpalast an der Friedrichstrasse, einer der berühmtesten Einkaufsstrassen Berlins, die gleichzeitig die teuerste ist, STATTFINDET.

2. Die Show FINDET um sieben Uhr abends am nächsten Freitag, dem 24.3., im Friedrichstadtpalast an der Friedrichstrasse, einer der berühmtesten Einkaufsstrassen Berlins, die gleichzeitig die teuerste ist, STATT.

Der Abstand zwischen dem Substantiv „die Show“ und dem Verb „stattfindet“ im ersten Satz ist fast genau so groß wie der zwischen dem ersten Teil des Verbs und dem zweiten Teil des Verbs „stattfinden“ im zweiten Satz. Ein laaaanger Atmen ist angesagt. Und noch wichtiger ist, dass man, obwohl man gedanklich schon am nächsten Freitag in der teuersten Einkaufsstrasse Berlin schweift, am Ende doch noch blitzschnell in die kalte grammatische Welt zurückkehren und im Nu das richtige Wort für das Ende des Satzes finden muss.

Die meisten Ausländer lernen Deutsch im Unterricht manchmal auf eine sehr komische Weise. Wir lernen zum Beispiel zuerst in den Vokabeln der Lehrbücher die sehr gut wissenschaftlich resümierten Formen der originalen Verben. Wenn ich sagen wollte: „Die Show findet heute statt“, so dachte ich zuerst an die originale Form „stattfinden“, dann wurde die Reflektion angesetzt: „das ist ein trennbares Verb, also der hintere Teil soll vor den ersten Teil gestellt werden“, und dann kam ich endlich auf das Wort „findet“; zum Schluss des Satzes musste ich auch noch aufpassen, dass ich den ersten Teil des Verbs „statt“ nicht vergesse. Das ist ein Gedankengang, der auf den Kopf gestellt ist. Nachdem dieser Gedankengang wer weiß wie viele Male wiederholt wurde, konnte ich den Kopf wieder aufrecht stellen und trotzdem die trennbaren Verben in der richtigen Reihenfolge benutzen.

Ich habe hingegen meinen fünfjährigen Sohn Siegfried beobachtet, wie er die deutsche Sprache lernt. Er ist übrigens nicht besonders gut im Deutschen, obwohl er einen durch und durch germanischen Namen hat. Auch seine typisch chinesischen dunkelbraunen Augen werden nicht wegen dieses schönen Namens blau. Die Haare nicht deshalb blond, die Nase auch nicht länger. Zuhause sprechen wir ausschließlich Chinesisch. So kann ich aber den relativ langsamen Lernprozess der deutschen Sprache bei ihm in aller Ruhe beobachten. Er spricht auch langsam, aber nicht wegen des komischen Gedankengangs wie ich es tue. Er kennt zum Beispiel kein „stattfinden“ oder „wegfahren“. Er kennt nur „es findet statt“ oder „er fährt weg“. Für ihn ist das nur ein Verb (ich glaube, er versteht noch nicht einmal was ein Verb ist) mit einem kleinen Wort hinten dran. Später irgendwann in der Schule, vermute ich mindestens, wird er auf die originale Form der trennbaren Verben kommen.

„Ein absurder Lernprozess“, dachte ich, als ich Siegfried beim Deutschlernen beobachtete, „warum können wir Erwachsenen im Deutschunterricht nicht so lernen wie die Kinder!?“ Allerdings war es offensichtlich zu spät. Denn ich habe die trennbaren Verben schon gelernt und diesen komischen Gedankengang bewältigt.

Was ich bei Deutschen immer wieder feststelle, und was meine Bewunderung hervorruft, ist, dass die Deutschen sehr gut in der Kontinuität des Denkens sind, vielleicht wegen des subtilen Einflusses der Nebensätze und trennbaren Verben? Da ich oft an fremden Orten in Deutschland bin, kommt es ebenso oft vor, dass ich den Busfahrer nach einer bestimmten Busstation frage. Der Busfahrer sagt dann zu mir so etwas wie: „Ich sage Ihnen dann Bescheid“. Der Bus fährt, fährt und fährt. Etliche Fahrkarten hat der Busfahrer verkauft, etliche Gespräche hat er mit Fahrgästen geführt, und ich sitze schweigend auf meinem Sitz. So denke ich, er habe mich mit Sicherheit vergessen. Dann schaue ich selbst auf den Fahrplan und kalkuliere, wann ich aussteigen muss. Aber der Busfahrer, der auch nach einer Stunde den nach meiner Meinung schon verlorenen Faden unseres Gesprächs wieder auflesen kann, erinnert mich immer rechtzeitig, wann ich aussteigen muss.

Ob das wirklich mit dem täglichen Training der Nebensätze und trennbaren Verben zu tun hat, ist eine Frage, über die sich die Wissenschaftler den Kopf zerbrechen müssen, und nicht ich, die ich mich in meiner Freiheit auf dem Sofa zurücklehne und mit einem amüsierten und lockeren Gemüt auf die anfängliche Zeit meines Deutschlernens zurückblicke, mit einer Tasse grünem Tee in der Hand.

 

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