Wagner überall und nirgends

Titelbild
Des Hügels blonde Herrinnen: Wagner Urenkelinnen Katharina und Eva Wagner-Pasquier mit Bayreuths Bürgermeister Michael Hohl und Gemahlin... (The Epoch Times)
Von 27. Juli 2009

Die Straßen tragen hier so klingende Namen wie „Lohengrinstraße“ oder „Nibelungenstraße“, und der Tee wird aus Porzellan der Marke „Walküre“ getrunken. Man ist also angekommen in der Richard-Wagner-Stadt Bayreuth.

Die fränkische Kleinstadt wäre wohl beschaulich und unbedeutend geblieben, hätte der Gigant der Musikgeschichte hier nicht mit der Begründung der Festspiele sein Lebenswerk vollendet. Der Personenkult um ihn und sein unergründliches Genie ist Bestandteil des Alltags: An diesem Festspiel-Eröffnungssamstag 2009 schmücken Blumen und Kränze der Festspielleitung, der Solisten der Festspiele und des Freistaates Bayern das Grab Wagners, als wäre er erst letzte Woche gestorben. Sogar der Grabstein seines Hundes  ist liebevoll mit Knochen und Schleifchen dekoriert.

Richard Wagner lebt – oder vielmehr der Kult um ihn

Die Aufmerksamkeit der gesamten musikalisch künstlerischen Welt richtete sich im Jahr 1876 auf Bayreuth, als die ersten Opernfestspiele ihrer Art in der Geschichte stattfanden. Persönlichkeiten wie Ludwig II. von Bayern, der den Bau des Hauses finanziert hatte, Kaiser Wilhelm I., Peter Tschaikowsky, Edvard Grieg, Camille Saint-Saëns waren gekommen.

Heute, 123 Jahre später, versammelt sich ein kleines Heer von Fotografen und Kamerateams vor dem Eingangsportal des Grünen Hügels – Bayrischer Rundfunk, ARD,  lokale Zeitungen. Bayreuther Schaulustige mit Kind und Kegel erwarten die Ankunft der Prominenz – Angela Merkel, Thomas Gottschalk (der dann doch nicht kam) und Guido Westerwelle stehen auf der Gästeliste. Und natürlich hatte ja der Generationswechsel der Festspielleitung stattgefunden, die zum ersten Mal nach dem Rücktritt des im August 90-jährigen Wolfgang in den Händen seiner Töchter Katharina und Eva Wagner-Pasquier lag.

Die einstige Größe der Festspiele spiegelt sich in den Augen derer, die in der Vorstellung sitzen dürfen, wie zum Beispiel der pensionierte Banker Willi Bergmann aus München, der seit 15 Jahren zum ersten Mal wieder dabei ist: Ein bisschen entrückt kucken er und seine Frau in der Pause von „Tristan und Isolde“ auf den Platz.

Für ihn ist es immer noch so faszinierend wie damals: „Die Atmosphäre, die Akustik, der Eindruck. Es gibt immer noch diese Holzstühle, und die Kissen zum Ausleihen gab es damals auch schon… ich bekomme gleich Gänsehaut. Und das Publikum ist hier anders als üblicherweise im Theater. Ganz ruhig während der Aufführung…“ Seine Frau Ewa Orpik im rot-schwarzen Edeldirndl, findet den Eröffnungsnachmittag „sehr theatralisch“ und etwas Besonderes: „Die Leute heut hier außenrum – das ist  noch einmal wie Theater.“

Gefragt, wie ihm die Inszenierung von Christoph Marthaler gefalle, meint Bergmann:

„Ja, das ist eigentlich eine Katastrophe, da muss man ja die Augen zu machen, um die Musik genießen zu können.“ Aber der sanfte Ton seiner Stimme ändert sich nicht.

...die Büste des Mannes des größten Festspiel-Förderers, Ludwig II. von Bayern. (The Epoch Times)…die Büste des Mannes des größten Festspiel-Förderers, Ludwig II. von Bayern. (The Epoch Times)

Der Zauber wirkt. Leise fügt er hinzu „Schade, dass man die alten Opern nicht in ihrer ursprünglichen Inszenierung aufführt“. Alexander Ehlers, Jurist aus München, sagt, er sei schon seit seiner Kindheit begeisterter Wagnerianer, ein kleiner goldener Ring am Revers verrät, dass er  Mitglied des Mäzenatenvereins „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth e.V.“ ist, der einen großen Teil der finanziellen Unterstützung der Festspiele leistet.

Sachlich äußert er seine Ansichten: Der Wechsel an der Festspielspitze war natürlich notwendig, Die Querelen darum fand er unangemessen und die Entscheidung mehr politisch als künstlerisch motiviert. „Ich habe Bayreuth immer als etwas betrachtet, das sich vor allem dem Künstlerischen verbeugt. Jetzt soll Bayreuth zu einer Marke gemacht werden. Public Viewing find ich gut, aber wenn man das im Gesamtkontext sieht, dann hat man das Gefühl, dass es jetzt nicht mehr um Bayreuth, Wagner und die Musik geht, sondern mehr um die Ausnutzung und Vermarktung einer Idee – und das finde ich nicht so spannend.“ Die Werbebanner eines Sponsors, die erstmals direkt vor dem Haus zu sehen sind, bezeugen dies. Privatier Georg Zenkel, früherer Coca-Cola-Konzessionär, betrachtet die Sache locker: „Ich bin kein Opernfan und kann das nicht beurteilen, aber ich denke Katharina wird ihren Weg machen und auf ihre Weise Erfolg haben.“ Der Bayreuther war wie jedes Jahr als Schaulustiger gekommen und fand die Stimmung gut, aber den Empfang wegen der fehlenden internationalen Stars nur durchschnittlich.

Auf zum Staatsempfang

Der Staatsempfang im Neuen Schloss, der sich an die Aufführung anschließt, hatte den Charakter einer Edel-Gartenparty und wurde mit launigen Worten des Ministerpräsidenten Seehofer eingeleitet, der von einem „fulminanten Start“ in die Festspielsaison sprach und den Mitwirkenden für den gelungenen Abend dankte. Erstaunlich ungezwungen und kurz fiel die Danksagung an Ex-Festspielchef Wolfgang Wagner aus, der ob seines fortgeschrittenen Alters – er wird in diesem Jahr 90 – nicht gekommen ist. Seine Ära sei zweifellos „großartig, prägend und glänzend“ gewesen, fasste Seehofer zusammen.

Katharina Wagner und Eva Wagner-Pasquier stehen dabei neben ihm mit den Solisten des Abends, aber keine der Wagner-Schwestern nutzt die Chance, zum Publikum zu sprechen, das neben der Politprominenz hauptsächlich aus  Festspiel-Angehörigen, Mitarbeitern der Stadt Bayreuth und deren Familien besteht. Es wird schnell wieder übergegangen zum Essen, das eifrige junge Damen in mehreren Gängen durch die Zelte tragen. Hier feiert sich eine Kleinstadt selbst als Gesamtkunstwerk, vergessend mit welch großer Vision alles mal angefangen hatte.

Inmitten angeregter Unterhaltung erfährt man dann noch die offiziellen Reaktionen auf den künstlerischen Teil des Abends: Wirtschaftsminister zu Guttenberg nennt den Marthaler-Tristan eine „sehr streitbare Inszenierung“, und dem britischen Kulturminister Ben Bradshaw hatte es  die „Prüderie der Darstellung“ angetan.

Offenherzig äußerten dagegen viele der weniger Prominenten Zuschauer ihre Enttäuschung, wie zum Beispiel Stefan Gartner, Hautarzt aus München: „Die Inszenierung macht wirklich die Wirkung der Musik kaputt. Dieses Rauschhafte der Musik kann man gar nicht mehr genießen, weil die Inszenierung einen so runterzieht. Der Tristan besteht aus der Leidenschaft der Liebe und der Unerfüllbarkeit dieser  Liebe, die sich erst über den Tod hinaus im Kosmos in positive Energie auflösen kann. Das wird ja gerade konterkariert durch die Inszenierung, die Spießbürgerlichkeit der Liebe wird vorgeführt. Der Marthaler hat seinen Inszenierungsstil gnadenlos dem Tristan übergestülpt, und das ist das Hauptproblem.“ – „Man sollte wenigstens mal etwas Idealismus rüberbringen, den Komponisten respektieren, der  alles haargenau aufgeschrieben hat“, sagte die koreanische Pianistin Ho-Hyung Cho-Schmidt aus Schwetzingen.

Unabsichtlich erfährt man an diesem Abend auch etwas über die Faktoren, die in künstlerischer Hinsicht den Glanz Bayreuths trüben dürften. So raunte uns eine Reinigungskraft folgendes Gerücht zu: Dass man einen gewissen Sänger, der stimmlich nicht mehr überzeuge, nicht absetzten könne, da man mit ihm vertraglich über mehrer Jahre verbandelt sei – die Folge einer bereits verflossenen Liaison des Besagten mit der jetzigen Leiterin. Nach über hundert Jahren wird also in Bayreuth alles Mögliche gespielt – doch die Musik erzählt uns noch immer von Erlösung und Unendlichkeit.



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