Weniger ist manchmal Vermeer

Titelbild
Foto: Artrenewal/Staatliche Museen Berlin
Von 4. Juni 2010

Mit nur zwei Bildern pro Jahr gehörte Johannes Vermeer (1632-1675) zu den langsameren Malern, und bis heute können ihm nur 35 Werke zweifelsfrei zugeschrieben werden. Zu Lebzeiten von bescheidener Berühmtheit, blieb der Delfter für 200 Jahre völlig vergessen, bis er dank seiner erstaunlich modernen Weltsicht im 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Die „Junge Dame mit Perlenhalsband“, zu sehen in der Berliner Gemäldegalerie, ist ein besonders schönes Beispiel für Vermeers faszinierenden Blick.

Ein Vanitas-Motiv

Wir beobachten eine junge Dame bei der Morgentoilette, in dem Moment, wo sie ihr Perlenhalsband anlegt. Gleich wird sie es mit zwei Bändern zubinden und hält deren Enden graziös zwischen den Fingerspitzen, nicht ohne einen Blick in den Spiegel zu werfen, der vor ihr an der Wand hängt.

Zart und makellos wie ihre Schönheit ist auch die beinah neblige Oberfläche des Gemäldes.

Die Dame erscheint in weichen Grautönen, die durch die Mischung verschiedenfarbiger Pigmente erzeugt wurden. Vermeer plaziert sie vor einer sehr ähnlich getönten Wand und gab damit dem Bild eine traumähnliche Atmosphäre, zudem vermied er in ihrem Gesicht jegliche Kontraste. Die Perlen, winzige Pünktchen, strahlen dadurch umso reizvoller hervor.

Es ist wie ein Versprechen: Sie fühlt sich in diesem Moment wie eine Prinzessin oder träumt davon jemand besonderes zu sein. Natürlich handelt das Bild von Eitelkeit und Vergänglichkeit und steht in einer Reihe mit den anderen Genre Szenen Vermeers, die Alltagsgeschehen und moralisierende Aussagen verknüpfen. Bei Vermeer geschieht dies jedoch nicht mit mahnendem Zeigefinger, sondern   zurückhaltend und poetisch.

Genial einfach

Die Zartheit dieses Gemäldes ist betörend: Sei es, wie er ihre Finger darstellt, die Perlen oder die weiche Farbharmonie. Es geht ihm zuallererst um Schönheit und Ehrlichkeit und das macht es so bezaubernd. Begegnet man diesem Bild in der Berliner Gemäldegallerie, trifft man es in Gesellschaft eines Zeit- und Artgenossen: Direkt daneben hängt die theatralische Darstellung einer Dame, die in überladenem Ambiente zu einem riesigen Spiegel aufblickt. Und mit einem Blick hat man verstanden, was diesen schlichten Vermeer so einzigartig macht.

Wie ein unbemerkter Einblick

Der Stuhl auf der rechten Seite des Gemäldes ist nur als Ausschnitt zu sehen, eine Decke liegt über den Tisch geworfen und die Unaufgeräumtheit des Zimmers vermittelt einem das Gefühl,  unbemerkter Beobachter zu sein. Auf dem Tisch liegen Kosmetikutensilien, wie ein Puderpinsel, eine Silberschüssel, und etwas, das ein Kamm sein könnte.

Neben den zwei Gelbtönen der Gardine und der Jacke, fällt allein die orangerote Haarschleife der Dame als klare Farbe ins Auge. Vermeer arbeitete bevorzugt mit wertvollen Pigmenten, die er unvermischt anwendete, was seinen Bildern Strahlkraft gab. Statt Grau benutzte er lieber Mischungen von Blau mit Gelb oder Ockertönen.

Diese weiche Überlagerung von verschiedenen Pigmenten schafft auch hier die Atmosphäre, während das zerbrechliche Zitronengelb der Satinjacke leise die Vergänglichkeit des Augenblicks visualisiert. Gelb ist die Farbe, die als erste den eigenen Charakter verliert, wenn sie ins Dunkel fällt; sie stirbt praktisch im Moment des Überschattetwerdens. Hier entschied sich Vermeer für Gelb in dämmrigem Licht und sehr viel Schatten…

Edle Einrichtung

Das Gemälde zerbricht in zwei Teile, den unteren Part mit dem Mobiliar und dem oberen Part mit der leeren Wand. Die Alterung der Farben führte sogar noch zur Verschärfung des Hell-Dunkel-Kontrastes: Die Vase im Vordergrund wurde durch Nachdunkelung fast unsichtbar. Es gab eine sehr exakte und differenzierte Ausarbeitung der Holz- und Oberflächenstrukturen. Unter dem Tisch fällt eine beihnahe weiße Fläche ins Auge, wo ein Sonnenstrahl den Querbalken streift. Auch die schwarz-bläuliche Decke muss früher farbiger gewesen sein, wie die sorgfältige Schilderung ihres Faltenwurfs verrät.

In den schimmernden Messingknöpfen des Stuhls finden die Perlen ihr vergrößertes Echo. Auch die dunklen Flecken in der Pelzborte bieten dem Auge ein wenig gepunktete Abwechslung.

Flüchtige Freude

Obwohl die Dame in ihrem Liebreiz magisch attraktiv ist, strahlt das Bild eine unausgesprochene Traurigkeit aus. Auf unschuldige Weise ganz mit sich beschäftigt, den flüchtigen Moment genießend, ist sie doch – als einziger Bildgegenstand vor leerem Hintergrund – sehr einsam.

Schaut man dieses Bild an, blickt man gegen eine Wand, in deren Mitte sich nichts befindet.

Gefangen in der Eintönigkeit des Alltags und mit dieser Leere konfrontiert, was bleibt einem anderes übrig, als sich auf sich selbst zu konzentrieren?

Gemeinsam mit dem Mädchen wird sich der Blick dem kleinen Spiegel zuwenden, der neben dem Fenster im Schatten hängt. So zeigt die ganze Szene, wie sehr wir mit uns selbst beschäftigt, anstatt dem Außen zugewandt sind. Und das wiederum ist die poetische Gabe Vermeers – er beurteilt nichts, er zeigt es nur.

Fast wie Fotografie

Mehrere Vermeers betrachtend, wird man feststellen, das er Bilder vorallem als zweidimensionale Flächen sieht und die Objekte darin als dunkle und helle Flächen wertet. Er bringt Rechtecke und Figuren ins optische Gleichgewicht oder wiegt gemusterte mit einfarbigen Bereichen ab. Während andere Maler eine Handlung in einen imaginären Bildraum konstruierten, hatte er stets das am Ende flache Bild vor Augen.

Es war offensichtlich die Camera Obscura, die ihn lehrte, die Welt auf diese photographische Weise wahrzunehmen und ihn ungewöhnliche Bilder finden ließ wie die „Junge Dame mit Perlenhalsband“. Wie und in welchem Ausmaß er den Vorläufer des Fotoapparates genau benutzte, wird jedoch von Experten diskutiert.

Leere wird zum Gegenstand

Erstaunlich ist, wie er die Leere ins Bild gesetzt hat; er beschränkte die unverzichtbare linke Wand mit Spiegel und Fenster auf kleinsten Raum. Mit minimalen Mittlen hält er die Komposition in Balance: Alle wichtigen Linien, die steilen Diagonalen der Gardine, die parallelen Arme des Mädchens, die Rückenkontur ihrer Kleidung und die Stuhllehne stützen die kahle Fläche. Das Vanitas-Thema könnte nicht eindrucksvoller umgesetzt sein.

Obwohl Vermeer realistisch malte, benutzte er ein abstraktes Kompositions-Schema, was dieses Bild verstörend macht: Wenn so ein altes Gemäldes buchstäblich Nichts im Zentrum hat, dann ist das merkwürdig modern. Andere alte Meister glaubten absolut an die Notwendigkeit, ihren Bildern Mittelpunkt und Fokus zu geben – ein für die westliche Kunst essentielles Charakteristikum. So wurde Vermeer zum Propheten unserer modernen Wahrnehmung: Er erkennt hinter der Realität ein abstraktes Gerüst – doch Augen und Geist finden darin weder Mitte noch Ziel.

Foto: Artrenewal/Staatliche Museen Berlin

 



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