Zum 81. Jahrestag der Machtergreifung durch die NSDAP

Titelbild
Jaqueline Roussety mit dem Buch: „Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer“Foto: Renate Lilge-Stodieck / Epoch Times
Von 19. Januar 2014

„Wenn das der Führer sähe … und der sieht alles!“ nennt Jaqueline Roussety ihre  Filbinger-Gröger-Doppelgeschichte.
Die Berliner Erfolgs-Autorin stellt in einem wissenschaftlich-literarischen Vortrag die Lebensläufe des Marinesoldaten Walter Gröger vor, der in den letzten Kriegstagen nach einem Urteil des späteren Ministerpräsidenten Baden-Württembergs, Dr. Hans-Karl Filbinger, hingerichtet wurde.

Filbinger hatte die Todesstrafe für den 22 Jahre alten Soldaten gefordert, der 1943 in Oslo desertiert war. Noch am 16. März 1945, kurz vor Kriegsende, ließ der Marinestabsrichter Filbinger den Matrosen von einem Exekutionskommando erschießen.

Termin: 30. Januar 2014, Filmbühne am Steinplatz, Hardenbergstrasse 12 in Berlin, um 19.30 Uhr

Wir sprachen mit Jaqueline Roussety in Berlin darüber, warum dieses Thema uns heute noch etwas angeht.

Epoch Times: Sie haben über die Filbinger-Gröger-Doppelgeschichte bereits in der Form eines Essays in dem wissenschaftlichen Werk „Mit reinem Gewissen. Wehrmachtrichter in der Bundesrepublik und ihre Opfer“ publiziert. Was bringt Sie dazu, dieses Thema seit 10 Jahren zu verfolgen?

Jaqueline Roussety: Mich interessiert, wie haben die Nationalsozialisten besonders bei den jungen Menschen ihre Samen legen können, die in einer Generation zum Aufblühen kamen, die fast 10 Jahre in der HJ (Hitlerjugend) war oder im BDM (Bund deutscher  Mädchen) und die dann mit fliegenden Fahnen in den Krieg gezogen ist.

Epoch Times: In Ihrem neuen Buch-Projekt „Wenn das der Führer sähe…und der sieht alles!“ werden Sie diese Geschichte in Romanform bearbeiten und einem größeren Publikum zugänglich machen.

Roussety: Ja, eine der drei Schwestern von Walter Gröger, die schon über 80 Jahre alt ist, hat mich inständig gebeten, die ganze Geschichte von Walter Gröger als Roman in einem Buch herauszubringen. Und dieser Bitte folge ich gerne.

Epoch Times: Was berührt Sie an dieser Geschichte besonders?

Roussety: Das hat schon viel mit diesem Land zu tun. Ich, als Nicht-Kriegskind, habe mich immer gefragt, woher das kam, bei meinen Eltern und auch bei meinen Großeltern, dass dieses große Schweigen herrschte oder dieses Traumatisierte. Selbst bei meinen Eltern, die im Krieg noch Kinder waren, ist etwas mit diesen Menschen passiert, was man nicht wieder reparieren kann. Mich hat einfach interessiert, ob so etwas heute noch möglich wäre.

Epoch Times: Viele reden von den großen Widerstandskämpfern und sagen zu den Überlebenden: „Wie konntet ihr nur“. Haben Sie das auch getan?

Roussety: Das hab ich mit meinen Großeltern auch gemacht, bis ich mich eingehender mit den Medien der Nationalsozialisten beschäftigt habe, Propagandafilme, Leni Riefenstahl, die Wochenschauen, die Presse, die ganzen Radioanstalten, alles war zensiert, alles war gleichgeschaltet, und ich habe einfach bemerkt, was für eine Macht diese Bilder besessen haben und diese Stimmen. Und ich bin zutiefst erschrocken.

Epoch Times: Sie sind auch weiter zurückgegangen bis auf den ersten Weltkrieg? Um zu sehen, auf welchen Boden diese Samen fielen?

Roussety: Ja, in der Belle Epoque, der Zeit des Kaiserreiches, ging es den meisten Menschen eigentlich sehr gut, da gab es  diesen Spruch: „Aber irgendwann wurde den Menschen dieses Korsett zu eng.“

Als dann 1914 der Krieg ausgerufen wurde, sind die Leute  jubelnd in diesen Krieg gezogen. Sie hatten das Gefühl, endlich passiert mal etwas Aufregendes. Womit ich mich sehr beschäftigt habe, sind die ganzen Kriegsveteranen, die zurückkamen. Sie waren dermaßen traumatisiert, was überhaupt nicht bearbeitet wurde, das gab es natürlich damals noch nicht. Diese Menschen saßen wirklich als Krüppel zwischen allen Stühlen in einer Gesellschaft, die wieder zum Erblühen kam.

Es gab dann eine große Szene von reichen Menschen, die Boheme natürlich auch und den Aufbruch in der Metropole Berlin, aber dem gegenüber gab es eine immens große Schicht von brutalst armen Menschen, und, was mich am meisten interessiert, wie ging es den jungen Menschen. Die hatten traumatisierte Eltern, die aus dem ersten Krieg zurückkamen oder erst gar nicht zurückgekommen sind. Das heißt, ganze Familien waren komplett zerstört.

Epoch Times: Das bildete den fruchtbaren Boden, auf den Hitlers Verheißungen fielen?

Roussety: … Hitler hat es ja geschafft, mit ganz banalen Gefühlen, wie Bauch, Brot, Arbeit, diese Menschen für sich zu gewinnen. Und dann natürlich gleich von Anfang an mit Hilfe von Baldur von Schirach diese absolute Vereinnahmung der Kinder und Jugendlichen.

Mit acht Jahren sind sie zunächst ins Jungvolk gekommen und dann mit 10 Jahren in die HJ, die Hitler Jugend. Und dann hat er ganz klar gesagt: „Danach werden wir sie nie wieder freilassen.“ Und so wurde es auch gemacht, danach kamen sie in den Reichsarbeitsdienst und die Männer in die Wehrmacht und dann in den Krieg und die Frauen wurden gleich auf ihre Rolle als Ehefrauen und  Mütter vorbereitet. Das war eine große Generation, die dann auch in den Krieg gezogen ist.

Epoch Times: Aber zurück zu Walter Gröger und seiner Familie.

Roussety: Walter Gröger war zunächst begeisterter Mitmacher, ein Täter, der später zum Opfer wurde. Filbinger war in meinen Augen nur Täter. Es gab 2300 Marinerichter und keinem von ihnen ist nach Kriegsende ein Haar gekrümmt worden, keiner war je in der Schusslinie, keiner war auch jemals am Kriegsgeschehen beteiligt mit eigenen Erfahrungen.

Und Filbinger war schon in seiner Studentenzeit ein glühender Verehrer  des Nationalsozialismus. Er ist auch einer derjenigen gewesen, die danach reibungslos in der Bundesrepublik Karriere gemacht haben. Er ist für mich ganz klar ein reiner Täter. Ich behaupte mal, zunächst waren alle Deutschen Opfer von Hitler, aber irgendwann hätte man auch die Möglichkeiten gehabt, vielleicht etwas zu erkennen. Wie im Fall von Walter Gröger, der irgendwann gesagt hat: „Das will ich nicht.“

Epoch Times: Welchen Bezug hat das zu unserer Gegenwart?

Roussety: Wenn ich den Bogen schlage zu den heutigen NSU-Morden, so ist interessant, dass es wieder sehr, sehr junge Leute sind, und dass sie sehr jung waren, als sie sich der rechten Szene zuwandten.

Das ist genau, was mich interessiert, was daran ist für junge Leute so faszinierend und was reizt sie, in solch einem Kollektiv mitzumarschieren und dann irgendwann diesen Hass gegen andere Menschen in sich zu spüren.

Und da sehe ich ganz klar die Parallelen in dieser rechten Szene, die auch heute so aufgebaut ist, dass jeder in dieser Gemeinschaft eine Position erhält und dadurch das Gefühl bekommt, jemand zu sein. Er hat eine Aufgabe, er wird geachtet, die treffen sich wie früher auch zu Kundgebungen, zu Versammlungen, wo gesungen wird, die Fahne geschwenkt wird. All das, was bei der HJ und beim BDM auch Zeichen waren, diese ganzen Insignien, fast wie bei einer Theaterinszenierung, und das ist auch heute wieder so.

Deshalb ist es interessant, dass gerade junge Menschen wieder betroffen sind. Da muss man aufpassen, etwa in den vielen Dörfern, wo alle in die Stadt rennen und die Zurückgebliebenen keinen Sinn mehr sehen in ihrem Leben. Dann sind sie sehr offen für Leute, die kommen und sagen, ich kann dir wieder einen Sinn geben für dein Leben.

Epoch Times: Was spielte sich innerhalb der Familien ab?

Roussety: Die Familie Gröger wohnte in einem kleinen  schlesischen Dorf, in einer intakten Dorfgemeinschaft, und Anna Gröger, die Mutter von Walter war immer vehement gegen die Braunen. Das analysiere ich gerade, ab welchem Punkt musste sie, um sich und die Familie und in erster Linie die Kinder zu schützen, ruhig bleiben und sich nicht mehr wehren.

Anna Gröger hatte vier Kinder und irgendwann musste sie aufpassen, weil sie mit ihrer Opposition nicht nur sich in Gefahr brachte, sondern auch ihre Kinder. Und natürlich waren die Kinder irgendwann in der HJ und im BDM. Wenn eine ganze Klasse mitmacht und ich darf nicht dabei sein, dieses Ausgeschlossen sein ist unerträglich für eine Kinderseele. Aber als der Vater irgendwann mit der Uniform nach Hause kam, ist sie ausgerastet und hat die auf dem Hof verbrannt. Das hätte sie ins KZ bringen können.

Sie war diejenige, die die Idee hatte, zu ihrem Sohn Walter zu sagen, geh‘ wenigstens zur Marine, da bist du nicht direkt an der Front. Denn vor allem Mütter waren irgendwann an dem Punkt angekommen, den Söhnen und Männern zu sagen: „Sieh zu, dass Du nicht an die Front kommst, bitte nicht an die Front.“ Von da kamen die meisten Todesnachrichten zurück, und so hieß es, werde Flieger oder Matrose.  

Sie war heilfroh, dass Walter nicht direkt in der Schusslinie war, dass dies trotzdem sein Untergang war, weil er als Deserteur einen Filbinger als Wehrmachtsrichter bekam, der das Todesurteil über ihn verhängte, war natürlich nicht vorherzusehen.      

Epoch Times: Das Thema Wehrmachtjustiz und Deserteure ist auch lange noch nicht aufgearbeitet.

Roussety: Ja, und es bedarf einer breiteren Öffentlichkeit. Die Sätze Filbingers, mit denen er im Nachhinein versuchte, seine Taten zu rechtfertigen, erschüttern noch heute. „Ich habe kein schlechtes Gewissen. Im Gegenteil. Ich habe ein gutes Gewissen.“ Oder auch: „Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein.“ Solche Sätze sollten uns warnen!

Das Interview führte Renate Lilge-Stodieck



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion