Deutschland – einig Vaterland?

Über das Buch „Die verschmähte Nation“ von Uwe Lehmann-Brauns
Von 18. Januar 2006

Nicht alle haben Deutschlands Einheit herbeigewünscht. Und die, die sie wollten, haben sie sich anders vorgestellt. Uwe Lehmann-Brauns dokumentiert das in einem Buch mit dem kennzeichnenden Titel „Die verschmähte Nation. – Berliner Begegnungen, Wertungen“. Der Autor, seit 1979 Mitglied im Berliner Abgeordnetenhaus, hat sich unter anderem als kulturpolitischer  Sprecher der CDU-Fraktion einen Namen gemacht, allerdings nicht immer  zur Freude seiner Partei. Mit Blick auf die Berliner Verhältnisse zeichnet er aus persönlicher Sicht die Entwicklung der deutschen Ost-West-Beziehungen seit den sechziger Jahren nach. Er erzählt von seinen Begegnungen in beiden Teilen der Stadt sowie in der DDR und in den Staaten des Ostblocks. Aus der Perspektive eines Politikers, der die Teilung Deutschlands immer als schmerzhafte Wunde empfunden hat, bündelt er seine Erfahrungen und Erkenntnisse zu schlüssigen Analysen und Wertungen.

Er erinnert daran, daß für viele Westdeutsche, auch für viele westdeutsche Politiker, spätestens vom Ende der sechziger Jahre an die in der Verfassung verankerte Verpflichtung zur Wiedervereinigung kein Thema mehr war. Im Gegenteil, die DDR wurde als autonomer Staat bis zum Ende der achtziger Jahre respektiert, zumal, da sie seit den siebziger Jahren auch international an Gewicht gewonnen hatte. Besonders unter denen, die sich zur linksintellektuellen Schickeria zählten, galten daher kritische Vorbehalte gegenüber der Diktatur im sogenannten „Realen Sozialismus“ als reaktionär. Und er holt aus der Vergessenheit, wie die „Achtundsechziger“ nicht etwa gegen den Terror in der DDR mobil gemacht haben, sondern die westdeutsche parlamentarische Demokratie stürzen wollten. Sie diffamierten die Bundesrepublik als „faschistoid“, als „Schweinestaat“.

Er beschreibt, wie die westdeutsche Bevölkerung noch in den fünfziger Jahren zu Weihnachten Kerzen für „die Brüder und Schwestern drüben“ in die Fenster gestellt hat. In den Siebzigern war das vorbei. Die DDR gab es nun einmal, das war nicht zu ändern. Daran hatte man sich gewöhnt. Die Wiedervereinigung war uninteressant geworden, weil niemand mehr an sie glauben konnte. So degenerierte selbst die Berliner Mauer vom „unerträglichen Monstrum“, das sie war, zur touristischen Sehenswürdigkeit.

Dass die Einheit Deutschlands schließlich doch zustande kam, ordnet er nicht dem Willen der Mehrheit der Bevölkerung zu und auch nicht der Mehrheit der Politiker, sondern dem maroden wirtschaftlichen Zustand der DDR (von dem hierzulande offenbar kein Politiker wusste), dem Mut ostdeutscher Bürgerrechtler, einem Missverständnis, das die Grenzöffnung herbeiführte, und vor allem dem damaligen Bundeskanzler Helmut Kohl, der die Chance erkannte und entschlossen wahrnahm.

Uwe Lehmann-Brauns vergegenwärtigt diese Geschehnisse, die angesichts augenblicklicher Probleme in unserem Gedächtnis zu verblassen drohen, und er belegt sie mit Aussagen und Verhaltensweisen von Politikern, Schriftstellern und Künstlern, denen er als Berliner Abgeordneter im Laufe von dreieinhalb Jahrzehnten in Ost und West begegnet ist. Die Liste reicht von Heinrich Albertz über Bärbel Bohley, Valentin Falin, Vaclav Havel, Bernhard Heisig, Stefan Hermlin, Günter Grass, Gregor Gysi, Helmut Kohl bis zu Richard von Weizsäcker, um nur eine Auswahl zu nennen. In einigen Fällen sind auch die Charakterisierungen und die Kommentare zu den Persönlichkeiten höchst aufschlussreich: etwa im Fall von Manfred Stolpe, der trotz des Urteils, welches das Bundesverfassungsgericht kürzlich fällte, in dem dringenden Verdacht steht, ein Informant der DDR-Staatssicherheit gewesen zu sein. Selbst der Verdacht hinderte die rotgrüne Regierung 1998 nicht, ihn als Verkehrsminister ins Kabinett zu berufen. Freilich saßen neben ihm sieben Jahre lang auch prominente Repräsentanten der chaotischen Achtundsechziger Bewegung. Damit waren, wie Lehmann-Brauns schreibt, „die einstigen Verächter der Demokratie, Mittäter und Mitläufer der Diktatur, Befürworter der deutschen Spaltung…oben angekommen… in diesem Staat.“

Die Bilanz, die der Autor aus dieser Entwicklung zieht, ist daher nicht nur positiv: „…so ist die Einheit, die wir meinten, gelungen und misslungen. Ihr fehlt der Enthusiasmus, der Stolz auf eine unblutige, demokratische Revolution, ihr fehlen die politischen Persönlichkeiten…, ihr fehlt die Gerechtigkeit im Täter-Opfer-Verhältnis.“ Aber, so schließt er: „Am Ende hat es der Weltgeist mit den Deutschen gut gemeint…Wie lange werden sie das ignorieren?“

Ein wichtiges, ein hoch interessantes Buch liegt hier vor, das ein breites Echo finden sollte, auch in den Schulen. Wenn wir unser indolentes Verhältnis zu dem Land, in dem wir leben, nicht ändern, werden wir die Probleme, die uns jetzt bedrücken, nicht lösen können –   auch das sagt uns dieses Buch.
                                                                                                        

Uwe Lehmann-Brauns:  Die verschmähte Nation. Berliner Begegnungen, Wertungen; Mit einem Vorwort von Wolf Biermann;
Hohenheim Verlag, Stuttgart & Leipzig, 238 Seiten, 18.- Euro



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