Intuition – Das Merkmal einer guten Hebamme

Von 12. Januar 2005

Bei Mechthild Zarth einen Termin zu bekommen ist nicht so einfach. Die freiberufliche Hebamme betreibt seit 20 Jahren das Gebärzimmer in Heidelberg. Sie betreut bis zu hundert ambulante Geburten im Jahr. Ihr Alltag ist geprägt von durchgearbeiteten Nächten, dem Hin-und Herfahren zwischen den Familien, die gerade Nachwuchs bekommen haben, aber auch von dem immer wiederkehrenden Moment des Glücks, einen neuen Menschen begrüßen zu dürfen. Geburt vergleicht sie mit einer Überfahrt auf hoher See, man weiß nie vorher, wie sie verlaufen wird und welche Abenteuer es zu bestehen gilt.

Individualität steht im Vordergrund

Was ist eigentlich das Besondere an einer Geburt im Heidelberger Gebärzimmer, was hat man sich konkret vorzustellen, wenn von „natürlicher Geburt“ die Rede ist? Diese Frage beantwortet Mechthild Z. nicht, wie man erwarten könnte, mit einer Reihe von praktischen Details, wie etwa das Ausprobieren der optimalen Gebärstellung, das Vermeiden von grellem Licht, das Vorhandensein einer riesigen Badewanne, eines Gebärstuhls, die konsequente Bemühung einen Dammschnitt oder andere Eingriffe zu vermeiden usw. All diese Dinge sind für sie anscheinend selbstverständlich. Sie überlegt einen Moment und sagt dann im Ton der Überzeugung: ,,Für mich steht die Individualität im Vordergrund, jeder kann sich sein Umfeld schaffen nach eigenen Vorstellungen zu gebären.“ Diesen Satz untermauert sie mit Beispielen von Menschen, die religiöse Rituale in den Geburtsvorgang einbeziehen, solchen die Musik im Hintergrund wünschen oder einfach in Ruhe auf ihre eigene Weise den Geburtsprozess erleben wollen.

,,Frauen gebären leichter mit Männern“ ist eine andere Erkenntnis, die sich für die Geburtshelferin immer wieder bestätigt hat, allerdings fügt sie hinzu ,,wenn die Beziehung funktioniert.“ In diesem Fall gilt für sie das Motto ,,Der beste Geburtshelfer ist der, der die Hände in der Tasche lässt und sie nur rausholt, wenn sie gebraucht werden.“ Als wichtigsten Aspekt einer funktionierenden Geburtshilfe nennt die Hebamme immer wieder das Vertrauen und die intime Atmosphäre, die sich im Optimalfall schon bei den Vorsorgeuntersuchungen entfaltet. Hier geht es in der Hebammenpraxis nicht nur um Zuckerspiegel und Bauchumfang, sondern immer auch um ein Gespräch mit der einzelnen Frau, um deren Bedürfnisse und Fragen.

Natürliche Geburt mit weniger Risiko

Bestätigt wird ihre Auffassung von der Tatsache, dass in Ländern, wo Vorsorge und Geburt zumeist Hebammensache sind, weniger Risikoschwangerschaften und Interventionen zu verzeichnen sind. Ein gutes Beispiel hierfür sind die Niederlande.

Natürliche Geburt heißt oft auch ambulante Geburt, und so ist es auch im Heidelberger Gebärzimmer in aller Regel üblich, dass die Gebärenden wenige Stunden nach der Entbindung mit ihrem gut eingepackten Baby nach Hause fahren können. Dort werden sie dann regelmäßig von ihrer Hebamme besucht und bei der Versorgung des Kindes beraten. Auch wenn ,,die ersten ein bis zwei Tage meistens chaotisch sind“ hatte Mechthild Z. noch selten mit Eltern zu tun, die nicht durchaus in der Lage waren, diese Situation zu meistern. Das Baby nach der Geburt mit nach Hause zu nehmen ermöglicht vor allem ein gegenseitiges sich Kennenlernen und sich aufeinander Einstimmen.

„Es sollten sich weniger inkompetente Leute einmischen“

Nach ihren Wünschen zur Veränderung der Geburtshilfe in Deutschland gefragt, kommt wie aus der Pistole geschossen die Antwort: „Dass sich weniger Leute einmischen, vor allem weniger inkompetente.“ Nie stand das Thema Geburt so in der Öffentlichkeit wie heutzutage, wo man sich sogar Geburten live im Fernsehen ansehen kann.

Mechthild Z. spricht von einer medizinischen Überversorgung, die aber wiederum zu wenig Raum bietet um die schwangere und gebärende Frau als Gesamtheit zu begreifen und zu betreuen. Sie wird in dieser Meinung von einschlägigen Studien unterstützt. Führt man sich vor Augen, dass hierzulande ganze 6,7 Prozent der Kinder ohne medizinische Eingriffe zur Welt gebracht werden, bei jeder zweiten Frau ein Dammschnitt vorgenommen wird, jede fünfte einen Kaiserschnitt und 40 Prozent der Gebärenden einen Wehentropf erhalten, ist eine Hinterfragung dieser Praktiken eigentlich naheliegend.

Nachdenklich stimmt auch die Tatsache, dass die sogenannte High Tech Geburt keine nachweisliche Verringerung der perinatalen Sterblichkeit und keine Verbesserung des Zustands der Neugeborenen bewirkt hat. Da bisher nur 1,3 Prozent der Frauen in Deutschland außerklinische Geburtsorte wählen, haben diese kaum einen Einfluss auf die statistischen Erhebungen.

Hebammen brauchen gute Intuition

Als wesentliche Fähigkeit einer guten Hebamme nennt Mechthild Z. ,,Intuition“. Sie fügt nicht ohne Stolz hinzu: ,,Die Fälle, die wirklich heiß waren, habe ich mit meinen Händen erkannt.“ Als Beispiel nennt sie eine Frau, die sechs Wochen vor dem Geburtstermin zu ihr ins Gebärzimmer kam. Trotz diverser vorangehender Ultraschalluntersuchungen erkannte sie als erste, dass das Baby im Mutterleib nicht angemessen gewachsen war und wies die Mutter daraufhin in die Klinik ein. Dort konnte das offenbar unterversorgte Kind mit einem Kaiserschnitt gerettet werden.

Die freiberufliche Hebamme weiß die Anbindung ihres Gebärzimmers an die über dem Hof gelegene Uni-Klinik zu schätzen und grenzt sich entschieden gegen Hebammen ab, die bewusst Risiken eingehen, um ihre eigenen Vorstellungen von Geburtshilfe aufrecht zu erhalten. Entrüstet zeigt sie sich über unnötige medizinische Eingriffe, wie zum Beispiel Kaiserschnitte, die auf Krankenkassenkosten durchgeführt werden, weil eine Frau ihr Kind gerne vor Weihnachten haben möchte.

Zusammenfassend wünscht Mechthild Z. sich eine ,,Besinnung auf das Wesentliche und darauf, dass Geburt etwas Normales ist.“ Die Veränderung der Gesellschaft, die nach Mechthild Z. dazu geführt hat, dass die normale Geburt zum Ausnahmefall geworden ist, beschreibt sie so: ,,Man versucht jedes Risiko des Lebens auszuklammern. Es wird einem suggeriert, dass alles möglich, diagnostizierbar, vermeidbar ist.“ Sie möchte stattdessen ,,das Selbstvertrauen der Einzelnen in ihr eigenes Können stärken.“



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