Michael Albus über Religion als Erfahrung

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Michael AlbusFoto: M.A.
Epoch Times16. August 2012

Michael Albus, 1942 in Bühl/Baden geboren, ist seit 2002 Honorarprofessor für Religionsdidaktik der Medien an der Theologischen Fakultät der Universität Freiburg im Breisgau. Er studierte Germanistik und Theologie in Freiburg/Breisgau und promovierte 1974 bei Professor Dr. Klaus Hemmerle, einem sehr mystisch verankerten Menschen, der von 1975 bis zu seinem frühen Tod 1994 Bischof von Aachen war. Klaus Hemmerle war eine Ausnahmeerscheinung im gesamten deutschen Episkopat.

Michael Albus war mehrere Jahre Leiter der Referate für Presse und Publizistik sowie Kultur beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken, danach 22 Jahre lang in führender Position beim Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) in Mainz – Redaktionschef Kirche und Leben (katholisch) und Leiter der Hauptredaktion „Kinder, Jugend und Familie“. Er hat faszinierende Reportagen und Dokumentationen aus diversen Teilen der Erde gemacht, war Moderator zahlreicher Magazinsendungen und Live-Diskussionen. Seit 2002 hat Michael Albus eine Honorarprofessur für „Religionsdidaktik der Medien“ an der theologischen Fakultät in Freiburg.

Zu seinen diversen Publikationen gehören u.a. die Bücher „TAIZÉ – Die Einfachheit des Herzens – Das Vermächtnis von Frère Roger“ und „Stundenbuch der Wüste“, „Kirche nach dem Infarkt“, „Hände weg! Sexuelle Gewalt in der Kirche“, „Wer keine Tränen hat: was mein Leben trägt“ (Dialog mit der Lepra-Ärztin Ruth Pfau), „Keine Angst, glaube nur: Das Eugen-Biser-Lesebuch“, „An ihren Worten werdet ihr sie erkennen: Zwischenrufe zum Zeitgeist“, „Wo Gott zu Hause ist. Mystische Orte der Weltreligionen.“

Roland R. Ropers: Rechtzeitig zu Ihrem 70. Geburtstag ist Ihr faszinierendes Buch „Geh und du wirst sehen – Religion als Erfahrung“ erschienen, die reichhaltige Ernte und Reflektion Ihrer Lebensstationen, die nicht nur mit Freude verbunden waren. Aus welcher Quelle leben Sie?

Michael Albus: Ich lebe nicht nur aus einer Quelle, wenn ich es recht sehe. Es sind viele Quellen, die aber letztlich aus einem Urgrund kommen. Für den letzten Urgrund gibt es den gebräuchlichen Namen GOTT. Aber wer oder was ist das? Jeder Name, den wir diesem ab- und untergründigen Urgrund unseres Lebens geben, ist nur ein Versuch, das Unnennbare, zu benennen. Hauptquellen, aus denen ich lebe sind glaubwürdige, suchende Menschen und meine eigenen suchenden Erfahrungen.

Roland R. Ropers: Sie schreiben von Krisen und Grenzerfahrungen. Bis zu welchem Grad kann ein Mensch diese bewältigen, woher kommt die Kraft?

Michael Albus: Darauf kann ich keine schnelle und eindeutige Antwort geben. Manchmal wundere ich mich, dass in Grenzerfahrungen, in denen ich alles verloren glaubte, doch noch eine unbekannte und nicht mehr vermutete Kraft verborgen war, die mir half aufzustehen und weiter zu gehen. Dafür habe ich keine wohlfeilen und frommen Sprüche parat. Oft kommt die Kraft, so meine Erfahrung, nur noch aus einem verzweifelten und dennoch vertrauenden Schweigen und Aus-Halten.

Roland R. Ropers: Einsamkeit und Stille bedeuten Ihnen sehr viel. Braucht man für die Wüstenerfahrung spirituelle Begleitung?

Michael Albus: Schön ist, wenn man in den Wüsten dieser Weltzeit eine persönliche Begleitung hat. Das ist dann ein Geschenk. Manchmal sind auch Erfahrungsberichte „großer“ und „kleiner“ Suchender eine Hilfe. Organisierte Wüsten in angenehmer, „spiritueller“ Atmosphäre machen mich eher skeptisch. Wüste ist überall – auch in mir. Und Einsamkeit ist eine Voraussetzung, in ihnen nicht zu verdursten. Wellness, groß in Mode, ist eine Fata Morgana, eine Luftnummer.

Roland R. Ropers: Warum versperrt die Amtskirche ihren Gläubigen den Zugang zur mystischen Erfahrung, zum inwendigen Königreich Gottes, wie wir im Lukas-Evangelium 17, 21 lesen können?

Michael Albus: Da habe ich eine einfache, durch viele Erfahrungen gesättigte Antwort: Die amtliche Kirche kann es nicht oder nur schwer ertragen, dass ihr „Macht“ aus den Händen genommen wird durch Menschen, die vom „Geist“ vom „Reich“ Gottes ergriffen worden sind. Sie hat Angst vor der Kraft, die dann mächtig wird. Das war und ist in allen Religionen so. Deshalb versucht „man“ mit Macht zu regulieren, was nicht zu regulieren ist.

Roland R. Ropers: Wie gefährlich ist die Autoritätsgläubigkeit dem Papst und seinen Mitarbeitern gegenüber, die im völligen Gegensatz zum Leben Jesu Christi in Prunk und Machtfülle regieren?

Michael Albus: Für gefährlich halte ich die Autoritätsgläubigkeit nur in einer Hinsicht: Sie verstellt den Blick auf den armen Jesus. Die amtliche Kirche hat im Laufe der Zeit aus Jesus ein Phantom gemacht. Ich sehe den gegenwärtigen, immer deutlicher spürbaren inneren – und auch äußeren – Niedergang der Institution Kirche positiv: Mehr und mehr wird dadurch das Gesicht Jesu selber wieder sichtbar, das durch mancherlei amtliche Machtansprüche verstellte und verzerrte Gesicht. Zu einer wirklich armen Kirche habe ich Vertrauen. Zu einer reichen und sich mächtig gebenden Kirche, wie sie bei den großen Events protzt und prangt, nicht.

Roland R. Ropers: Welchen Mut und welches Risiko muss der aufrichtige Gottsucher aufbringen, um sich aus der Gefangenschaft einer dogmatischen Theologiewillkür zu befreien?

Michael Albus: Erst einmal: Mit der dogmatischen Theologiewillkür ist es auch nicht mehr weit her – Gott sei Dank. Wo sie noch ihr Haupt erhebt, wird sie nicht mehr sehr ernst genommen. Aus dieser Gefangenschaft haben sich schon viele Menschen befreit. Und immer mehr werden sich daraus lösen. Dieser Prozess ist in vollem Gange. – Was ich brauche, um diese Gefangenschaft zu vermeiden? Vertrauen! Vertrauen auf jene „Macht“, die in den Schwachen mächtig wird. Dabei muss ich auch in Kauf nehmen, dass meine Vorstellungen von Zeit durcheinander kommen. Das JETZT wird immer wichtiger.

Roland R. Ropers: Wie erklären Sie sich den unhaltbaren Zustand, dass evangelische und katholische Christen nicht gemeinsam Eucharistie feiern können?

Michael Albus: Aus Machtstreben und Wirklichkeitsverlust. Die ökumenischen Artisten in der Zirkuskuppel sollen weiter turnen, ihre Übungen immer mehr verfeinern. Viele ihrer Argumente und Differenzierungen sind logisch. THEO-logisch sind sie nicht. Liebe und tu, was du willst.

Roland R. Ropers: Muss das Geschäft mit den Heiligsprechungen nicht dringend beendet werden, zumal doch jeder Mensch qua Natur heilig ist? Wird es nicht höchste Zeit, dass alle Menschen ihre eigene Heiligkeit erkennen und zu würdigen wissen?

Michael Albus: Ja, Menschen, die im Vertrauen auf Gott und ihre Mitmenschen ihr Leben zu meistern versuchen sind heilig. Sie haben durch ihr unbedingtes und kindliches Vertrauen eine natürliche Heiligkeit. Schön, wenn das die amtliche Kirche erkennt. Schaut man auf die Wirklichkeit der Heiligsprechungsprozesse in der Vergangenheit und Gegenwart der Kirche, dann sind Zweifel angebracht. Der Verdacht von „Geschäften“ liegt nahe. Sie sind eitel.

Roland R. Ropers: Inwieweit ist für Sie ein persönliches Gottesbild noch gültig, wo wir als Gegenüber eine männliche Instanz anbeten, die ja auch zugleich weiblich sein könnte?

Michael Albus: „Gott“ hat viele Gesichter und Namen. Mal erscheint er mir mehr wie ein Vater mal mehr wie eine Mutter. Der männliche Gott der monotheistischen Religionen ist mir fremd geworden. Ich sehe, was dieses Gottesbild angerichtet, auch hingerichtet hat, fortwährend anrichtet und hinrichtet. Das „reicht“ mir.

Roland R. Ropers: Wo finden wir auf unserem religiösen Weg Meister der Orientierung? Wer gehört für Sie zu Ihren wichtigsten Lebensbegleitern?

Michael Albus: Mein Lebensweg IST, ob ich es will oder nicht, ein religiöser Weg. Meisterinnen und Meister der Orientierung tauchen immer wieder in der Mitte und am Rand dieses Weges auf. Sie wechseln in bestimmten Abschnitten des Lebens. Sie tragen bekannte und unbekannte Namen. Und viele von ihnen sind nicht christlich. Auf die Hausnummer kommt es nicht an. Mir ist wichtig, dass sie unter-wegs waren und sind, Nomadinnen und Nomaden in einer Welt der Sesshaften. Geh und du wirst sehen.

Cover: Verlag Butzon & BerckerCover: Verlag Butzon & Bercker

Geh und du wirst sehen – Religion als Erfahrung

Ladenpreis: 17,95 EUR

1. Auflage 2012; 176 Seiten

ISBN-13: 978-3-7666-1614-2

Verlag Butzon & Bercker



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