Mendelssohn brachte Bach nach acht Jahrzehnten der Stille zum Klingen

Titelbild
Sing-Akademie zu Berlin. Gemälde von Eduard Gaertner, 1843.Foto: public domain
Von 8. Februar 2023

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Das Geschenk der musikbegeisterten Großmutter hatte weitreichende Folgen. Ob sie es dem Enkel zu seinem Geburtstag am 3. Februar 1824 oder schon zum Weihnachtsfest im Berlin des Jahres 1823 überreichte, lässt sich heute nicht mehr genau klären.

Der 15-jährige Felix Mendelssohn Bartholdy, bereits als musikalische Ausnahmeerscheinung gefeiert, ist jedenfalls fasziniert von der exakten Kopie einer außergewöhnlichen Partitur, die nun in seinen Händen liegt, und er beginnt das monumentale Werk mit immer weiter steigender Begeisterung zu studieren.

Tot und vergessen

Der Schöpfer der Partitur, der Kantor der Leipziger Thomaskirche, Johann Sebastian Bach, war zu diesem Zeitpunkt bereits seit 74 Jahren tot. Sein heute weltbekanntes Oratorium vom Leiden und Sterben Jesus Christi nach dem Evangelium des Matthäus, die sogenannte Matthäus-Passion, war seit über 80 Jahren nicht mehr zur Aufführung gekommen.

Nur wenigen waren der Komponist des Barock und sein Werk ein Begriff. So hatte Felix zwar durch seinen Berliner Kompositionslehrer Carl Friedrich Zelter bereits von Johann Sebastian Bach gehört. Das Studium des Werkes des barocken Meisters traf den jungen, 1809 geborenen Felix nun jedoch ins Herz.

Kindliche Freude an der Musik

Schon von Kindheit an waren er und seine drei Geschwister Fanny, Rebecca und Paul von Musik umgeben gewesen. Regelmäßiger Klavier-, Gesangs- und Geigenunterricht, Unterweisungen in Kompositionslehre und sonntägliche Hauskonzerte hatten früh ihr Interesse und ihre Liebe zur Musik geweckt und gefördert.

Bereits 1820 hatte Felix Mendelssohn Bartholdy mit Feuereifer zu komponieren begonnen. Nur wenige Monate später leitete er das Orchester der häuslichen Sonntagskonzerte und brillierte abwechselnd mit seiner Schwester Fanny als Pianist, während seine Schwester Rebecca sang und der Jüngste der Geschwister, Paul, das Violoncello strich.

Mit 13 Jahren bringt Felix Mendelssohn Bartholdy seine ersten eigenen Kompositionen zur öffentlichen Aufführung. Eine große Karriere, in deren Verlauf er über 750 Werke schaffen und zu großem Ruhm gelangen wird, beginnt. In besonders inniger Verbindung steht er zeit seines Lebens zu seiner Schwester Fanny, die sich wie er der Musik verschreibt und ebenso früh zu komponieren und dirigieren beginnt.

Ein faszinierender Wunsch

Mitten in dieser frühen, freudvollen, musischen und hoffnungsvoll aufstrebenden Lebensphase entfaltet nun das Geschenk der Großmutter seine ganze Kraft. Seine eigene kompositorische Begabung lässt Felix die Wucht des Werkes erkennen und es entsteht der Wunsch, dieses vergessene Meisterwerk wieder hörbar zu machen. Doch für die Umsetzung notwendig wäre ein Klangkörper aus zwei vierstimmigen Chören, zwei Orchestern und zwölf Solostimmen.

Johann Sebastian Bach hatte all dies so in seiner Partitur niedergelegt. Der Umfang der Partitur lässt wiederum darauf schließen, dass die Erstaufführung der Matthäus-Passion in der Thomaskirche zu Leipzig am Karfreitag des Jahres 1727 fast drei Stunden gedauert haben muss.

Carl Friedrich Zelter, Direktor der Berliner Sing-Akademie und Kompositionslehrer von Mendelssohn, Porträt von Carl Joseph Begas, 1827.                                            Foto: public domain

Zu Hilfe kommt Felix die lange, gute Bekanntschaft zu seinem Kompositionslehrer Carl Friedrich Zelter, der über großen kulturpolitischen Einfluss im Berlin seiner Zeit verfügt. Seit ihrem Gründungsjahr 1791 ist er Mitglied der Berliner Sing-Akademie als weltweit erste gemischte Chorvereinigung, steht ihr seit 1800 vor und hat sie um eine Orchesterschule erweitert.

Am 22. März 1829 berichtet Fanny Mendelssohn, Felix und sein guter Freund Eduard Devrient hätten sich schon lange über die Möglichkeit einer Aufführung unterhalten, „aber der Plan hatte nicht Form noch Gestalt…“, und sie schreibt freudig weiter: „an einem Abend bei uns gewann er beides, und den Tag darauf wanderten die Zwei […] zu den Vorstehern der Singakademie. Sie traten leise auf und fragten bescheidentlich, ob man ihnen zu einem wohltätigen Zweck wohl den Saal überlassen würde? Zelter hatte nichts dawider einzuwenden, und so begannen die Proben am folgenden Freitag. Felix ging die ganze Partitur durch, machte einige wenige zweckmäßige Abkürzungen … Sonst ward alles unberührt gelassen …“

Der Sänger Eduard Devrient, erinnert sich wiederum, dass sein Freund Felix in der Vorbereitungszeit zur ersehnten Wiederaufführung der Matthäus-Passion „mitten auf dem Opernplatze stehenblieb“, um über seine große Freude zu sprechen, welch „wunderlicher Zufall“ es sei, dass sie beide es sein dürften, “die den Leuten die größte christliche Musik wiederbringen“.

Unerhörte Klänge

Schwester Fanny berichtet in ihrem Brief – immer noch überwältigt von den Ereignissen – im März 1829 weiter: „Mittwoch, den elften März war die erste Aufführung… Die Chöre waren von einem Feuer, einer schlagenden Kraft und wiederum von einer rührenden Zartheit, wie ich sie nie gehört, außer bei der zweiten Aufführung, wo sie sich selbst übertrafen…“

Porträt von Felix Mendelssohn von James Warren Childe aus dem Jahr 1829, das während des ersten Besuchs des Komponisten in Großbritannien entstand.                                               Foto: public domain

Doch noch können weder Felix, Eduard noch Fanny ahnen, welch unvergleichliche Renaissance Johann Sebastian Bach und sein Werk durch diese Wiederentdeckung erfahren würde.

Nicht nur das Berliner Publikum, auch Komponisten wie Robert und Clara Schumann, Frédéric Chopin und Franz Liszt, werden von der Faszination für das Werk des Thomaskantors erfasst. Sie und viele andere nehmen Bachwerke in ihr Klavierkonzertrepertoire auf und tragen so die Begeisterung weiter.

Unzählige Menschen hat Johann Sebastian Bachs Musik seitdem ergriffen. Zahllose Zitate von Musikern, Künstlern und Philosophen geben davon Zeugnis.

Bewunderung und Respekt

So hörte Friedrich Nietzsche in einer Woche dreimal die Matthäus-Passion: „Jedes Mal mit demselben Gefühl der unermesslichen Bewunderung.“

„Wer das Christentum verlernt hat,“ fährt er fort, “der hört es hier wirklich wie ein Evangelium…“

„Für Bach war alles in der Musik Religion; sie zu schreiben war ein Glaubensbekenntnis; sie zu spielen, ein Gottesdienst. Jede Note war an Gott gerichtet.“ schreibt Nietzsche an anderer Stelle und Johann Sebastian Bach scheint ihm mit einem Zitat aus seiner Zeit heraus zu antworten, wenn er sagt: „Mit aller Musik soll Gott geehrt und die Menschen erfreut werden. Wenn man Gott mit seiner Musik nicht ehrt, ist die Musik nur ein teuflischer Lärm und Krach.“

Felix Mendelsohn Bartholdy, von seinem Zeitgenossen Robert Schumann bewundernd der Mozart des 19. Jahrhunderts genannt, erlangt mit seinem eigenen kompositorischen Werk Weltruhm und bleibt gleichzeitig der Begeisterung für Bachs Musik ein Leben lang treu.

Für ihn ist es „die erste Bedingung zu einem Künstler[…], dass er Respekt vor dem Großen habe, und sich davor beuge, und es anerkenne“.

Edler kann kein großer Komponist von einem anderen sprechen.



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