Kann man mit Richard David Precht so die „Welt erkennen?“

„Kenntnisse sind eine Brücke zur Erkenntnis, wenn man Erkenntnis sucht. Kenntnisse aber sind Blockaden, wenn man sich auf sie allein verlässt.“ Mit diesen und weiteren Anmerkungen rezensiert der Sprach- und Kulturphilosoph Roland R. Ropers die Neuerscheinung von Richard David Precht.
Titelbild
Das innere Universum des Menschen ist das immer noch größte Geheimnis, welches es zu erforschen gilt. Nicht von ungefähr weist die Inschrift am Apollo-Tempel von Delphi auf unsere bedeutendste Lebensaufgabe hin: „Gnothi seauton! – Erkenne Dich selbst!“ Hat Richard David Precht das in seinem Buch erreicht?
Von 28. November 2015

„Erkenne die Welt“, unter diesem Titel erzählt der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht sehr spannend und anschaulich auf 550 Buchseiten im Teil 1 seiner insgesamt dreibändig angelegten „Geschichte der Philosophie“ die Entwicklung des abendländischen Denkens von der Antike bis zum Mittelalter. Sein Buch ist den vielen weltklugen und gebildeten iranischen Taxifahrern in Köln gewidmet.

„Eine besondere Schwierigkeit besteht bereits darin, dass wir uns heute oft genug darüber streiten, was Philosophie überhaupt ist. Für die einen ist sie eine exakte Wissenschaft (nämlich jene der Sprachlogik), für die anderen eher so etwas wie Gedankenkunst, nämlich die Artistik, schöne und intelligente Sätze zu denken. Die Spannbreite zwischen beiden Ansichten ist groß…“

Die Berichte vom Leben und Wirken der großen Philosophen erscheinen vielen phantastisch, und manches erweckt den Eindruck von unglaubwürdigen Sagen, Mythen und Legenden. Wie weit historischen Überlieferungen, schriftliche, mündliche und archäologische Zeugnisse, ein glaubwürdiges Abbild einer Epoche vermitteln, hängt nicht nur von der Zuverlässigkeit der Dokumente, sondern auch von der Erkenntnisfähigkeit des Interpreten ab. Und wenn es um die großen Persönlichkeiten der Vergangenheit geht, kommt hinzu, dass sie eigentlich nur von Menschen gleichen Formats verstanden werden können.

Wo bleibt die "Liebe zur Weisheit"?

Die gesamte derzeitige Wissenschaft befindet sich in einer entscheidenden Umbruchsphase. Immer deutlicher wird erkannt, dass die heutigen exakten Wissenschaften mit allen ihren so wertvollen Erkenntnissen zu sehr in einer äußeren Welt befangen geblieben sind und dem wesentlichen Leben des Menschen kaum noch nutzbringend dienen.

Philosophie ist kein intellektuelles Konstrukt, sondern wie es der Begriff genau ausdrückt: die Liebe zur Weisheit. Man begnügt sich nicht mit dem Messbaren, sondern versucht ewig gültige geistige Wertkategorien zu erkennen.

Richard David Precht schreibt: „Mich selbst hat während meines Universitätsstudiums die Geschichte der Philosophie nicht sonderlich interessiert. Ich wollte ja kein Historiker werden, sondern wissen, was stimmt. Ich suchte nach überzeitlichen Wahrheiten. Kann man Menschenrechte logisch begründen? Gibt es so etwas wie Wahrheit oder Gerechtigkeit, und ist ihre Durchsetzung in der Welt möglich? Doch diese große Fragen beschäftigten meine Professoren, wenn überhaupt, meist nur am Rande…“

Der Titel des Buchs „Erkenne die Welt“ ist anspruchsvoll. Mit gewaltigen denkerischen Anstrengungen haben Gelehrte Jahrtausende hindurch das unendliche Universum, das der Mathematiker Pythagoras erstmalig mit Kosmos bezeichnete, wissenschaftlich zu durchdringen versucht.

Das innere Universum des Menschen ist das immer noch größte Geheimnis, welches es zu erforschen gilt. Nicht von ungefähr weist die Inschrift am Apollo-Tempel von Delphi auf unsere bedeutendste Lebensaufgabe hin: „Gnothi seauton! –  Erkenne Dich selbst!“

Ohne Intuition keine wirklichen Erkenntnisse

Richard David Precht erzählt auf neue Weise die uns bekannten Geschichten über die Weisen der Antike bis ins Mittelalter, aber es gibt keine für das 21. Jahrhundert erhellenden Erkenntnisse. Immer wieder das alte Lied von Seelenwanderung (eine sehr gewagte Hypothese), von Platons Gedanken einer unsterblichen Seele – und es fehlt bedauerlicherweise die klare Unterscheidung von Seele und Geist.

Der Autor hätte herausstellen müssen, dass der Vorsokratiker Parmenides noch in der kosmischen Einheit lebte, während seine denkerischen Nachfolger in der Subjekt-Objekt-Trennung ihre intellektuellen Konstrukte entwickelten. Dieser Dualismus wurde bis heute zur Tragik des Erdbewohners, des „homo sapiens“, der leider nicht „weise“ geworden ist.

Die Summe alles Wissens ist noch keineswegs Weisheit. Wissen ist und bleibt Stückwerk, wenn es nicht von der Weisheit geschaut, regiert, verwaltet wird. Kenntnisse sind eine Brücke zur Erkenntnis, wenn man Erkenntnis sucht. Kenntnisse aber sind Blockaden, wenn man sich auf sie allein verlässt.

Universalität erlangt jener Geist, der über das in dieser Welt Wissbare hinaus zur Schau des Wesentlichen aufsteigt, der oberhalb der wandelbaren Welt zur Quelle der Natur gelangt.

Richard David Precht schreibt: „Lesen ist denken mit einem fremden Gehirn. Doch das Gelesene zu verarbeiten, ist ein fortwährender Dialog mit uns selbst. Was lockt, ist die Aussicht, intelligenter über die Welt nachdenken zu können als zuvor.“

Wichtiger noch ist die Kultivierung der Intuition, um in das innerste Universum vorzudringen, wo die Weisheit des Lebens ihre Urheimat hat.

Richard David Precht

„Erkenne die Welt“

Eine Geschichte der Philosophie

576 Seiten

Goldmann Verlag (12. Oktober 2015)

ISBN-10: 3442312620

Euro: 22,99



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