Ein besonderer Tag

Eine Weihnachtsgeschichte
Von 10. Dezember 2006

Es ist schon fast Mittag, als Jakob die Gardine beiseite schiebt und aus dem Fenster schaut. Die Wolken hängen so tief und schwer am Himmel, dass man meinen könnte, sie hauen den Schornstein vom Dach des Nachbarhauses.

Unfreundliche Begrüßung

„Na, wenigstens regnet es nicht“, stellt der alte Mann mürrisch fest und beschließt, das Laub im Garten zusammenzufegen. Bevor er seinen warmen Mantel und die Handschuhe anzieht, füttert er noch Zottel, seinen Hund. Gemeinsam verlassen sie das Haus. Zottel macht es sich auf der Fußmatte vor dem Eingang bequem, während Jakob sich an das Harken macht. Als er die letzten Blätter in den Sack stopft, fällt sein Blick zufällig auf das Gartentor. Dort steht ein kleiner Junge. Ärgerlich schreit er den Jungen an: „Mach, dass du wegkommst.“ Der erschrickt sehr und will weglaufen, kann sich aber nicht losreißen … viel zu sehr fasziniert ihn das schwarze zottelige Etwas auf der Fußmatte vor dem Eingang zu Jakobs Haus.

„Was bist du denn für einer?“ fragt Jakob über den Zaun. „..Ich. .. ? Ich heiße Andrin und bin vor ein paar Tagen mit meinen Eltern in das Nachbarhaus eingezogen.“ Andrin deutet mit dem Finger auf das kleine gelbe Haus auf der anderen Straßenseite. Als ob Jakob das Haus nicht kennen würde, es ist schließlich – neben seinem Haus – das einzige hier am Waldrand. Es hat fast zwei Jahre leer gestanden, was Jakob sehr recht war. So hatte er seine Ruhe. Seit seine Frau gestorben ist, verlässt er sein Grundstück nur noch einmal pro Woche, um das Nötige einzukaufen; und er ist froh, wenn er sonst niemandem begegnet. Menschen interessieren ihn nicht … und Kinder schon gar nicht.

Zottel

„Ob ich vielleicht einmal ihren Hund streicheln darf?“ fragt Andrin hastig und versucht, den Kloß hinunterzuschlucken, der sich in seinem Hals breit gemacht hat. Die Frage ist über seine Lippen gekommen, bevor er überlegen konnte. Er möchte von Herzen gern, wenigstens ein ganz kleines Weilchen, den Hund kraulen. „Also gut, komm rein“, hört sich Jakob sagen und traut seinen eigenen Worten nicht. Schon springt das Gartentor auf und Andrin rennt auf den Hund zu. Jakob will ihm noch zurufen: Langsam, sonst erschreckt sich Zottel …“, aber was er dann sieht, kann er fast nicht glauben. Andrin läuft mit ausgestreckten Armen auf den Hund zu. Der Hund springt auf, ist in zwei Sätzen bei dem Jungen und rollt sich wimmernd und quietschend in dessen Arme. So sitzen die beiden auf der nassen Wiese. Andrin krault immer wieder den Hund an den Ohren, und Zottel leckt glücklich die Hand des Jungen. Jakob steht da, schaut und ist tief berührt von dem, was er sieht. Er bemerkt zuerst auch nicht die Frau, die plötzlich neben ihm steht. „Guten Tag, ich bin Andrins Mutter, ihre neue Nachbarin. Sie müssen entschuldigen, wenn mein Sohn sie gestört hat, aber er liebt Hunde über alles.“ Jakob kann immer noch nichts sagen, viel zu lange hat er keine Gefühle mehr gehabt, und jetzt tut sein Herz fast weh. Da kommen Andrin und Zottel auch schon auf sie zugelaufen. „Mama, Mama hast du Zottel gesehen? Ist er nicht wunderschön?“ Die Frau beugt sich zu dem Hund hinunter, streichelt ihn und sagt: „Wirklich, du bist ein wunderschöner Hund.“

Spaziergang

„Gehen sie mit dem Hund noch spazieren? Darf ich mitgehen?“ fragt der Junge den alten Mann. „Halt Andrin, heute ist Heilig Abend; vielleicht hat unser Nachbar  etwas anderes vor.“ „Heilig Abend, heute? Nein, ich habe nichts vor. Andrin kann mit Zottel und mir zu dem kleinen See gehen.“ „Bitte Mama, sag ja“ bettelt Andrin, und Zottel springt an der Frau hoch, als wollte er sie auch überzeugen. „Also gut“ sagt die Nachbarin und fügt fragend hinzu: „Kommen sie doch heute Abend mit Zottel zu uns rüber und feiern mit uns Weihnachten.“ Dem Mann wird ganz schwindelig, er weiß nicht, wie ihm geschieht. Da hört er den Jungen sagen: „Oh ja, Zottel kann auch meine Weihnachtswurst bekommen.“ Der Mann muss lachen – wie lange hat er schon nicht mehr gelacht und wie einfach es auf einmal geht – und sagt: „Gerne kommen wir, wenn ich auch ein Stück Wurst abbekomme.“ „Das lässt sich sicher machen,“  erwidert die Frau  fröhlich.

„Seht einmal, jetzt kommt sogar noch die Sonne heraus. Wir sollten jetzt mit Zottel gehen“ sagt Jakob zu Andrin. „Ja, ich hole schnell meinen Mantel und die Handschuhe.“ Andrin rennt los, während sich Jakob von der Frau verabschiedet und die Hundeleine holt. Als er wieder vor das Haus tritt, sieht er Andrin schon am Zaun winken. Er macht Zottel fest und tritt auf die Straße. Andrin darf den Hund an die Leine nehmen und so gehen sie vergnügt Richtung See.

Hand in die Hand

„Andrin, woher weißt du eigentlich, dass mein Hund Zottel heißt?“ fragt Jakob. „Das fragst du? Es ist Heilig Abend ein ganz besonderer Tag im Jahr. Wenn man genau hinhört, kann man heute alle Tiere verstehen. Zottel hat es mir erzählt, “ antwortet der Junge und schiebt seine Hand in die Hand des alten Mannes. Jakob hält die Hand des kleinen Jungen fest, er fühlt, wie Wärme seinen ganzen Körper durchströmt, ein Gefühl von Glück wird wach, das er ganz vergessen hat.

„Ja, Andrin, Heilig Abend ist ein ganz besonderer Tag, an dem alles möglich ist, wenn man nur daran glaubt … und keiner dem anderen den Glauben daran raubt.“



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