Uni Erfurt erforscht DDR-Kinoalltag – Damals waren Filme noch aus Zelluloid auf Spulen

"Die Legende von Paul und Paula", "Die Söhne der großen Bärin", Sowjetfilme, aber auch Hollywood-Streifen und Italo-Western – der Kino-Alltag in der DDR war durchaus bunt.
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Die Figuren Herr Fuchs (l) und das Sandmännchen aus dem DDR-Kinderfensehen.Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa/dpa
Epoch Times11. Juli 2021

Ob Kosmos in Berlin, Capitol in Leipzig oder Gloria-Palast und Union-Theater in der Provinz – für Generationen früherer DDR-Bürger sind Namen wie diese mit Kinoerinnerungen verbunden.

Aber vor allem jenseits der größeren Städte hat sich die ostdeutsche Filmtheaterlandschaft in den vergangenen drei Jahrzehnten massiv gelichtet. Auf einer digitalen Landkarte der Universität Erfurt werden die DDR-Kinos dokumentiert.

Ein Stück Alltagsgeschichte der DDR sichtbar machen

Die Plattform ist Kern einer Untersuchung von Historikern und Kommunikationswissenschaftlern zum DDR-Kinoalltag. 376 Standorte sind auf der Online-Karte inzwischen dokumentiert, seit sie im vergangenen Herbst freigeschaltet wurde.

Die Wissenschaftler wollen ein Stück Alltagsgeschichte der DDR sichtbar machen, das bisher kaum im Mittelpunkt zeitgeschichtlicher Forschungen stand.

„Es gibt zwar relativ viel Forschung zur Kinopolitik in der DDR und den Filmverboten nach 1965“, sagt die Historikerin Christiane Kuller, die das Projekt zusammen mit dem Kommunikationswissenschaftler Patrick Rössler leitet. „Aber der Kino-Alltag selbst und die Lebenserfahrungen der DDR-Bürger damit sind eine echte Forschungslücke.“

Bei den Filmverboten bezieht sie sich auf das berüchtigte XI. Plenum der SED-Spitze 1965. In dessen Folge war nahezu ein kompletter Jahrgang an nicht in das ideologische Bild passenden DDR-Spielfilmen verboten worden.

Das filmische Erbe der DDR hütet die DEFA-Stiftung

Nach Einschätzung der DEFA-Stiftung, die das filmische Erbe der DDR bewahrt, ist das Erfurter Forschungsprojekt bislang einmalig, wie Sprecher Philip Zengel sagt. „Ich bin sehr gespannt, wie sich das entwickelt.“

Die Universität kann dabei auch auf einen eigenen Fundus aus Plakaten, Programmen oder Ankündigungsfotos von 4.500 in der DDR aufgeführten Spielfilmen aus dem Bestand des früheren Progress-Filmverleihs zurückgreifen.

Eine Hauptrolle aber spielen ostdeutsche Hobby-Cineasten. Ehemalige Kinobesucher, Filmvorführer und auch Menschen, die als Statisten bei DEFA-Filmen mitgespielt haben, tragen frühere Kino-Standorte in die Online-Karte ein.

Sie steuern auch alte Tickets, Plakate, Filmprogramme und schriftliche Erinnerungen bei. Zudem entstand im Zusammenhang mit der Plattform eine Wanderausstellung über Thüringen als Drehort für DEFA-Filme. „Eigentlich sollte sie durch Thüringen touren, leider kam die Pandemie dazwischen“, so Rössler.

Kino war „das größte Kulturerlebnis, was es in der DDR gab“

Kinostandorte in den heutigen Bundesländern Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Berlin und Mecklenburg-Vorpommern sind digital erfasst – und mit ihnen teils auch Geschichten um die Lichtspielhäuser.

Zu den „Fütterern“ der Plattform gehört René Hube aus Wünsdorf bei Berlin. Für den heute bei einem Autoersatzteilvertrieb arbeitenden 61-Jährigen war Kino „das größte Kulturerlebnis, was es in der DDR gab“, wie er erzählt. „Was sollte man sonst anstellen?“

Als Kind zog es ihn zu den Märchenfilmen, als Teenager zu den DEFA-Indianerfilmen, später zu den westlichen Produktionen. „Für „Otto – der Film“ habe ich auf dem Zeltplatz Kallinchen drei Stunden angestanden“, erinnert er sich. Auch für den Film der schwedischen Popband „Abba“ fuhr er extra auf einen Campingplatz.

Kino konnte überall sein

Filmleinwände auf Zeltplätzen, in Betriebsferienheimen, Schulen, das Landkino in Dörfern und natürlich die regulären Lichtspielhäuser – „diese Vielfalt der Aufführungsorte finde ich sehr interessant am DDR-Kino“, sagt die Historikerin Kuller.

Allerdings hätten Kinofans außerhalb Berlins, dem zentralen Erstaufführungsort, oft lange auf Neuerscheinungen warten müssen, berichtet Co-Projektleiter Rössler, der über die Plattform mit einer Reihe früher im Kinowesen beschäftigter Menschen in Kontakt gekommen ist. „Wenn Berlin durch war, kamen in der Regel die Bezirksstädte dran und erst dann die kleinen Orte.“

Grund sei die relativ geringe Zahl der georderten Filmkopien – damals noch aus Zelluloid auf Spulen – gewesen. „Da wurde zwischen den Orten Spule für Spule getauscht.“

Zeitzeuge Hube erinnert sich zwar auch an Kino-Pflichtbesuche mit ideologisch geprägten Dokumentar- oder Spielfilmen während seiner Schulzeit. „Aber in erster Linie war ich Kinofan.“

Für viele der an den Forschungen beteiligten Zeitzeugen sei Kino mehr gewesen als bloße Unterhaltung, hat Rössler beobachtet.

Das habe sich auch in den organisierten Filmklubs und -arbeitsgemeinschaften gezeigt, in denen sich Kinofans zusammen fanden.

Manche bestehen bis heute. Von ihrem Wissen und von ihren Erinnerungen wollen die Wissenschaftler künftig noch stärker profitieren. (dpa/nw)

Martin Schutt

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