Vergessenes Genie: Charles Le Brun

Titelbild
Charles Le Brun, „Der Schlaf des Jesuskindes“, im Jahr 1655, Louvre Museum, Paris.Foto: Public Domain
Von 8. November 2021

Wer sich für die reiche Malerei des Barocks begeistert, wird unweigerlich mit Großmeistern wie Nicolas Poussin, Peter Paul Rubens oder Anthony van Dyck konfrontiert.

Unzählige Veröffentlichungen in der Literatur, in Ausstellungen und sogar im Film über ihre Werke haben unsere Wahrnehmung biblischer und mythologischer Szenen geprägt und sie in unser kollektives Bewusstsein eingebrannt.

Obwohl der Barockstil seinen Ursprung in Italien hatte, breitete er sich unweigerlich nach Westen aus und wurde kurz darauf vom französischen Hof mit dem Schloss von Versailles dominiert. Die Pracht des Schlosses selbst füllt wiederum Bände von Büchern, und kein Name wird häufiger erwähnt als Ludwig XIV. Die eigentliche Frage ist: Wer sind die Männer hinter den Gemälden und der dekorativen Kunst, die die Säle des Schlosses füllen?

Der Künstler Charles Le Brun, der als Hofmaler fungierte und zahlreiche Werkstätten beaufsichtigte, hatte großen Einfluss auf Ludwigs XIV. Bestreben, der größte Kunstmäzen aller Zeiten zu werden.

Ludwig XIV. war kein gewöhnlicher König. Sein ganzes Leben drehte sich um die klassischen Künste. Er gilt als eine der vier einflussreichsten Persönlichkeiten, die dem französischen Ballett den Weg geebnet haben. Der Auftritt Ludwigs XIV. auf der Bühne im Jahr 1653 als Sonnengott Apollo hat ihm den Beinamen Sonnenkönig eingebracht.

Wer die Kunstsäle von Versailles besucht hat und von der Pracht der Fresken des Schlosses überwältigt war, wird überrascht sein, wie wenig Literatur über den Künstler, der sie geschaffen hat, vorhanden ist.

Die letzte Ausstellung, die Le Brun in Versailles ausdrücklich gewürdigt hat, fand nämlich zuletzt 1963 statt. Es gibt nur eine biografische englische Publikation aus dem Jahr 2016 von Wolf Burchard mit dem Titel „Charles le Brun The Sovereign Artist“.

Charles Le Brun, „Der Sturz der rebellischen Engel“, Öl auf Leinwand, vor 1685. Depositum aus dem Musée National du Château, Versailles.
Foto: © Musée des Beaux-Arts de Dijon/François Jay

Die Geschichte offenbart Antworten auf Fragen

Angesichts seines Vermächtnisses als außergewöhnlicher Maler, Kunsttheoretiker und Gründungsmitglied der Academia Royal drängt sich die Frage auf: Warum wird Le Brun nicht auf Augenhöhe mit Poussin oder Rubens gewürdigt?

Um diese Frage zu beantworten, müssen wir die Geschichte verstehen. Sein Name wird außerhalb Frankreichs nur selten erwähnt, weil er eng mit dem Sonnenkönig verbunden ist und mit diesem Namen die politische Last der „absoluten Monarchie“ verbunden ist, an der sich die Französische Revolution entzündete.

Es scheint jedoch noch mehr zu geben. Le Brun passt nicht in das romantisierte Bild des ewig kämpfenden genialen Künstlers, der von der Großzügigkeit zahlreicher Mäzene abhängig ist. Stattdessen wurde Charles le Brun 1664 zum Ersten Maler des Königs befördert, was ihn zu einem engagierten und mächtigen Mann machte. Außerdem finden sich in seiner Biografie keine Skandalgeschichten, die die Kunsthistoriker zur Ausschmückung des Geheimnisses um die Vita des Meisters hätten verwenden können, wie etwa im Fall Caravaggios oder Berninis.

Wenn ein Künstler gleichzeitig die Rolle eines Diplomaten spielt, scheinen wir dazu erzogen worden zu sein, an der künstlerischen Integrität zu zweifeln. Le Brun war jedoch perfekt positioniert und hatte auf dem Höhepunkt einer blühenden Kunstepoche freie Hand, um in die Fußstapfen seines früheren Meisters zu treten. Daher war es nur natürlich, dass er seine Vision mit dem großen Vorhaben des Königs in Einklang brachte.

Le Brun war ein einflussreiches Kraftpaket. Abgesehen von dem unglaublich umfangreichen Werk, das der Künstler hinterließ, prägte Le Bruns Kunsttheorie sogar die akademische Lehre in ganz Europa und findet bis heute Eingang in die Ateliers weltweit.

Die Behauptung mancher Kunsthistoriker, Charles Le Brun sei ein „Diktator der Künste in Frankreich“ gewesen und deshalb ein zweitklassiger Künstler, scheint eher eine uninformierte Meinung zu sein, die jeder künstlerischen Wertung entbehrt.

Unabhängig vom Status des Künstlers in der heutigen Gesellschaft ist es für eine sinnvolle Erfahrung mit einem Kunstwerk am wichtigsten, sich zu fragen: „Wie wirkt das Kunstwerk auf mich als Betrachter in seinem Wesen?“

François Verdier nach Charles Le Brun, „Der Engelsturz“ um 1678; Musée National du Château, Versailles. Foto: Public Domain

Die Wirkung von Kunst auf unser Wesen

Auch Fotografien von Le Bruns Gemälden versuchen, diese Frage zu beantworten. Sie werden jedoch kaum dem ehrfürchtigen Gang durch die Grande Galerie in Versailles gerecht. Durch die großen gewölbten Türen gelangt man in die Säle, in denen die dekorativen Elemente der Architektur nahtlos mit den Wandmalereien verschmelzen und einen wahrhaft jenseitigen Blick in fantastische himmlische Gefilde ermöglichen.

Im Ölgemälde „Der Sturz der rebellischen Engel“ im Musée des Beaux-Arts malt Le Brun die biblische Szene aus dem Buch der Offenbarung. 

Das Gemälde zeigt triumphierende Engel, die den Erzengel Michael umgeben, der die rebellischen Engel, die sich um den bösen Drachen scharen, in den spiralförmigen Abgrund stürzt. Der Drache symbolisiert die sieben Todsünden, während die Tugenden, symbolisiert durch Engel, an den Seiten mit Schildern gegen die Laster kämpfen.

Der Betrachter wird in die Szene hineingezogen und wird Teil der Szene. Wir erleben diese Umwälzung des Bösen und die Wiederherstellung des kosmischen Gesetzes, als ob sie sich hier in unserem eigenen Zeit-Raum abspielen würde.

In einer Nahaufnahme der rebellischen Engel können wir die hervorragende Darstellung der ineinander verschlungenen, ins Chaos stürzenden Körper besser beobachten, die auf dramatische Weise mit dem sterbenden Körper des Tieres verwoben sind.

Eine intimere Szene, die im Louvre zu sehen ist, zeigt Le Bruns „Der Schlaf des Jesuskindes“ in einer meisterhaft arrangierten, in warmes Licht getauchten Komposition. 

Das schlafende Christuskind, das in den Armen der Mutter Maria ruht, zeigt eine außergewöhnliche Darstellung des Körpergewichts. Das Kind wird von der Liebe seiner Mutter und den umgebenden Figuren beruhigt. Sein marmorartiges Aussehen landet sanft in einem Arrangement aus roten, blauen und weißen Drapieren, die ihm eine ätherische Präsenz verleihen.

Bei Charles Le Brun geht es nicht nur um Gemälde und Wandmalereien. Sein Werk reicht tiefer. Wenn wir in diese Welten hinaufschauen, erhalten wir Einblick in den Geist eines Genies. In etwas, das universeller ist als die sich ständig verändernden Ereignisse in der Gesellschaft.

Im Zuge der Entwicklung unserer Zivilisation verschwinden wahre Schätze manchmal aus dem Blickfeld. Wir müssen nur unsere Augen und unser Herz offen halten und erkennen, wann zeitlose Schönheit spricht.



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