Yehudi Menuhin der Jahrhundertgeiger – zum 100. Geburtstag + Private Fotos

„Freiheit ist nicht Freiheit zu tun, was man will; sie ist die Verantwortung, das zu tun, was man tun muss.“ Jehudi Menuhin
Titelbild
Yehudi Menuhin strahlend - bei Proben 1997 in StrassburgFoto: Mit freundlicher Genehmigung von Roland R. Ropers
Von 21. April 2016

Berlin, 30. September 1947 – es war ein denkwürdiger Tag in der Geschichte Deutschlands: Der 31-jährige jüdische Geiger Yehudi Menuhin, am 22. April 1916 in New York geboren, spielte im Berliner „Titania-Palast“ Ludwig van Beethovens Violinkonzert D-Dur op. 61.

An Samstag, 27. September 1947, war Yehudi Menuhin in Berlin eingetroffen. Die Amerikaner wollten die Deutschen auf ihre Seite ziehen und Menuhin diente ihnen als „Geheimwaffe“. Innerhalb von fünf Tagen spielte er in Berlin sechs Konzerte. Auf dem Programm standen auch „Umerziehungs-Seminare“ mit zahllosen deutschen Kulturreportern und Musikkritikern.

Menuhins Anliegen war: Helfen, geben, dienen, anspornen, die Wunden des Hasses heilen.

Im Licht und Schatten deutscher Vergangenheit: Menuhin und Furtwängler

Am 30. September 1947 spielte Menuhin mit den Berliner Philharmonikern das Beethoven-Violinkonzert und reichte offiziell Wilhelm Furtwängler die Hand zur Versöhnung zwischen Juden und Deutschen.

Für Yehudi Menuhin war es ein besonders bewegendes Ereignis, weil im Orchester altgediente Musiker saßen, die bereits bei seinem legendären Berliner Debüt im Jahre 1929 (er war knapp 13 Jahre alt!) das Beethoven-Konzert mit ihm gespielt hatten. Der damals 50-jährige Physiker und Nobelpreisträger von 1922,  Albert Einstein (1879 – 1955), saß bei jenem denkwürdigen Konzert am 12. April 1929 in der ersten Reihe.

Yehudi Menuhin spielte unter Bruno Walter Violinkonzerte (Bach, Beethoven und Brahms). Auch die Geiger Fritz Kreisler und Carl Flesch gehörten zu den Zuhörern. Es war ein triumphales Ereignis. Albert Einstein zitterte vor Erregung und sagte: „Mein lieber Yehudi, heute Abend habe ich seit vielen Jahren zum ersten Mal wieder etwas gelernt, und das verdanke ich Dir. Ich habe eine neue Entdeckung gemacht, dass die Zeit der Wunder noch nicht vorbei ist. Unser guter, alter Jehova ist immer noch am Werk!“

Der junge Geiger Menuhin auf dem TIME MAGAZINE am 22. Februar 1932.Der junge Geiger Menuhin auf dem TIME MAGAZINE am 22. Februar 1932.Foto: Cover Kopie

Aus dieser berühmt gewordenen Aussage hat man später für Nicht-Juden die abgewandelte Version in Umlauf gebracht: „Jetzt weiß ich, dass Gott existiert!“

Wilhelm Furtwängler (1886 – 1954) der ab 1922 die Berliner Philharmoniker geleitet hatte, war 1934 als Chefdirigent zurückgetreten, nachdem er am 11. April 1933 in einem offenen Brief an Joseph Goebbels die Diskriminierung jüdischer Künstler kritisiert hatte. 1936 wollte er Deutschland verlassen, um die Nachfolge von Arturo Toscanini als Chef der New Yorker Philharmoniker anzutreten. Aufgrund von lancierten Falschmeldungen, insbesondere durch Hermann Göring, wurde das USA-Engagement gekündigt und Wilhelm Furtwängler nahm die Leitung der Berliner Philharmoniker wieder auf. 1945 erhielt Furtwängler von den amerikanischen Besatzungsbehörden zunächst Dirigierverbot.

Er wurde 1946 mit Unterstützung von Yehudi Menuhin „entnazifiziert“. Es dauerte fünf Jahre, bis Wilhelm Furtwängler 1950 wieder offiziell die Leitung der Berliner Philharmoniker übernehmen durfte und 1952 als deren Chefdirigent auf Lebenszeit geehrt wurde.

Der Hass: „Spielen Sie nur weiter für die Mörder!“

Am 1. Oktober 1947 spielte Menuhin ein Bach-Recital zugunsten der „Displaced Persons“. Es war ein riesiges Desaster. Die Amerikaner organisierten den Auftritt in einem großen Berliner Kino, dem „Tivoli“, mit 1.000 Sitzplätzen. Als Menuhin im Tivoli eintraf, befanden sich nur 14 Personen im Zuschauerraum. Man zeigte ihm einen Leitartikel, der an jenem Morgen erschienen war. Die Leser wurden aufgefordert, Menuhins Konzert zu boykottieren, weil er am Abend zuvor für Deutsche, für die Mörder des jüdischen Volkes, gespielt habe.

In den darauf folgenden Tagen wurde Menuhin in Berlin viel Hass und Spott entgegen gebracht. Als jemand ihm die Worte ins Gesicht schleuderte: „Spielen Sie nur weiter für die Mörder!“, entgegnete er:

Ich kann niemandem seine Bitterkeit verdenken. Ihr habt zu viel erlitten, habt Eltern, Kinder, Brüder und Schwestern verloren. Mir ist dies erspart geblieben. Und doch behaupte ich, dass Ihr auf Eurem Leid kein neues Leben aufbauen könnt. Eure Zukunft könnt Ihr nicht darauf gründen, dass Ihr Opfer seid, sondern darauf, dass Ihr Schuster, Schneider, Ärzte oder Musiker seid. Ihr werdet vielleicht nicht einer Meinung mit mir sein, aber Ihr müsst mir glauben und dürft nicht denken, ich sei ein Verräter an meinem Volk“.

Hass auch von jüdischen Kollegen in den USA

Yehudi Menuhin bei Proben 1997 in StrassburgYehudi Menuhin bei Proben 1997 in StrassburgFoto: Mit freundlicher Genehmigung von Roland R. Ropers

Die jüdischen Geiger-Kollegen Jascha Heifetz und Isaac Stern versuchten in den USA mit diffamierenden Presseartikeln zu verhindern, dass Menuhin jemals wieder in seiner amerikanischen Heimat auftreten könnte. Yehudi Menuhin wurde mit anonymen Mordandrohungen verfolgt.

Seit jener Zeit begann bereits der Leidensweg seines Geigenspiels – die Hände wurden unruhig – so hat Menuhin bereits mit Anfang 30 den Gipfelpunkt seiner künstlerischen Laufbahn verlassen müssen. Er suchte nach seelischem Heil in Indien, wurde Schüler des Inders B.K.S. Iyengar (1918 – 2014), der Yoga für den Westen weltberühmt gemacht hat.

Erschütternd ist die Tatsache, dass Yehudi Menuhin bis zuletzt auf seine hohen Gagen (pro Abend DM 50.000.–) angewiesen war, um das ganze Heer von Helfern und seine Familie zu unterhalten. Bis zum letzten Atemzug hat er Briefe diktiert und telefoniert; als das EKG bereits fast eine Null-Linie zeigte, sprach er unaufhörlich mit seiner persönlichen Konzertmanagerin, der Südafrikanerin Eleanor Hope, Mutter des heute sehr erfolgreichen Geigers Daniel Hope.

Yehudi Menuhin zwischen den Proben 1997 in StrassburgYehudi Menuhin zwischen den Proben 1997 in StrassburgFoto: Mit freundlicher Genehmigung von Roland R. Ropers

Das große Geigenwunder des 20. Jahrhunderts Yehudi Menuhin, der unermüdliche Friedensbotschafter,  starb am 12. März 1999 im 83. Lebensjahr um die Mittagszeit im Martin-Luther-Krankenhaus in Berlin an einem schweren Herzinfarkt und fiel aufgrund einer Hirnblutung ins Koma. Alle Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos. 10 Tage zuvor hatten wir ihn zuletzt in München in seinem Künstlerzimmer besucht – am 7. März dirigierte er sein letztes Konzert in Düsseldorf.

Heiliger Tempel der Menschheit

„Für mich stellen die Orchesterwerke Beethovens einen der heiligsten Tempel der Menschheit dar. Nicht nur einen Tempel als Ort – wie die meisten Tempel einen Ort einer bestimmten Aufführung –  sondern einen Tempel in den grenzenlosen Dimensionen von Ort und Zeit der Musik an sich. Da ich einer Ahnenreihe von Rabbinern entstamme, ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass ich mich  schon immer danach gesehnt hatte, an den Altären wahrer Religionen zu beten und der gesalbte Diener in Beethovens Tempel zu sein.

Die 9. Sinfonie Beethovens bezeugt und beschreibt den unerbittlichen Kampf zwischen dem Menschen und dem in ihm gefangenen GOTT. Sachlich betrachtet besteht dieser Kampf aus den sich widersprechenden Forderungen der unterschiedlichen Zeitgattungen (ein Tag, ein Leben, ein Zeitalter, die Ewigkeit) und den verschiedenen Stadien der Erleuchtung. Es zeichnet die epischen Kämpfe und die Träume des Menschen bis zu ihrer letztlichen Auflösung in der musikalischen Einigkeit nach, im Triumph des allumfassenden EINEN. Es ist die immerwährende Erklärung des Glaubens an die Liebe, die Anerkennung der einzigen Wahrheit, allgemeingültig und lebendig: Brüder, überm Sternenzelt muss ein lieber Vater wohnen.

Yehudi Menuhin März 1996 in MünchenYehudi Menuhin März 1996 in MünchenFoto: Mit freundlicher Genehmigung von Roland R. Ropers

Es ist wichtig, daran zu denken, dass diese Beteuerung des Heiligen Glaubens von einem herausragenden und einsamen Menschen stammt, der sich sowohl im Leben als auch in seiner Musik dem oft schmerzlichen und mühsamen Prozess der philosophischen Abstraktion verschrieben hat, einem Prozess der Läuterung, bei dem – gleich, wie unreduzierbar das Symbol, das dem Leben durch leidenschaftliches abgerungen wurde, auch sein mag – es doch nie die Überzeugung oder die Kraft echter Güte und echten Mitgefühls verlor.

Könnte es sein, dass Beethovens zunehmende Taubheit diesen verinnerlichten Prozess der Abstraktion beschleunigte, und das, was er mit seinem inneren Ohr hörte und entdeckte, Höhen erklomm und Tiefen erreichte, die unseren Sinnen, die an das Hier und Jetzt der normalen Existenz gefesselt sind, versagt bleiben? Denn Beethovens Humor ist destillierter Humor, seine Liebe ist destillierte Liebe und seine Freude ist ekstatisch und braucht keinen sichtbaren Anlass. Man betrachte nur die überwältigende Freude im letzten Satz. Wir werden in ein Reich ständiger Freude versetzt, sind nicht betäubt, sondern außerordentlich bewusst. Beethovens nicht reduzierbare Gleichsetzungen von Klang und Geist sind das musikalische Gegenstück eines mächtigen, verständnisvollen Verstandes, der vielleicht durch das Wesen der deutschen Denkweise und Sprache geprägt ist und durch Liebe und Güte angetrieben wird.

Beethoven war wie Einstein über die Grenzen jeglicher formeller, konfessionsgebundener Regeln hinaus ein moderner Mensch. Und doch gestand er – ähnlich wie andere große Persönlichkeiten – ein tiefes und aufrichtig religiöses Bewusstsein in Herz und Sinn, im Geist und in der Liebe ein, obwohl er sich keiner bestimmten Bezeichnung unterwarf. Im Gegensatz zu Bach bewegte sich Beethovens Glaube nicht im Rahmen der protestantischen Religion, und er fand es nicht nötig, obwohl tief gottesfürchtig, ein Dissident, ein Freimaurer wie Mozart zu sein, aber auch kein Konformist. Und doch war er sich – wie Haydn – der Quelle seiner unerschöpflichen Inspiration nur allzu bewusst. Auch war Beethoven keiner der energischen Materialisten, Realisten oder atheistischen Erkunder unserer Zeit. Er war der allererste große, moderne Mensch, ein Komponist, der für das 21. Jahrhundert genauso relevant ist wie für das 20.“

Ein besonderes Fundstück: Menuhin und Celebidache 1946

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Der 30-jährige Yehudi Menuhin spielte im Frühjahr 1946 mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung des fast 34-jährigen Sergiu Celibidache, der von 1945-1952 Chefdirigent des berühmten Orchesters war.

Der 2. Satz des Brahms-Violinkonzerts gehört mit zu dem Schönsten der großen Geigen-Literatur. Der am 7. Mai 1833 in Hamburg geborene Johannes Brahms hatte am Neujahrstag 1879 die Uraufführung seines einzigen Violinkonzerts D-Dur op. 77 im Gewandhaus Leipzig dirigiert – Solist war damals der legendäre Joseph Joachim.



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