Generation Staatskritik?

Die Jugend ist freiheitlicher und vielfältiger, als geglaubt wird. Vielleicht ist „Generation Staatskritik“ jedoch der falsche Begriff – und „Generation unbeachtet“ der passendere.
Titelbild
Teenager.Foto: iStock
Von 4. Dezember 2021
Jetzt neu: Epoch Times Wochenzeitung auch als Podcast

Glaubt man dem aktuellen Medientenor, dann ist Deutschlands Jugend eher antikapitalistisch und sorgt sich deutlich mehr um das Klima als um ihre Freiheitsrechte. Doch sind Greta Thunberg und Luisa Neubauer wirklich die Stimmen der nächsten Generation? Gleich mehrere Entwicklungen lassen daran Zweifel aufkommen. Entwickelt sich vielleicht sogar eine „Generation Staatskritik“?

Erste Risse im Narrativ – die Wahl 2021

Das Erstwählerergebnis der Bundestagswahl 2021 kam für viele Beobachter wie ein Schock. Hier teilt sich ausgerechnet die eher staatsskeptische FDP den ersten Platz mit den staatsfreundlichen Grünen. Auch in der Gesamtgruppe der 18- bis 24-Jährigen lagen die Freien Demokraten mit 21 Prozent nur zwei Punkte hinter den Grünen.

Noch deutlicher: Das Ergebnis der sogenannten Juniorenwahl, der größten deutschen Abstimmung noch nicht wahlmündiger Schüler. Hier erreichten die Freien Demokraten 18,5 Prozent mit fast einer Viertelmillion Schülerstimmen, nah an SPD und Grünen. Vor allem im ländlichen Raum und Ostdeutschland leuchtet die Wahlkreiskarte hier großflächig gelb.

Diese guten FDP-Ergebnisse allein sind aber noch kein hinreichender Beleg für einen jugendlichen Schub freiheitlichen Denkens. Schließlich könnten auch knallige Farben, dynamische Werbespots und  die Aussicht auf legales Kiffen die junge Generation vom Kreuz bei den Gelben überzeugt haben. Es gibt allerdings eine Reihe von Indizien, dass tatsächlich eine neue Staatsferne hinter diesen Ergebnissen stecken könnte.

Der Unwille der Corona-Jugend

Sicherlich eine Haupttriebfeder des jugendlichen Freiheitsinteresses sind die staatlichen Corona-Einschränkungen. Dass diese „ganz besonders von den Maßnahmen betroffen seien“, ist längst zum medialen Evergreen avanciert – ohne dass hieraus politische Konsequenzen gefolgt wären. Das ruft verständlicherweise die Sehnsucht nach Freiheit wach und führt zur Selbstorganisation gerade jener jungen Menschen, die Impfungen ablehnen oder wenigstens zumindest der Vorstellung eines allumfassenden Gesundheitsstaates kritisch gegenüberstehen.

Beispielhaft hierfür ist die Organisation „Studenten stehen auf“, die mit ihren Telegram-Gruppen bereits gut 50 deutsche Städte abdeckt und sichtbare Anti-Coronapolitik-Proteste organisiert. Interessant dabei: Der Protest erreicht hier das bildungsbürgerlich-ökologische Milieu, das bislang eher nicht durch offene Staatskritik aufgefallen ist.

Schon das in erdigen Tönen gehaltene Phönix-Logo von „Studenten stehen auf, ihre Onlinevideos mit Kamerafahrten an Bäumen entlang und die teils prosaische Sprache („Alles war kalt geworden, auch die Herzen der Menschen.“), zeigen den neuen Bruch zwischen Staatsskeptikern und Staatsinterventionisten innerhalb der jungen, grün-bürgerlichen Lebenswelt. Dabei kann „Studenten stehen auf“ auch auf ein beachtliches Vorfeld zugreifen. Selbst lokale Vernetzungsgruppen ungeimpfter Studierender kommen in den sozialen Medien teils auf Aberhunderte Mitglieder.

Damit greifen sie durchaus eine verbreitete kritische Stimmung auf. So gaben in der Jugendbefragung des Landes Rheinland-Pfalz knapp 77 Prozent der Jugendlichen an, mit ihren Bedürfnissen bei der Corona-Politik zu kurz zu kommen, immerhin 28 Prozent sind überzeugt: „Die Maßnahmen gehen zu weit“. Und je skeptischer die Jugendlichen den staatlichen Maßnahmen gegenüberstehen, desto positiver bewerten sie zivilgesellschaftliches Engagement wie Demonstrationen gegen die aktuelle Politik.

Die leise Revolution der Trading-Teenager

Weit weniger im medialen Fokus als die Corona-Politik steht ein zweiter großer Trend, der auf eine zunehmende staatskritische und pro-marktwirtschaftliche Haltung vieler junger Menschen hindeutet: das Online-Trading.

Leicht zugängliche Finanzapps sind inzwischen international ein boomender Wachstumsmarkt. Sie ermöglichen der jungen, internetaffinen Generation via Smartphone den kinderleichten Einstieg in Aktien- und ETF-Märkte vom Kinderzimmer aus. Selbst erste Apps für das eigene Taschengeld-Konto wie Greenlight Financial Technology oder gohenry drängen auf den Markt.

Damit verändert sich auch der Blick vieler Jugendlicher auf Marktwirtschaft und Finanzmärkte. Sie sind plötzlich nicht mehr ein abstraktes Thema aus dem Wirtschaftsteil der Zeitung und aus den ehrwürdigen Hallen biederer Finanzinstitute, sondern unmittelbar Teil der eigenen Lebenswelt.

Wie groß der Anteil der neuen jugendlichen Investoren ist, lässt sich dabei für Deutschland kaum genau sagen, aber tausendfach geklickte Trading-Tipps auf TikTok und die millionenfach heruntergeladenen Apps deuten auf eine kaum kommentierte Revolution. Das Deutsche Aktieninstitut schätzt allein für 2020 eine Zunahme von rund 600.000 jungen Erwachsenen. Das ist, anders als teils in den öffentlich-rechtlichen Medien gedeutet, nicht nur ein Ausdruck naiver jugendlicher Geldgier, sondern eine echte Revolution.

Sicherlich trägt auch die Kryptoszene zur neuen Popularität der Märkte unter Jugendlichen bei. Digitalwährungen wie Bitcoin, Monero und Dogecoin versprechen nicht nur große Gewinne, sondern haben auch den Nimbus des Jungen, Neuen und Verruchten.

Wie viele Jugendliche in Deutschland schon eigene Kryptowährungen besitzen, ist dabei unklar; in den USA sind es schätzungsweise bereits 25 Prozent. Das alles passt schlecht zur „Generation Greta“ und viel besser zu einer Jugend-Umfrage von 2019. Dort hatten junge Menschen aus 27 möglichen Personen ausgerechnet die drei Silicon-Valley-Unternehmer Steve Jobs, Mark Zuckerberg und Elon Musk als ihre großen Karrierevorbilder gewählt.

Die lauten Stimmen des Marktradikalismus

Mit der Kryptoszene hängt auch eine politische Bewegung zusammen: die kleine, aber zunehmend laute libertäre Bewegung in Deutschland. Libertär vom amerikanischen „libertarian“ bezeichnet eine politische Ideologie, die nur ein Ziel kennt: weniger Staat und Bevormundung und dafür mehr Freiheit und Marktwirtschaft.

Sie geht dabei in ihrer Radikalität weit über den linksseits koalitionswilligen Liberalismus der FDP hinaus und zielt auf einen Minimalstaat oder sogar auf eine „Privatrechtsordnung“ ab, in der es statt Staaten nur noch „freie Privatstädte“ gibt, die ihren Kunden ein vertragliches Staatsangebot unterbreiten. 

Gerade in den letzten Jahren hat diese Bewegung, die bislang eher von älteren Herren mit grau melierten Haaren in Magazinen wie eigentümlich frei und Organisationen wie dem Mises Institut oder der Atlas Initiative vertreten wurde, beachtlich an jungem Elan gewonnen. Gruppen wie die lose organisierten Die Marktradikalen fluten Twitter mit Slogans und zahllosen Memes. Die straffer organisierte Jugendorganisation Liberty Rising bringt kiloweise Sticker in Umlauf und tritt zunehmend aktivistischer hervor – wie vor Kurzem mit einer Umgestaltung des Marx-Engels-Denkmals in Berlin.

Im Sommer 2021 fand zudem erstmals in Deutschland ein libertäres Jugendcamp namens Liberty Sunrise im Sauerland mit rund 80 Teilnehmern und Gästen statt, das 2022 um das Wintertreffen Liberty Snowfall ergänzt werden soll.

Was diese Gruppen verbindet, ist ihre hohe Kreativität, eine Bereitschaft, offensiv linke und rechte Taktiken der Öffentlichkeitsarbeit zu übernehmen und ihre digitale Organisation gerade mittels der Gaming-Plattform Discord. So entsteht medial weitgehend unbeachtet eine ungewohnte Subkultur mit Underground-Bowleabenden gegen den Staat, eigenen Webshops, Podcasts wie „jung, brutal, marktradikal“ und mittelgroßen YouTubern wie Charles Krüger.

Generation Staatskritik – wir hören euch nicht

Haben wir also insgesamt eine „Generation Staatskritik“? Sicher nicht, aber wir haben auch keine „Generation Greta“.

Die Jugend ist politisch breiter und widersprüchlicher, als die mediale Berichterstattung vermuten lassen würde. Das liegt zum Teil an den Jugendlichen selbst, die beispielsweise in einer Studie der Berliner Hertie School angaben, zwar den Klimawandel als großes Problem zu sehen, gleichzeitig aber keine Einschränkungen ihrer materiellen Freiheit wünschten. Das liegt aber auch an der Lebenswelt gerade jener jungen Menschen, die besonders marktfreundlich und verbotsskeptisch eingestellt sind.

Während Zivilgesellschaft in Deutschland mit linken und ökologischen Akteuren quasi synonym ist, machen die Staatsskeptiker weniger auf sich aufmerksam. Kein Wunder, wollen sie doch zumeist eben keine weitere Intervention der Politik, sondern nur in Ruhe gelassen werden.

Liberale Jungwähler trifft man halt nur in der Anonymität der Wahlkabine, Trading-Teenager vor allem auf dem heimischen Sofa, Fridays for Hubraum-Anhänger auf der einsamen Landstraße, radikale Aktivisten gegen Onlineüberwachung und Freunde legalen Drogenhandels versteckt im Darknet. Die libertären Aktivisten der radikalen Staatskritik bilden keine schwarzen Blöcke auf Demos, besetzen keine Häuser und zünden keine Limousinen an. Es gibt sie aber doch und das in relevanten Mengen. Auch, wenn sie nur ganz langsam sichtbarer werden.

Ob es ihnen aber gelingen wird, aus der Ablehnung staatlicher Eingriffe und Bevormundung auch eine Bewegung zu formen, die sich mit Fridays for Future messen kann, ist fraglich. Und noch mehr, ob diese Bewegung bei den eher linksgrünen Journalisten auch nur annähernd so populär werden würde. Vielleicht ist „Generation Staatskritik“ also ohnehin der falsche Begriff – und „Generation unbeachtet“ der passendere.

Max Leonard Remke hat in Göttingen und Seoul Geschichte und Politik studiert und arbeitet als freier Journalist u. a. für die „eigentümlich frei“. Seit 2020 ist er Vorsitzender des klassisch liberalen Michael Gartenschläger Instituts.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion