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Bundeswehrpräsenz erreicht beim Hessentag neue Dimensionen

Ein Aktionsbündnis hat bei einer Kundgebung im hessischen Bad Vilbel einen Hessentag ohne Anwesenheit der Bundeswehr gefordert. Aktivisten üben Kritik an der Instrumentalisierung technikbegeisterter Kinder und Jugendlicher.

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Einen Hessentag ohne Bundeswehr forderten Aktivisten bei einer Kundgebung am Samstag im hessischen Bad Vilbel.

Foto: Oliver Signus

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Lesedauer: 9 Min.

Unruhig zappelt der vielleicht sieben oder acht Jahre alte Junge auf dem Schleudersitz hin und her. Eine Cybermaske bedeckt sein Gesicht, doch die Begeisterung für das, was er da gerade erlebt, kann man seiner Aufgeregtheit entnehmen. Wer hat schon mal die Möglichkeit, in einem Schleudersitz Platz zu nehmen, und das auch noch in einer ganz ungefährlichen Situation.

Demonstranten überwiegend aus der linken Szene

Dieses Notausstiegssystem steht in einem Zelt auf einer Wiese im hessischen Bad Vilbel. Dort geht seit dem 13. Juni für neun Tage der Hessentag über die Bühne. Mit dabei ist auch dieses Mal wieder die Bundeswehr. Sie ist seit den 1970er-Jahren regelmäßig Gast bei dem alljährlich in einer anderen hessischen Kommune stattfindenden Fest. Seit den 1990er-Jahren lockt es regelmäßig mehr als 1 Million Besucher an.
Nur wenige hundert Meter von dem Jungen im Schleudersitz kritisierten Aktivisten unter anderem Situationen wie diese; Kriegsausrüstung und Waffen quasi als Spielzeug. Am Bahnhof in der Mitte Bad Vilbels, einer circa 35.000 Einwohner zählenden Stadt im Wetteraukreis und am Rande Frankfurts gelegen, versammelten sich etwa 150 Demonstranten, überwiegend aus der linken Szene.
Initiiert hat die Kundgebung das Bündnis „Friedlicher Hessentag“. Die Mitglieder vertreten die Ansicht, dass die Bundeswehr bei dieser Veranstaltung nichts zu suchen hat. Die Sprecherin einer dem Bündnis angehörigen Organisation prangert unter anderem auch das an, was sich in dem eingangs erwähnten Zelt abspielt. Sie spricht von der Instrumentalisierung technikbegeisterter Kinder. Die Rekrutierung Minderjähriger ist ein weiterer Kritikpunkt.

Junge Aktivisten demonstrieren auf dem Ausstellungsgelände und vor dem Stand von Rheinmetall gegen Aufrüstung.

Foto: Oliver Signus

Rekord – Bundeswehr stellte 2024 mehr als 2.200 Minderjährige ein

Warum? Das zeigt die Entwicklung. Seit der Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 können sich 17-Jährige freiwillig zum Dienst melden. Bedingung ist die Erfüllung der Vollzeitschulpflicht, auch muss eine schriftliche Einwilligung der Erziehungsberechtigten vorliegen. 2023 stellte die Bundeswehr 1.996 Minderjährige ein.
Im Herbst 2023, als Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) erstmals die Herstellung der Kriegstüchtigkeit der Armee forderte, stieg die Zahl auf mehr als 2.200 junge Menschen, die sich zum Dienst an der Waffe meldeten – ein Rekordwert. Sie erhalten die gleiche militärische Grundausbildung wie Volljährige und sind oft in denselben Einheiten untergebracht.
Gegen die Anwerbung jugendlicher Soldaten ist auch Julia. Die Frankfurterin, Mutter von drei Söhnen im Teenageralter, kritisiert die massive Werbung der Wehr in der Öffentlichkeit. Sie geht daher auf die Straße und fordert, dass anstelle der permanenten Kriegstreiberei durch die Bundesregierung „endlich Friedenskampagnen zustande kommen“.
In dem Zusammenhang erinnerte eine Sprecherin auch an einen Beschluss des Stadtrats in Essen aus dem Jahr 2015, der die Werbung der Bundeswehr an städtischen Schulen untersagte. Einen entsprechenden Antrag brachte seinerzeit die Fraktion der Linken ein. Er zielte darauf ab, militärische Werbung gegenüber Minderjährigen zu unterbinden – insbesondere durch Jugendoffiziere oder Karriereberater der Bundeswehr.

Nach einer Kundgebung am Bahnhof von Bad Vilbel zogen etwa 150 Demonstranten in Richtung Hessentagsgelände.

Foto: Oliver Signus

Bundeswehr kritisiert „Populismus“

Zur Orientierung: Die Anzahl der Schüler, die 2022 an Veranstaltungen der Bundeswehr teilnahmen, lag bei mehr als 100.000. Im Jahr darauf waren es laut Bericht der Jugendoffiziere knapp 122.000 Teilnehmer. Damit habe man wieder das Niveau wie aus der Zeit vor der Corona-Pandemie erreicht.
Die Bundeswehr kritisierte ihrerseits solche Protestaktionen regelmäßig als „populistisch“. Sie betonte, dass es sich bei Schulbesuchen um politische Bildung und nicht um Werbung handle. Jugendoffiziere seien speziell geschult, um sicherheitspolitische Themen sachlich und altersgerecht zu vermitteln. Dies gehe einher mit dem Beutelsbacher Konsens, der unter anderem das Überwältigungsverbot und das Kontroversitätsgebot für den Unterricht festlegt.
Zurück an den Bahnhof von Bad Vilbel. Bei brütender Hitze mit Temperaturen um 35 Grad formieren sich die etwa 150 Teilnehmer zum Demonstrationszug durch das ehemalige Kurbad, das durch seine zahlreichen Mineral- und Heilquellen bekannt ist, die dort seit Jahrhunderten sprudeln. Mit Friedenstauben bedruckte Fahnen wehen, aber auch Banner von Parteien, etwa der Linken oder der DKP.
Es ist auch eine Palästinenserflagge zu sehen. Ihr Träger muss sie nach Aufforderung der Veranstalter und nach Geheiß der Polizei einrollen – allerdings erst viel später, während der Abschlusskundgebung. Ihr Träger ist ein ruhiger Mann mittleren Alters. Seinen Namen möchte er nicht nennen, erzählt aber, dass er – in Jordanien als Kind palästinensischer Eltern geboren – seit 20 Jahren in Deutschland lebt.
Er wolle ein sofortiges Ende „aller Kriege“. Er sprach auch davon, dass sein Volk sich nicht aus Gaza vertreiben lassen wolle. Trotz aller Gefahren lebten sie dort, hausten auf den Trümmern ihrer Häuser und hätten den Wiederaufbau im Sinn. „Denn das ist ihre Heimat“, sagte er, woanders wollten sie nicht hin.

Waffenschau auf 12.000 Quadratmetern

Eine ältere Dame ging mit der alten und auch der neuen Bundesregierung hart ins Gericht. Es sei ein „Skandal“, dass es der Ampelkoalition nicht gelungen sei, „dass es Frieden gibt“. Die Politik sei von „blindem Groll“ getrieben, wetterte sie und forderte, dass „endlich mit Russland gesprochen wird“.
Die Fläche, die die Bundeswehr beim Hessentag für sich beansprucht, wächst von Jahr zu Jahr. In Bad Vilbel hat sie neue Dimensionen erreicht. Bis in die 2010er-Jahre beschränkte sich der „Platz der Bundeswehr“ auf abgegrenzte Bereiche mit Zelten, Fahrzeugen und Infoständen. Die Fläche war überschaubar, der Fokus lag auf Dialog, Karriereberatung und Technik zum Anfassen.
Beim letztjährigen Hessentag in Fritzlar war die Armee bereits einer der größten Aussteller mit Kampfhubschraubern (z. B. Tiger), Flugsimulatoren, Truppenküche und einem eigenen Festzelt. In Bad Vilbel hat sie sich weiter ausgebreitet. Ein Soldat schätzt die Größe des Areals auf 12.000 Quadratmeter – nur für die Ausstellung und die Infozelte.
Bei einem Blick in die Runde mit all den Gerätschaften, Fahrzeugen, Panzer, Kampfjet, Hubschrauber und so weiter erscheint die Schätzung eher konservativ. Hinzu kommen in einem anderen Teil des Festgeländes noch Festzelte, in denen sich Soldaten in Tarnanzügen beim Bierzapfen üben.

Anti-Kriegsparolen zierten zahlreiche Banner bei der Kundgebung auf dem Hessentag in Bad Vilbel.

Foto: Oliver Signus

„Sterbende“  Aktivisten vor Rheinmetall-Stand

Viel los ist auf dem Gelände am Samstagnachmittag nicht. Die hohen Temperaturen, die man als sinnige Ergänzung des Programms für einen simulierten Einsatz in einer Wüste interpretieren könnte, haben die Menschen möglicherweise eher in schattige Regionen und Schwimmbäder getrieben. Dennoch wird es noch einmal spektakulär, als eine Gruppe junger Aktivisten, die bereits bei der Kundgebung dabei war, gegen die Anwesenheit von Bundeswehr und Rheinmetall demonstrierte.
Sie skandieren Parolen, tragen Banner, auf denen sie ein Verbot „bewaffneter Gangs“ und ein „Nein zur Aufrüstung“ fordern. Rund ein halbes Dutzend junger Leute tragen weiße, mit roter Farbe beschmierte T-Shirts, die Blut symbolisieren, und fallen vor dem Rheinmetall-Stand „sterbend“ auf die ausgedörrte Wiese. Darauf angesprochen, wie er das findet, sagt ein junger Soldat, nur wenig älter als die Protestler, fast gleichgültig: „Die haben auch ihre Berechtigung.“

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