Lungenfacharzt Dieter Köhler: „Lockdowns haben Pandemie nur beschleunigt“

Der langjährige Sachverständige für das Bundesgesundheitsamt, Dieter Köhler, rechnet mit der Pandemie-Politik ab. Vor allem kritisiert er Konformismus.
Die Corona-Pandemie gilt nicht mehr als internationaler Gesundheitsnotstand.
Die Corona-Pandemie gilt nicht mehr als internationaler Gesundheitsnotstand.Foto: Marijan Murat/dpa
Von 15. Mai 2023

Der Lungenfacharzt Dieter Köhler war unter anderem Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie. Insgesamt 15 Jahre war er als Sachverständiger für das Bundesgesundheitsamt tätig. Heute ist er einer der Aktivposten des Vereins „Sokrates – ein Forum kritischer Rationalisten“. In der „Bayerischen Staatszeitung“ hat er nun eine Bilanz der Pandemie-Politik gezogen – und diese fällt wenig schmeichelhaft aus.

Köhler: Herdenimmunität einzig sinnvolles Konzept – bei ausreichendem Individualschutz

Ein Vorwurf Köhlers trifft dabei die Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese habe die Pandemie schon zu Beginn ohne Not dramatisiert, ohne auf durchaus bereits vorhandene Konzepte zurückzugreifen.

Vor allem sei es unverzeihlich gewesen, die aus Erlösgründen von Intensivstationen praktizierte strategische Frühintubation nicht infrage zu stellen. Im Zusammenhang mit Corona seien durch vorschnelle invasive Beatmung „über 100.000 Menschen unnötig gestorben“.

Zudem sei es eine verfehlte Taktik gewesen, um jeden Preis Infektionen verhindern zu wollen. Es erwische ohnehin irgendwann jeden, so Köhler, und die Herdenimmunität sei wünschenswert – sofern der Individualschutz Beachtung finde. Im Grunde gehe es darum:

Jeder soll das Virus bekommen, aber eben nicht zu viele Viren auf einmal. Viele Probleme entpuppen sich dann als Scheinprobleme.“

Pandemie hat sich über die Innenräume ausgebreitet

Die Maskenbenutzung in Innenräumen hält Köhler für eine sinnvolle Weichenstellung. Sie helfe, die Viruslast zu reduzieren, und es sei entscheidend, nicht zu viele Viren pro Zeiteinheit abzubekommen. Die Pandemie lasse sich dadurch nicht bremsen, aber die Verläufe würden milder. Köhler ist überzeugt:

Seit 2008 weiß man, dass abgeatmete Viren ebenso wie Zigarettenrauch über Stunden in der Luft bleiben. Deswegen war auch die Kontaktnachverfolgung zum Scheitern verurteilt.“

Die in Bayern besonders harten Lockdown-Maßnahmen wiederum hätten die Pandemie beschleunigt. Man habe die Menschen in Innenräume gezwungen, in denen sie sich angesteckt hätten. Auch wenn für den ersten Lockdown noch gesprochen hätte, dass man nicht wusste, wie gefährlich das Virus sei: Schon Mitte 2020 sei klar gewesen, dass es zu einer bundesweiten Überfüllung der Kliniken und Intensivstationen nicht kommen werde.

Köhler beklagt Lobbyismus und Selbstzensur

Auch zu der von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach beschworenen „Killer-Variante“ sei es nie gekommen. Dies sei auch logisch gewesen, weil Viren ständig mutierten und sich dabei abschwächten. Lauterbach habe Ängstlichkeit über die Aussagen von Fachliteratur gestellt und ausgeblendet, was nicht ins Konzept gepasst habe.

Viele Fachleute hätten es jedoch nicht gewagt, Lauterbach in der Sache zu widersprechen, da es der Karriere hätte schaden können. Zudem hatten die medizinischen Fachgesellschaften erfolgreich Lobbyismus in eigener Sache betrieben. Dass die meisten Medien und die öffentlich-rechtlichen Sender Kritik nicht zugelassen hätten, habe die Situation noch verschärft:

Die Selbstzensur kluger Journalistinnen und Journalisten hat den Entscheidungsträgern in der Pandemie in den Regierungen in die Karten gespielt. Und die Parteien haben ihre Meinung zumeist dem aktuellen Trend angepasst.“

Kritische Aufarbeitung eigenen Agierens in der Pandemie nicht gewünscht

Die Politik wiederum habe zur Beratung im Regelfall „die Experten genommen, die ins System passten“. Die Fachgesellschaften neigten, da es für die Kliniken um viel Geld ging, auch dazu, gute Verhandler in eigener Sache abzustellen – und nicht zwingend unvoreingenommene Experten.

Insgesamt hätten Hysterie und Abgehobenheit auch eine adäquate Bewertung psychosozialer Aspekte verhindert. Köhler vermisste Diskursfähigkeit und Bodenständigkeit bei vielen Akteuren:

Viele Virologen wussten zum Beispiel nicht einmal, dass sich die Pandemie über die kleinen abgeatmeten Aerosole verbreitet. Das habe ich auch in persönlichen Gesprächen mit Virologen erlebt. Das hat mich etwas entsetzt.“

Eine Vielzahl an Politikern und auch Wissenschaftlern hätte heute allen Anlass, sich Irrtümer einzugestehen:

Aber das wird nicht passieren. Niemand will etwas aufarbeiten, weil er oder sie Angst hat, demaskiert zu werden. Es bräuchte wieder mehr kritischen Rationalismus. Philosoph Karl Popper erklärt in seinem Prinzip der Fehlbarkeit: ‚Vielleicht habe ich unrecht, und vielleicht hast du recht. Aber wir können auch beide unrecht haben.‘“



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