Planspiel: Schweres Atemwegssyndrom würde mehr Opfer als COVID-19 fordern

Tabletop-Teilnehmer simulieren einen Krankheitsausbruch 2025 in Lateinamerika. Weltweit sollen Strukturen geschaffen werden, um „die Grenzen der Reaktionsfähigkeit zu erweitern“. Vor allem Kinder und Jugendliche soll das Virus stark gefährden.
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Über eine fiktive Pandemie diskutierte eine Tabletop-Runde in Brüssel.Foto: istocks/libre de droit
Von 13. Dezember 2022

Es ist noch nicht einmal vier Wochen her, dass die große Zahl an mit dem RS-Virus erkrankten Kindern in die Schlagzeilen geriet. Von häufig schweren Verläufen der Erkältungserkrankung und vollen Kinderstationen in Krankenhäusern war vor allem während der ersten zwei Wochen in zahlreichen Medien die Rede.

Wiederum einige Wochen zuvor: Am 23. Oktober, lud das Johns Hopkins Center für Health Security zu einer Runde ein, in deren Verlauf die Teilnehmer eine weitere Pandemie durchspielten. Darüber berichtet die Seite der Klinik „Center for Health Security“.

Katastrophale Ausbreitung

Bei dieser sogenannten Tabletop-Übung stand unter dem Motto „Katastrophale Ausbreitung“ ein fiktives Virus im Mittelpunkt, das vor allem junge Menschen befallen soll. Dieses Planspiel veranstaltete das Johns Hopkins Center in Zusammenarbeit mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und der Bill & Melinda Gates Foundation auf dem Grand Challenges Annual Meeting in Brüssel.

Deutsche Professorin in Expertenrunde

Die Teilnehmergruppe bestand aus zehn derzeitigen und ehemaligen Gesundheitsministern oder hochrangigen Gesundheitsbeamten. Sie stammen aus Senegal, Ruanda, Nigeria, Angola, Liberia, Singapur und Indien.

Dabei war auch Bill Gates, Co-Vorsitzender der Bill & Melinda Gates Stiftung. Zur Runde gehörte außerdem die Deutsche Johanna Hanefeld. Hanefeld, Jahrgang 1978, leitet seit Januar 2020 das Zentrum für internationalen Gesundheitsschutz, das die internationale Arbeit des Robert Koch-Instituts in Berlin koordiniert. Sie ist zudem Professorin für Globale Gesundheitspolitik an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, wo sich ihre Arbeit auf Politik und Systemanalyse konzentriert.

Simulation von WHO-Sitzungen

Die Übung simulierte eine Reihe von Sitzungen des Notfallgesundheitsbeirats der WHO, der sich mit einer fiktiven Pandemie befasst. Bei der Erkrankung handelt es sich um ein „Schweres Epidemisches Enterovirus-Atemwegssyndrom („Severe Epidemic Enterovirus Respiratory Syndrome“, SEERS), das 2025 in Lateinamerika ausbricht.

Die Teilnehmer setzten sich damit auseinander, wie auf die Epidemie zu reagieren ist. Sie breitet sich schnell zu einer Pandemie aus und fordert mehr Opfer als COVID-19. Überproportional sterben Kinder und Jugendliche an der Erkrankung.

Die Aufgabe der Teilnehmer war es, angesichts der Unsicherheit dringende politische Entscheidungen auf Basis begrenzter Informationen zu treffen. Jedes Problem und jede Entscheidung hat schwerwiegende gesundheitliche, wirtschaftliche und soziale Auswirkungen.

Entschlossene und mutige Maßnahmen ergreifen

Aus den Resultaten der Aufgabenstellung zogen die Teilnehmer eine Reihe von Schlussfolgerungen. Ein „gefährlicher Ausbruch“ müsse bereits im Keim erstickt werden. „In den ersten Tagen einer großen neuen ansteckenden Krankheitsepidemie könnte es ein kurzes Zeitfenster geben, um zu verhindern, dass sie zu einer Pandemie wird“, heißt es in der Analyse.

Um einen Ausbruch einzudämmen, müssten angesichts unvollständiger Daten, großer wissenschaftlicher Unsicherheit und „potenzieller politischer Widerstände entschlossene und mutige Maßnahmen ergriffen werden“. Mit dem Durchdenken solcher Herausforderungen, der Vorbereitung auf eine wirksame Reaktion und Tabletop- und Einsatzübungen sollte daher begonnen werden.

Stärkere Maßnahmen als bei COVID-19?

Es möge den Anschein erwecken, dass all diese kritischen politischen Entscheidungen während der COVID-19-Pandemie gelöst wurden, aber das sei nicht der Fall. In der Simulation rang eine Gruppe der „klügsten und erfahrensten“ internationalen Führungskräfte im Gesundheitswesen, die COVID-19 miterlebt hatten, mit gegensätzlichen Ansichten darüber, ob Länder Reisebeschränkungen verhängen oder Schulen schließen sollten, um eine Epidemie einzudämmen.  Die Übung warf eine zentrale Frage auf: Wenn künftige Pandemien eine höhere Letalität als COVID-19 aufweisen oder überwiegend Kinder betreffen, sollten die Länder dann stärkere und frühere Maßnahmen ergreifen, um sie einzudämmen? Und wie sehen diese Maßnahmen aus?

Strategisch auf Herausforderungen vorbereiten

Dies seien keine rein gesundheitspolitischen und wissenschaftlichen Entscheidungen. Vielmehr würden sie von den Verantwortlichen vor dem Hintergrund politischer, wirtschaftlicher und sozialer Gegebenheiten getroffen, die sich absehen ließen.

„Durch routinemäßige Simulationen und operative Übungen können wir uns strategisch auf solche Herausforderungen vorbereiten. Je effektiver wir einen Konsens über den besten Ansatz erreichen, desto eher sind wir bereit, Leben und Volkswirtschaften zu schützen.“

Um bei der nächsten Pandemie wirksam reagieren zu können, müssten neben den Verantwortlichen im Gesundheitswesen auch die politischen Entscheidungsträger bei den Übungen mit am Tisch sitzen.

Internationales Netzwerk aufbauen

Die Länder sollten ein globales Netz von Fachleuten des öffentlichen Gesundheitswesens einrichten. Sie könnten zusammenarbeiten, um die Bereitschaft und die Reaktion auf Epidemien zu verbessern. Es gebe bisher kein weltweites, professionelles Netzwerk von Verantwortlichen im Bereich der öffentlichen Gesundheit. Würde es geschaffen, gäbe es eine bessere Kooperation zwischen und während Epidemien.

Die Länder könnten sich besser vorbereiten, einander unterstützen und bewährte Verfahren austauschen. Ein internationales Netzwerk nach dem Vorbild des in der Übung erwähnten professionellen „Pandemiekorps“ könnte Leben und Existenzgrundlagen retten.

Politische Entscheidungsträger, die für die Sicherheit ihrer Bürger verantwortlich seien, könnten von einer solchen Gruppe profitieren. Sie müssten nicht mehr „folgenschwere politische Entscheidungen“ treffen, wenn bei gefährlichen Ausbrüchen Leben auf dem Spiel stehe.

„Noch größere Störungen durch Fehlinformationen“

Die Länder sollten sich vorrangig darum bemühen, das Vertrauen in die Regierung und die öffentliche Gesundheit zu stärken. Auch sollten sie die Kommunikation im Bereich der öffentlichen Gesundheit verbessern.

„Eindämmen“ müssen sie Verbreitung „schädlicher Fehlinformationen“, um die „Widerstandsfähigkeit der Bevölkerung“ gegenüber irreführenden Behauptungen zu stärken. „Bei künftigen Pandemien sollten wir weiterhin mit noch größeren Störungen durch Fehlinformationen und Desinformation rechnen“, prognostizierten die Teilnehmer.

WHO als vertrauenswürdige Quelle

Die WHO könne „eine weltweit vertrauenswürdige Quelle sein und wissenschaftliche und gesundheitspolitische Informationen weitergeben. Wir sollten aber nicht erwarten, dass sie allein die Verbreitung dieser Desinformationen bekämpfen oder stoppen kann.“

Die Länder müssen zusammenarbeiten, um diese Bedrohung zu antizipieren und sich darauf vorzubereiten, sie mit ihren eigenen Gesetzen zu bekämpfen. So wie viele Arten wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Schäden in Pandemievorbereitungsplänen vorausgesehen und berücksichtigt werden können, gelte dies auch für vorhersehbare „falsche oder irreführende Gesundheitsbotschaften“. Die konzertierte Suche nach Möglichkeiten, dieses Phänomen auf nationaler Ebene anzugehen, werde entscheidend sein, um Leben zu retten.

Weltweit „Verabreichungskapazitäten“ schaffen

Die WHO-Mitgliedstaaten sollten die internationalen Systeme für die gemeinsame Nutzung und Zuweisung knapper öffentlicher Gesundheitsressourcen stärken. Während der COVID-19-Pandemie seien „bahnbrechende globale Kooperationen“ wie der ACT-Accelerator und COVAX ins Leben gerufen.

Den Verantwortlichen im Gesundheitswesen fehle es jedoch immer noch an Vertrauen in die derzeitigen Ansätze zur gerechten Verteilung medizinischer Gegenmaßnahmen bei einer künftigen Pandemie. Selbst wenn es eine globale Verpflichtung zur Gleichbehandlung aller Länder gäbe, bleibe eine „gerechte Zuteilung“ schwierig. Vor allem, wenn es praktische Herausforderungen und besondere Anforderungen wie Kühlung oder intravenöse Verabreichung gebe.

„Wenn alle Regionen der Welt in die Lage versetzt würden, während einer Pandemie Leben zu retten, würde dies den gerechten Zugang zu lebensrettenden Behandlungen und Impfstoffen verbessern. Deshalb müssen wir weltweit Herstellungs-, Verteilungs- und Verabreichungskapazitäten aufbauen.“

Besondere Aufmerksamkeit solle dann auf Ländern mit schlechter Infrastruktur liegen. „Dies sollte jetzt geschehen und nicht erst während einer wachsenden Pandemie.“

Noch mehr Vorbereitungsarbeit leisten

Aus dem Tabletop „Katastrophale Ausbreitung“ gehe klar hervor, dass selbst nach den „schrecklichen Auswirkungen“ von COVID-19 noch mehr Vorbereitungsarbeit geleistet, neue Entscheidungen getroffen und zusätzliche Ressourcen bereitgestellt werden müssen. „Wir müssen die Grenzen unserer Reaktionsfähigkeit erweitern“, lautete das abschließende Fazit der Teilnehmer.

Das Johns Hopkins Zentrum für Gesundheitssicherheit befindet sich in Baltimore im US-Bundesstaat Maryland. Zu den wichtigsten Geldgebern gehören laut Internetseite die Bill & Melinda Gates Foundation, Rockefeller Foundation und die Robert Wood Jones Foundation. Partner sind unter anderem das US-Verteidigungsministerium, das Center for Desease Control and Prevention (CDC) und die Arzneimittelbehörde FDA.



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