Hilfe, Andi ist PC-süchtig

Wenn die digitale Welt zum trügerischen Freund wird...
Titelbild
(Eckehard Kunkel/The Epoch Times)
Von 7. Mai 2009

Häh?“ Mit dem Headphone auf dem Kopf wendet sich Andi entgeistert zur Türe, von der aus die Mutter ihn mit seltsamen Worten aus seiner Realität gerissen hat.

Soeben haben sich die Spieler noch über das Internet zugerufen: „Pass auf, der dropt dich gleich!“ – „Jaah, ich hab ihn, ich hab ihn gerusht!“ – „Cool, eeyh, gib ihm den Rest!“.

– „Hallo, Andi, Essen ist fertig!“. Für Essen hat Andi jetzt keine Zeit. – „Äh, jaja, gleich“, heißt es, und wieder ist er ganz bei der Vernichtung des Monsters in Level neun. Dranbleiben, sonst erholt der sich wieder.

Holger Schmidt schreibt in seinem Artikel „Ansturm auf „World of Warcraft“ in der F.A.Z. vom 22. Januar 2007 von weltweit acht Millionen, die dieses Spiel spielen, von denen nach der Studie „Computerspielabhängigkeit im Kindes- und Jugendalter“ von Rehbein, Kleimann und Mößle etwa 8,5 Prozent suchtkrank sind.

Eine Flucht aus der Realität

Wird das reale Leben nicht so erfolgreich gemeistert, wie der Betroffene es sich wünscht, dann gestaltet sich die Flucht in die digitale Welt sehr verlockend, wo der Spieler für die Zeit vor dem Computer seine Ruhe vor den unangenehmen Gedanken und Gefühlen aus der realen Welt hat. Wenn das Spiel aufhört, wird der Jugendliche erneut mit der ihm feindlich erscheinenden Realität konfrontiert – die Versuchung ist groß, erneut in das Spiel einzutauchen und die Forderungen des realen Lebens hinter sich zu lassen. Zudem gaukelt die Vernichtung von digitalen Gespenstern Macht und Kontrollerleben vor. Insbesondere wenn es dem Jugendlichen in der Realität nur schwer möglich ist, das Gefühl zu erleben, etwas bewirkt zu haben, können solche Computerspiele schnell süchtig machen. Dem Gehirn des Spielers ist das gleich: ob digital oder real, das Belohnungssystem wird aktiviert; ein wohliges Gefühl breitet sich aus – das Verlangen danach steigt – also wird weitergespielt.

Studien belegen: Wenige Erfolgserlebnisse in der wirklichen Welt, erhöhte schulische Leistungsangst und die Wiederholung einer Klasse erhöhen die Wahrscheinlichkeit für die Entstehung einer Mediensucht.

Ob stoffgebundene Sucht wie Nikotinabhängigkeit, Alkoholabhängigkeit, Heroinabhängigkeit, oder stoffungebundene Sucht wie Spielsucht, Streitsucht, Putzsucht, Arbeitssucht (Fachbegriff Workaholic): Ein Vierjähriger, dem die Playstation weggenommen wurde, erlebt das Gleiche wie ein Heroinabhängiger, der kein  Heroin mehr zum Konsumieren hat. Beide leiden und haben den Tunnelblick auf ihr Suchtmittel. Ein Gehirn, das von seinem Träger durch intensives Computerspielen stimuliert wird, reagiert mit einer erhöhten Dopaminausschüttung und belohnungsrelevante Hirnareale werden aktiv. Das gleiche geschieht in dem Gehirn eines Alkoholabhängigen oder bei einer sonstigen stoffgebundenen Abhängigkeit.

Willenlos süchtig

Für die Betroffenen fällt der erste Schritt aus der Sucht am schwersten: Sich zu entschließen, etwas gegen die Sucht zu unternehmen und sich an die entsprechenden Beratungsstellen des in Deutschland gut etablierten Suchthilfesystems zu wenden. Viele Süchtige stellen nach den ersten Wochen des Auftauchens aus den Nebeln der Sucht fest, dass das reale Leben einfacher ist als vorgestellt, und dass sich die reale Welt teilweise sogar „richtig gut“ anfühlt. Was aber ist zu tun, wenn der Betroffene zwar weiß, „Ich bin abhängig“, aber nichts dagegen tun will? Stunde um Stunde sein Spiel online spielt, sich der Spielgemeinschaft verpflichtet fühlt, die zum Gewinnen auf ihn angewiesen ist, und er sich deshalb Windeln angelegt hat, um nicht wertvolle Zeit durch realweltliche Unpässlichkeiten zu vergeuden?

Meistens merkt die Mutter des vielleicht 12- oder auch 17-jährigen Sohnes, dass der Junge bleich aussieht, nur noch vor dem „verfluchten“ PC sitzt und um nichts in der Welt dort weg zu locken ist; Lieblingsessen? Interessiert nicht. Einsicht in das zu Viel? „Jaja, morgen“. Jetzt sind es zwei Jungs, die die Mama da vor sich hat. Der süchtige Andi hat die Oberhand; der übrige Andi mit seiner Vernunft, Moral, sozialen Bedürfnissen kommt da nicht mehr dagegen an. Es ist der süchtige Andi, der gewonnen hat, er hat jetzt das Sagen.

Dem Leidens-Druck ein bisschen nachhelfen

Der süchtige Andi hat mit seiner Sucht kein Problem –  nur seine Umwelt. Was kann diese tun? Nicht wirksam: Auf seine Einsicht setzen. Nicht wirksam: Leere Versprechungen wie „Ich schmeiß Deinen Computer zum Fenster raus!“ Und neben dem Suchtproblem zeigt sich dessen Begleiter: ein  Beziehungsproblem, und da Andi noch zuhause bei Mama wohnt, ein Erziehungsproblem, auch wenn der Andi vielleicht schon 54 ist. Helfen können Gründe – Andi braucht Gründe, um sich von seiner Hassliebe, der Mediensucht zu verabschieden.

Die Mutter könnte damit anfangen, morgens um acht in sein Zimmer zu kommen, den Rollladen hochzuziehen und zu sagen: „Ich habe mir Sorgen um dich gemacht, ich habe angeklopft und du hast nicht reagiert.“ Die Familie um ihn kann ihm durch  ein ernsthaftes Gespräch mit versprochenen Konsequenzen zeigen, dass sie in Sorge um ihn sind und ihm sagen, dass sie nicht tatenlos zusehen wollen, wie er sich kaputt macht. Seine gemütliche Situation zu Hause im eigenen abgedunkelten Zimmer mit Internet-Flatrate muss ihm Schritt um Schritt etwas ungemütlicher gemacht werden. Dann hat er Gründe, aufzuhören. Andi hat davor schon lange genug leere Drohungen gehört. Nach einem alten Pädagogen-Lehrsatz reagieren Kinder nicht auf das, was wir sagen, sondern auf das, was wir tun. Eine Möglichkeit für einen Anfang: „Wenn du es innerhalb einer Woche nicht schaffst, deine Internetbesuche täglich auf maximal zwei Stunden zu beschränken, werden wir dir eine Woche lang den Internetzugang sperren.“ Und das bei Nichteinhalten auch tun.

Informationen zum Thema finden Sie unter: http://www.bzga.de/oder der örtlichen psychosozialen Beratungsstelle.

Über den Autor:

Eckehard Kunkel ist Sozialarbeiter und Diplom-Psychologe, Sozialtherapeut in systemischer Familientherapie und Psychologischer Psychotherapeut, geschieden und Vater zweier Söhne von 19 und 22. Er arbeitet seit 1985 in einer psychosozialen Beratungsstelle der Aktionsgemeinschaft Drogen e.V. Heidelberg.

(Eckehard Kunkel/The Epoch Times)
(Eckehard Kunkel/The Epoch Times)

 



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