Von ganzem Herzen – Musizieren mit Blinden

Interview mit David Pinto, Leiter der Musikakademie für Blinde in Kalifornien
Titelbild
Foto: Zur Verfügung gestellt von Gayle Pinto und David Pinto

David Pinto gründete und leitet die Musikakademie für Blinde (Academy of Music for the Blind, AMB) – die einzige Musikakademie der USA, die sich gezielt für die musikalische Ausbildung blinder Menschen einsetzt. Mit eigens dafür entwickelten Software-Programmen wird ihnen beigebracht, wie sie in der rauen Welt der Musikindustrie mithalten können.

Die Idee mit Blinden zu arbeiten gehörte nicht zu Pintos Zielen – es passierte einfach. An einem Tag im Jahr 1995, Pinto unterrichtete damals eine Computer/Musikklasse am Pierce College in Los Angeles, verirrte sich ein blinder Musikschüler in eine seiner Klassen. Er war gespannt, ob der Schüler es schaffen könnte, den Computer zur Aufzeichnung und Bearbeitung von Musik zu nutzen, wie es in der heutigen Musikbranche üblich ist.

„Ich befasste mich eingehend mit den vorhandenen Ressourcen und stellte einen großen Bedarf fest. Also designte und entwickelte ich Software, die es blinden Musikern ermöglichen sollte, mit dem Computer Musik zu kreieren. Genau so, wie es ihre sehenden Kollegen machen.“

Musiknoten für Blinde

Wer Musiknoten lesen will, muss sie sehen – oder wenigstens fühlen. Während Musiker, die sehen können, ihre Noten aufschreiben, sind blinde Musiker auf die Braille-Musiknotation für Blinde angewiesen. Genau wie die Braille-Blindenschrift bestehen Braille-Blindennoten aus einem speziellen Code, der exakt der gedruckten Musik entspricht. Er kann mit einer Hand gelesen werden, noch schneller mit zwei Händen. Blinde können mit oder ohne Blindenschrift-Noten unterrichtet werden.

„Normalerweise hören blinde Musiker besser, als ihre sehenden Pendants. Sie lernen deshalb weit mehr über das Gehör, als die sehende Musikwelt. Lernt der blinde Musiker jedoch klassische Musik, ist das Notenlesen für ihn ebenso wichtig wir für die Sehenden, weil es bei klassischer Musik sehr stark auf Details ankommt. Ist die Musik dagegen nicht klassisch, und der Musiker hat ein gutes Gehör, spielt es keine so entscheidende Rolle, ob er die Blindennoten lesen kann.“

Lerntechniken mit oder ohne Braille-Blindennoten

Besondere Aufmerksamkeit muss der Spieltechnik geschenkt werden . „Weil sie die anderen beim Spielen der Instrumente nicht sehen können, können sie ihre Technik nicht nach sichtbaren Vorbildern „formen“. Der Lehrer muss oft am Körper direkt die Fingerhaltung, Hände, Arme, die Position des Rumpfes korrigieren sowie den korrekten Einsatz der entsprechenden Muskeln. Manche Blinde entwickeln instinktiv eine gute Technik, dennoch hilft ihnen ein guter Lehrer immer in diesen Dingen.“

David Pinto zufolge gibt es weder ein Lieblingsinstrument blinder Menschen noch ist es für sie leichter oder schwerer ein Musikinstrument zu erlernen. Die Herausforderung liegt laut Pinto im „Vom-Blatt-Spielen“ in der Gruppe, wenn die Musik sofort erfasst werden muss.

„In einem Orchester oder einer Band wird oft ein neues Musikstück ausgegeben, das die Musiker neu einstudieren müssen. Sie spielen es zuerst vom Blatt. Meistens ist das gedruckte Manuskript jedoch noch nicht in Blindennoten übersetzt worden. Der blinde Musiker fällt also zurück und kann nicht ins Ensemble integriert werden. Gibt es bereits transkribierte Noten, dann kann der Blinde sie zwar lesen und spielen, aber nicht in der gleichen Weise wie der Musiker, der sehen kann.“

Blindennoten vom Blatt zu spielen ist sehr schwer, weil wenigstens eine Hand für das Lesen gebraucht wird und das Instrument nur noch einhändig gespielt werden kann. Also muss sich der blinde Musiker in den allermeisten Fällen zuerst die Musik einprägen, bevor er sie spielen kann.

„Muss ein blinder Musiker in einem Ensemble vom Blatt spielen, wird er nicht mithalten können, egal ob er die Braille-Blindennoten gleichzeitig erhalten hat, oder kurz zuvor.“

Die Lösung für Pinto: die Blindennoten bereits im Vorfeld auszugeben, damit der Musiker sie schon auswendig gelernt hat, wenn das Ensemble zum ersten Mal zusammenkommt. Während das im schulischen Bereich noch möglich sein mag, ist es in einer professionellen Umgebung sehr oft nicht möglich.

Laut David Pinto hat der Blinde im Durchschnitt einen feiner ausgebildeten Hörsinn als der Sehende. Unter den Blinden besitzt ein größerer Prozentsatz ein absolutes Gehör oder ein relatives Gehör als unter den sehenden Kollegen. Das absolute Gehör (oder Tonhöhengedächtnis) ist die Fähigkeit, die Tonhöhen eines Liedes exakt bestimmen zu können, etwa ein C von einem Cis unterscheiden zu können.

„Wird eine Melodie gespielt oder ein Akkord angeschlagen, können sie jeden Ton der Melodie benennen.“

Bei einem relativen Gehör handelt es sich um dasselbe, aber es braucht einen oder mehrere Töne, die vorher genannt wurden. Die blinde Person kann dann die restlichen Töne über die bereits genannten ableiten.

Pintos persönliche Erfahrung hat gezeigt, dass Blinde, die keine weiteren Einschränkungen haben, Musik genauso wahrnehmen wie Menschen mit Augenlicht. Hat der Blinde aber eine zusätzliche Behinderung, kann das sowohl sein musikalisches Talent als auch die Art, wie er Musik empfindet, beeinflussen.

„Menschen, die an unterschiedlichen Typen von Autismus leiden, haben oft ein beachtlich ausgeprägtes musikalisches Erinnerungsvermögen und können Töne sehr gut erfassen. Weil sie aber in ihrem Sozialempfinden eingeschränkt sind, bewegt sich auch ihr Gefühlsleben in dementsprechend engeren Grenzen. So erzeugen musikalische Stimmungen, etwa jene, die für gewöhnlich als romantisch empfunden werden, bei einer autistischen Person nicht dieselbe Reaktion.“

Doch kann dieselbe Musik für einen Autisten genauso ansprechend wirken, denn Harmonie, Melodie und Rhythmus lösen auf vielen unterschiedlichen Ebenen Reaktionen aus, nicht nur auf der Gefühlsebene, die auf den wechselseitigen sozialen Beziehungen aufgebaut ist.

Auch wenn sich Blinde nicht zu einem bestimmten Musikstil stärker hingezogen fühlen, hat Pinto festgestellt, dass sich in der Blindengemeinschaft mehr gläubige Menschen befinden als bei den Sehenden.

„Man könnte meinen, der blinde Musiker fühlt sich im Durchschnitt mehr zu religiöser Musik hingezogen als sein sehender Kollege.“

Die Akademie und Ray Charles

Es gibt Hunderte von Musikschulen, die ihren sehenden Schülern eine hervorragende Ausbildung bieten, aber keine davon kann Blinden ein ähnliches Niveau bieten.

„Die AMB ist speziell auf den Bedarf von blinden Musikern und darstellenden Künstlern ausgerichtet. Diese Menschen können hier ihre eigenen Talente entwickeln und so ihren richtigen Platz finden in der Welt der darstellenden Künste.“

Das Curriculum der Musikakademie beinhaltet Tanztraining, Klavier, Synthesizer, Gitarre, Percussion und Gesang. Tastaturkenntnisse sind wichtig, damit die Schüler Zugang zur Computertechnologie bekommen. Arrangement, Orchestration und das Dirigieren werden sowohl traditionell als auch mit Hilfe von Computerapplikationen durchgeführt. So kann der Schüler alle Fähigkeiten erlernen, die er in der professionellen Musikwelt benötigt.

„Und nicht zuletzt bieten wir Förderstunden an für Schüler, die im Unterricht besonders herausragen.“

Pinto selbst unterrichtet Keyboard, Tanz und Computer. Er ist stolz, dass die AMB bereits in zwei „60-Minuten“-Episoden im bekannten Sender CBS zu erleben war, mit einem seiner Schüler, Rex Lewis Clack.

AMB hat enge Verbindungen zu Ray Charles, dem das Projekt sehr am Herzen gelegen war. Und Pinto hatte das Glück, mit dem phänomenalen Jazzman die letzten beiden Jahre seines Lebens zusammenzuarbeiten.

„Bevor Ray Charles starb, kam er über eineinhalb Jahre lang wöchentlich zu mir. Ich brachte ihm bei, wie er mit dem Computer Musikstücke ausdrucken konnte. Wir benutzten drei verschiedene Software-Tools, eines davon hatte ich speziell für blinde Musiker entwickelt. Ich erzählte ihm von unserer Akademie und er wurde zu einem begeisterten Unterstützer. Er wollte ganze bei uns einsteigen, leider kam sein Tod dazwischen.“

Pinto ist überzeugt, dass Ray Charles sein Erbe auch für das Gedeihen der AMB hinterließ, damit sie blinde Schüler und Musiker überall unterstützen kann.

Es erfordert eine große Hingabe und Wohlwollen, damit Blinde ihre potenziellen Fähigkeiten und ihr musikalisches Talent optimal entfalten können. Und Pinto hat alles dafür gegeben.
„Ich liebe die Arbeit mit blinden Musikern jeden Alters, weil ich ihnen etwas geben kann, und die Arbeit mit ihnen bereitet mir große Freude.“

Mehr über AMB: http://www.ouramb.org.

 

Originalartikel auf Englisch: Devoted to Teaching Music to the Blind

 

Foto: Zur Verfügung gestellt von Gayle Pinto und David Pinto

 



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