Vorsorgeuntersuchungen – Wie viele Screenings braucht es wirklich, wann schaden sie?

Einige Mediziner aus der Geriatrie, Krebsspezialisten und Gesundheitssystemanalytiker warnen mittlerweile vor "Überdiagnose" und einem unverhältnismäßigen Einsatz von Screeningverfahren. Solche Tests, um mögliche tödliche Krankheiten zu entdecken, sind gerade bei älteren Patienten höchst umstritten. Unnötige Behandlungen werden unternommen, die Patienten eher belasten.
Titelbild
Vorsorgeuntersuchung.Foto: iStock
Epoch Times7. Februar 2018

Elena Altemus ist 89 und hat Demenz. Sie vergisst oft die Namen ihrer Kinder und kann sich manchmal nicht erinnern, ob sie in Maryland oder in Italien ist. Elena lebt seit November in einem Pflegeheim und wurde kürzlich auf Brustkrebs untersucht. „Wenn das neue Screeningverfahren keine Strahlenbelastung ist, warum nicht?“, so ihre Tochter Dorothy Altemus. Natürlich möchte ich, dass sie die bestmögliche Lebensqualität und Versorgung bekommt.“

Ärzte warnen mittlerweile vor Screeningverfahren und Überdiagnose

Aber viele Mediziner aus der Abteilung Geriatrie, Krebsspezialisten und Gesundheitssystemanalytiker warnen mittlerweile vor den Screeningverfahren. Solche Tests bei den ältesten Patienten sind höchst umstritten um mögliche tödliche Krankheiten zu entdecken. Zudem ist das Verfahren sehr teuer und eher schädlich, als hilfreich, da keine weiteren Kontrolltests durchgeführt werden. Unnötige Behandlungen werden unternommen, die die Patienten eher belasten. Diese „Überdiagnose“ hat drastisch zugenommen. Eine regelrecht aggressive Aufklärungskampagne wird betrieben, um möglichst finanzielle Anreize für Ärzte zu schaffen. Jeder verdient daran, aber nicht der Patient.

Durch die ständige Suche nach Krebszellen ist die Wahrscheinlichkeit etwas zu finden groß. Oft sind es aber schlummernde Zellen, die vielleicht nie ausgebrochen wären. Sobald man aber mit Punktionen und anderen operativen Eingriffen experimentiert, ist die Gefahr groß, diese Zellen zum Leben zu erwecken. Das schadet dem Patienten und dann wird er regelrecht verletzt.

Menschen mit sehr begrenzter Lebenserwartung profitieren nicht mehr von der Vorsorge

Fast jede fünfte Frau mit schwerer kognitiver Beeinträchtigung, einschließlich ältere Patienten wie Elena Altemus, erhalten laut dem „American Journal of Public Health“ immer noch regelmäßige Mammographien, obwohl sie für Menschen mit einer begrenzter Lebenserwartung nicht empfohlen werden. 55 Prozent der älteren Männer, die in den nächsten zehn Jahren ein hohes Todesrisiko haben, erhalten nach einer Studie von 2014 in „JAMA Internal Medicine“ immer noch PSA-Tests für Prostatakrebs.

Bei Menschen in ihren 70er und 80er Jahren erkennen Krebsvorsorgeuntersuchungen oft langsam wachsende Tumore, die wahrscheinlich keine Probleme in der Lebenszeit von Patienten mehr verursachen würden. Diese Patienten sterben oft an etwas ganz anderem – Demenz oder Herzerkrankungen oder Lungenentzündung – lange bevor ihre Krebserkrankungen jemals zu einer Bedrohung werden würden, sagte Dr. Deborah Korenstein, Leiterin der allgemeinen Inneren Medizin am New Yorker Memorial Sloan Kettering Cancer Center. Insbesondere Prostatakarzinome sind oft harmlos.

„Es dauert in der Regel etwa 10 Jahre, um von einem Krebs-Screening profitieren zu können, zumindest im Hinblick auf einen Sterblichkeitsfaktor“, sagte Korenstein.

Krebsvorsorgeuntersuchungen bei Patienten und Ärzten beliebt – Risiken werden kaum beachtet

Die Begeisterung für Krebsvorsorgeuntersuchungen ist bei Patienten und Ärzten hoch, die den Nutzen tendenziell zu hoch einschätzen, die damit verbundenen Risiken jedoch zu gering einschätzen, so die medizinische Forschung. In einigen Fällen werden Frauen auf Organtumoren untersucht, die sie aber gar nicht haben. In einer Studie an Frauen über 30 Jahren, haben fast zwei Drittel der Frauen, die sich einer Hysterektomie unterzogen haben, mindestens eine Gebärmutterhalskrebs-Untersuchung erhalten, laut einer 2014 Studie in „JAMA Internal Medicine“. Sogar einige Patienten mit Krebs im Endstadium werden weiterhin auf andere maligne Erkrankungen untersucht.

Obwohl Screenings für gesunde, jüngere Erwachsene Leben verlängern und verbessern können, neigen sie dazu, bei Menschen, die alt und gebrechlich sind, mehr Schaden als Nutzen zuzufügen, sagte Korenstein.

Dr. Cary Gross, Professor an der Yale School of Medicine, stimmte zu. „Bei Patienten, die weit über 80 Jahre alt sind, ist es bei anderen chronischen Erkrankungen sehr unwahrscheinlich, dass sie von einem Screening profitieren werden. Zudem ist wahrscheinlicher, dass die Schäden die Vorteile überwiegen“, kommentierte er.

Bei Menschen am Lebensende werden häufig Tumore gefunden, die nicht behandelt werden müssten

Durch das Screening von Patienten am Lebensende erkennen Ärzte häufig Tumore, die nicht gefunden und behandelt werden müssten. Forscher schätzen, dass bis zu zwei Drittel der Prostatakrebsarten zusammen mit einem Drittel der Brusttumore überdiagnostiziert werden.

„Überdiagnose ist eine ernstzunehmende Sache geworden“, sagte Gross. „Es ist ein enormer Schaden, den diese Methode des Screenings verursacht hat. Und wir sind wahrscheinlich erst am Anfand dieser Abwärtsspirale.“

Eine Vielzahl von medizinischen Spezialbereichen, vom „American College of Surgeons“ bis zur „Society of General Internal Medicine“, haben Ärzte dazu angehalten, gegen Screening-Patienten mit begrenzter Lebenszeit vorzugehen. Zum Beispiel empfiehlt die American Cancer Society Prostata- und Brustkrebsscreenings nur bei Patienten, die 10 Jahre oder länger noch zu leben haben.

Steuerzahler übernimmt die Kosten

Vorsorgeuntersuchung. Foto: iStock

Prostatakrebs-Screening bei Männern über 75 kosten in den USA laut Medicare mindestens 145 Millionen Dollar pro Jahr. Nach einer Studie aus dem Jahr 2014 kosten Mammografien in dieser Altersgruppe mehr als 410 Millionen Dollar pro Jahr. Steuerzahler übernehmen normalerweise die Rechnung für diese Tests, weil die meisten Senioren durch Medicare gedeckt werden.

PSA-Tests können zu Prostata-Biopsien führen, bei denen Ärzte Nadeln zur Gewebeprobe verwenden, die bei etwa 6 Prozent der Männer Infektionen verursachen. Selbst die Entfernung von nicht-tödlichem Hautkrebs kann für ältere Patienten Probleme verursachen, sagte Dr. Eleni Linos, Associate Professor an der Medizinischen Fakultät der Universität von Kalifornien-San Francisco. Gebrechliche Patienten können Schwierigkeiten haben, chirurgische Wunden zu behandeln und Verbände zu wechseln. Ihre Wunden heilen auch weniger gut. Mehr als 1 von 4 Patienten mit nicht tödlichem Hautkrebs berichten von Komplikationen nach der Behandlung.

Doch die meisten der am langsamsten wachsenden Hautkrebsarten, die jedes Jahr bei 2,5 Millionen US-Bürgern gefunden werden, werden laut Linos-Studie von 2014, bei Menschen über 65 Jahren diagnostiziert. Mehr als 100.000 dieser nicht tödlichen Hautkrebserkrankungen wurden bei Patienten behandelt, die innerhalb eines Jahres starben.

Alte Frauen erleben durch Mammographien erheblichen Stress

Nicht jede Frau kann mit dem Verfahren einer Mammografie umgehen. „Für ältere Frau, die nicht die kognitive Fähigkeit hat, zu verstehen, was vor sich geht, kann es sehr irritierend und ärgerlich sein, wenn Körperteile freigelegt und gegen eine Maschine gedrückt werden“, sagte Lee.

Bei 70% der älteren Frauen ist nach einer Biopsie ein erheblicher Stress zu verzeichnen, sagte Schönberg. Bei älteren Frauen berichten etwa 70 Prozent zum Zeitpunkt der Biopsie über erheblichen Stress, der ihnen diese Untersuchung verursacht. Praktisch alle älteren Frauen mit Brustkrebs werden operiert, was zusätzliche Schwierigkeiten mit sich bringt. Vielen werden zusätzlich noch Hormontherapien verschrieben, die Knochenschmerzen und Müdigkeit verursachen können und das Schlaganfallrisiko deutlich erhöhen.

Aktive Überwachung statt schnelles Eingreifen bei Prostatakrebs

Bei Prostatakrebs versuchen Ärzte heute den möglichen Schaden einer Überdiagnose zu reduzieren, indem sie Männern eine „aktive Überwachung“ im Frühstadium anstelle einer sofortigen Behandlung anbieten. Eine Studie, die letztes Jahr im „New England Journal of Medicine“ veröffentlicht wurde, ergab, dass Männer mit dieser sanften Methode mindestens 10 Jahre überleben können – unabhängig davon, ob sie sich für eine Behandlung oder Überwachung entscheiden.

Jay Schleifer, 74 aus Florida, wurde letztes Jahr mit einem Risiko-Prostatakrebs diagnostiziert. Seitdem hat sein Arzt ihn mit zusätzlichen Tests überwacht. Er wird nur behandelt, wenn Tests darauf hindeuten, dass sein Krebs aggressiver geworden ist. Dieser weniger aufwändige Ansatz zielt darauf ab, Schleifer von langfristigen Nebenwirkungen zu befreien.

Unter Männern, die eine Prostatakrebs-Operation hatten, verlieren 14 Prozent die Kontrolle über ihre Blase und 14 Prozent entwickeln erektile Dysfunktion, laut einer Studie von 2013 in „JAMA Internal Medicine“.

In einer Studie, die im Juli im „Journal of Clinical Oncology“ veröffentlicht wurde, fand Dr. Richard Hoffman, dass 15 Prozent der Überlebenden von Prostatakrebs ihre Behandlungsentscheidung bedauerten. Diejenigen, die mit Operation und Bestrahlung behandelt wurden, berichteten im Vergleich zu denen, die sich für die Überwachung ihrer Krankheit entschieden hatten, etwa doppelt so häufig, ihre Wahl zu bereuen.

Ärzte bekommen finanzielle Anreize auch Vorsorgeuntersuchungen bei alten Menschen zu machen

„Es ist viel einfacher zu sagen: Gut, mach eine normale Mammographie dieses Jahr, als das viel schwierigere und aufwändigere Gespräch, wenn die Lebenserwartung begrenzt ist“, sagte Gross. Sie versuche diplomatisch zu sein, wenn sie mit Patienten darüber redet, dass sie das Screening lieber lassen sollten. „Es ist schwer, den Leuten zu sagen: Du wirst nicht lange genug leben, um davon zu profitieren“, so ihre Erfahrungen. „Das geht nicht immer gut.“

Die meisten Ärzte verschreiben vielen älteren Leuten aufwändige Untersuchungen, weil sie Angst vor einer Klage haben, wenn sie einen Krebs übersehen, sagte Schönberg. Sie stellt fest, dass einige Gesundheitssysteme Boni an Kliniken vergeben, deren Patienten hohe Screening-Raten haben.

Weniger zu tun, kann als Mangel an Fürsorge oder als Altersdiskriminierung wahrgenommen werden. Es kann für einen Arzt unangenehm sein zu erklären, warum weniger zu tun mehr ist.

Ärzte sollten priorisieren, was sie tun können, um Patienten zu helfen, gesünder zu sein, sagte Dr. Louise Walter, Chef der Geriatrie an der Universität von Kalifornien-San Francisco. Für viele ältere Patienten ist das Screening nicht ihre dringendste Notwendigkeit.

„Anstatt Zeit und Mühe auf Dinge zu verwenden, die verletzend sind und ihnen nie helfen werden, warum nicht Zeit und Energie auf Dinge richten, die ihnen helfen, länger und besser zu leben?“, so Dr. Walter. Zum Beispiel könnte Walter einem Patienten sagen: „Im Moment haben Sie wirklich eine schwere Herzinsuffizienz und wir müssen das unter Kontrolle bringen“, so ihre Meinung.

Andere wichtige Themen für viele ältere Menschen sind die Verhinderung von Stürzen, die Behandlung von Depressionen und auch die Linderung von Stress bei ihren Betreuern, sagte Walter. Patienten sollten ermuntert werden, 15 Minuten Gymnastik pro Tag zu machen, um ihre Gesundheit zu stärken.

„Das sind Dinge, die ihnen wirklich helfen können, sich sehr schnell besser zu fühlen“, sagte Walter. „Screenings hingegen können Jahre dauern, um einen wirklichen Nutzen zu haben, wenn überhaupt.“

(Übersetzt und überarbeitet: Jacqueline Roussety)

Quelle: Is Cancer Screening Doing More Harm Than Good?



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion