Wer immer Andrea Nahles nachfolgt – sein Problem bleibt die SPD selbst

Eine schnelle Entscheidung über die Nachfolge der zurückgetretenen Andrea Nahles an Bundes- und Fraktionsspitze der SPD wird es offenbar nicht geben. Am Montag wurde bekannt, wer die Ämter kommissarisch leiten wird. Aus dem Mittelstand kommen Rufe nach Veränderung – und nach Olaf Scholz. Der aber ist gewarnt. 
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Das waren die SPD-Top-Kandidaten für die Europawahl. Auch hier ist die SPD kläglich gescheitert.Foto: ODD ANDERSEN/AFP/Getty Images
Von 3. Juni 2019

Andrea Nahles ist zurückgetreten, die SPD will dennoch nicht als führungslos dastehen. Dass die Geschäfte weitergehen, ist auch die Kernbotschaft hinter der Mitteilung der Parteiführung vom Montag (3.6.), dass künftig eine Troika die Partei kommissarisch führen soll. Wie die Deutsche Presse-Agentur berichtet, soll sich diese aus den Ministerpräsidentinnen Manuela Schwesig (Mecklenburg-Vorpommern) und Malu Dreyer (Rheinland-Pfalz) sowie dem hessischen Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel zusammensetzen.

Erst in drei Wochen will der Parteivorstand über eine vorzeitige Neuwahl der Parteispitze entscheiden. Ursprünglich stünde diese erst im Dezember im Rahmen eines turnusmäßigen Bundesparteitages auf der Tagesordnung. Dass sich die Partei so lange mit der Neuordnung der Führung Zeit lassen wird, ist unwahrscheinlich.

Allerdings wird es am Dienstag anders als ursprünglich geplant keine Neuwahl des Fraktionsvorsitzes geben. Kommissarisch soll zuerst Vize Rolf Mützenich Nahles in diesem Amt beerben.

Mittelstandsbeauftragter: Basis soll eingebunden werden

Der Mittelstandsbeauftragte des SPD-Parteivorstandes und Gründer des Wirtschaftsforums der Partei, Harald Christ, will die Basis in die Entscheidung über die künftigen personellen Weichenstellungen einbinden, insbesondere bezüglich der Kanzlerkandidatur, erklärte er im „Morning Briefing“ des Medienmanagers und Publizisten Gabor Steingart. Sowohl personell als auch programmatisch sei eine Generalüberholung der Partei vonnöten. Diese dürfe nicht Funktionären überlassen bleiben.

Christ betonte, die anstehenden Entscheidungen sollten auch vorgezogen werden, allerdings sei ein abrupter Ausstieg aus der Großen Koalition nicht wünschenswert, da sich die SPD dazu entschlossen habe, Verantwortung zu tragen. Nahles‘ Rückzug bedauerte der Mittelstandsbeauftragte. Es sei nicht fair, die Verantwortung für katastrophale Wahl- und Umfrageergebnisse an ihrer Person festzumachen. Die Sozialdemokratie sei mit diesem Phänomen schon seit längerer Zeit konfrontiert.

Christ machte deutlich, es solle keiner jener Personen die Führung übernehmen, die mit ihrem Gebaren zum vorzeitigen Rücktritt von Nahles beigetragen hätten. Konkrete Namen nannte er in diesem Zusammenhang nicht. In der Tendenz ließ er jedoch erkennen, entweder einem amtierenden Ministerpräsidenten oder Vizekanzler Olaf Scholz am ehesten zuzutrauen, die SPD bestmöglich in allfällige vorzeitige Wahlkämpfe zu führen. Es könne jedoch auch jemand die Aufgabe übernehmen, der bis dato noch gar nicht genannt wurde.

Inhaltlich würde der SPD-Mittelstandsbeauftragte eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlages begrüßen. Allerdings sei er damit innerhalb seiner Partei nicht mehrheitsfähig. Derzeit sieht der Koalitionsvertrag ein Ende des Solis für 90 Prozent der Steuerpflichtigen vor.

Nahles-Rücktritt ohne Alternative

In seinem „Morning Briefing“ zählt Steingart noch einmal auf, warum ein Rücktritt von Nahles auch nach erst 15 Monaten im Amt angesichts der objektiven Bilanz ihrer Amtszeit kaum noch abzuwenden gewesen wäre:

In Bayern gab’s bei den Landtagswahlen nur noch 9,7 Prozent (minus elf) und einen Absturz auf Platz fünf. In der traditionellen Hochburg Hessen reichte es mit 19,8 Prozent immerhin noch zu Platz drei, auch hier betrug das Minus jedoch fast elf Prozent. Ein Minus von fast 12 Punkten war es am Abend der EU-Wahl. Seit 2017 waren 1,3 Millionen SPD-Wähler nach links zu den Grünen abgewandert, mehr als zwei Millionen wurden Nichtwähler. Bei den Erstwählern landete die Sozialdemokratie gar hinter der Satireformation „DIE PARTEI“.

Nicht einmal bei den Rentnern konnte die Partei noch nennenswert punkten – 24 Prozent waren auch hier ein historisches Tief. Dabei hatte die SPD erst noch kurz vor der Wahl wiederholt betont, ihr Prestigeprojekt der „Respektrente“ auch vor dem Hintergrund rückläufiger Staatseinnahmen nicht infrage stellen zu wollen.

Was Andrea Nahles auch als Person noch zusetzte, waren gesammelte Peinlichkeiten wie die „Bätschi“-Rede 2017 bis zum Vorstoß für einen „Parlamentskreis Pferd“ wenige Tage nach den verheerenden Landtagswahlergebnissen ihrer Partei in Bayern und Hessen. „Sie hatte ihr politisches Eigenkapital aufgezehrt“, resümiert Steingart.

Es sind auch profiliertere Vorsitzende als Nahles gescheitert

Allerdings bleibt offen, ob eine andere Person an der Spitze der Partei wesentlich bessere Ergebnisse erreicht hätte. Der Verschleiß an Parteivorsitzenden und auch Kanzlerkandidaten in der SPD seit dem Rücktritt Gerhard Schröders als Parteichef 2004 war beachtlich – und selbst erfahrene und mit hohen Vorschusslorbeeren ausgestattete Persönlichkeiten wie Franz Müntefering oder Martin Schulz scheiterten.

Dieser Umstand dürfte nun auch Bundesfinanzminister Olaf Scholz zögern lassen, den vielfachen Rufen zu folgen, die derzeit in seine Richtung zu vernehmen sind. Auch er befürchtet offenbar insgeheim, seine Triumphe in Hamburg auf Bundesebene nicht mehr wiederholen zu können. Auch sein Problem wäre die SPD selbst.

Seit 2004, dem großen Jahr der Hartz-Reformen, verlor sie immer mehr Stammwähler – teils an die Linke, teils ins Lager der Nichtwähler, später auch nach rechts an die AfD. In der Großen Koalition wurde die Partei von einer selbst in die linke Mitte gerückten CDU mit Kanzlerbonus ausgebootet. Junge Menschen vermochte die SPD kaum noch anzusprechen. Und zuletzt erschien der brachiale Linkskurs des Juso-Chefs Kevin Kühnert fast schon als Akt der Verzweiflung. Als Pragmatiker mit Macherqualitäten hatte Scholz sich in Hamburg behauptet. Für die Gesamtpartei könnte auch das zu wenig sein. 

Die linksgerichtete „Süddeutsche Zeitung“ schreibt:

„Die SPD ist zur Milieupartei ohne Milieus geworden. In diesem Sinne ist die sozialdemokratische Ära vorbei.” 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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