ET-Exklusiv-Interview mit Dr. Heinrich Fiechtner: Ein Plädoyer für den mündigen Bürger + Video

Im Studio der Epoch Times in Berlin besuchte uns Dr. med. Heinrich Fiechtner. Er ist Arzt und Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg, fraktionslos seit 2017. Sein besonderer Einsatz gilt der Stärkung des mündigen Bürgers und dem freien Meinungsaustausch. Ein exklusiver Blick auf seine parlamentarischen Erfahrungen und Gedanken dazu.
Von 25. Februar 2020

Epoch Times: Herr Dr. Fiechtner, Sie haben nicht nur ein Amt als Landtagsabgeordneter, sondern Sie sind auch praktizierender Arzt. Vielleicht erzählen Sie selbst ein bisschen darüber, wie Ihr Lebens-Ablauf aussieht.

Fiechtner: Ja, seit ich gewählt wurde. Die erste Wahl war im Jahr 2014. Damals war Kommunalwahl für Stuttgart, und ich bin angetreten auf dem Listenplatz Nummer fünf und dachte, ich gebe meinen Namen und mein Ansehen als Onkologe, Palliativmediziner in Stuttgart, damals für die Alternative für Deutschland. Das ging dann noch einigermaßen.

Die Ausschusssitzungen konnte man gut kompensieren durch Verlagerung der Praxis Tätigkeit. Und dann bin ich angetreten zur Landtagswahl 2016  im Wahlkreis Göppingen und wurde zu meiner Freude und Überraschung auch dort gewählt.

Also musste ich eine Misch-Konstruktion finden, und ich glaube, das ist mir jetzt ganz gut gelungen, indem die Woche eingerahmt ist durch Praxistätigkeiten. Und dazwischen findet der Parlamentarismus statt.

Die Vielfalt der Debattenkultur auch „theatralisch“nutzen

ET: Der Parlamentarismus ist ja etwas, was Sie öffentlich jetzt auch debattieren oder eine Debatte anregen wollen.

Fiechtner: Im Landtag wird ja praktisch alles aufgezeichnet. Daneben gibt es  auch die Aktivitäten, die dann speziell filmisch festgehalten werden. Wie jetzt bei dem Projekt vom Fagulon Verlag, der sich befasst mit drei Büchern, die hier auch auf dem Tisch liegen.

Was könnte unser politisches, gesamtgesellschaftliches Leben wohltuend beeinflussen? Welche Wege könnte man beschreiten? Und was unternimmt der politische Gegner, um diese letztlich sinnvollen Aktivitäten zu konterkarieren und zu zerstören? Etwas, was wir im politischen Alltag praktisch täglich erleben.

ET:  Sie sind dann zwei Personen, die in den Büchern die Hauptrollen spielen. Was hat Sie angetrieben, was treibt Sie an? Eigentlich ist es ja ungewöhnlich, dass ein Mensch, der zwei Berufen nachgeht, nun auch noch mit szenischen Darstellungen auftritt auf YouTube und praktisch Buch Texte vorliest, sie sehr schön vorliest. Man kann die Bücher hier finden.  HIER

Fiechtner: Ja, was treibt mich an? Was hat mich überhaupt angetrieben, nach meinem 50. Geburtstag noch in die Politik zu gehen? Ein Feld, das, wie ich jetzt feststellen musste, ein unglaublich schwieriges Feld ist. Ein schwerer Acker, ein steiniger Weg, den man hier beschreiten muss, mit sehr viel Widerständen, mit sehr, sehr viel unguten Begegnungen. Ich habe sehr schnell festgestellt, das Negativste, was im Menschen ist, kommt in der Politik ganz besonders gut und plastisch zum Tragen.

Aber es kann ja auch nicht sein, dass, wenn man teilhaben möchte an dem Zusammenleben in seinem Volk, in seinem Land, dass man wesentliche Faktoren immerfort an andere delegiert.

Die Politik ist nach diesen wenigen Jahren, die ich sie erleben konnte, ein sehr, sehr schwieriges Geschäft mit sehr viel Verstellung, sehr viel Camouflage, viel, unglaublich viel Falschheit, sehr viel Show, wenig rationale Auseinandersetzung. Und weil das so ist, war mir die Begegnung mit dieser neuartigen Darstellung der Sachverhalte sehr willkommen.

„Eine wirkliche Debatte findet nicht statt“

ET: Sie haben Ihren Gastartikel in der Epoch Times vom 16. Februar überschrieben „Politische Debatten in Parlamenten und Talkshows sind meistens folgenlose Schaukämpfe“. Nun wird einem immer gesagt: „Ja, aber in den Ausschüssen, da findet die eigentliche Arbeit statt“. Wie ist das aus Ihrer Erfahrung?

Fiechtner: Schön wäre es. Also die Ausschüsse werden ja hochgehalten als der Ort, in dem tatsächlich eine Sachdebatte stattfindet. Und natürlich, es gibt so eine Art groben Austausch. Aber wenn sie in einem Zeitrahmen von zwei, zweieinhalb Stunden eine Tagesordnung mit 20 bis 30 Tagesordnungspunkten haben, dann ist es sehr leicht vorstellbar: Eine richtige Debatte, ein heftiger Austausch über die vielen, vielen Tagesordnungspunkte kann schlechterdings gar nicht stattfinden.

Und es ist auch so die Stimmung da, „kommt, wir machen weiter“. Gibt’s noch irgendwelche Einwände? Gibt’s Kommentare? Nein, das ist nicht der Fall. Nächster Punkt, nächster Punkt, nächster Punkt.  Eine wirkliche Debatte findet nicht statt.

„Kann man das ein bisschen lockern, verändern, straffen oder entrümpeln?“

Fiechtner: Ein sehr gewichtiges, aber auch extrem schwieriges Thema ist die Verordnungswut. Alle Versuche der Entbürokratisierung haben meiner Wahrnehmung nach zu noch mehr Vorschriften geführt. Wie man denn entbürokratisieren könne? Ich glaube, ein Weg, den Donald Trump zum Beispiel eingeschlagen hat, könnte sinnvoll sein. Zumindest geht es in die Richtung. Mit einer Vorschrift müssen soundso viele andere beseitigt werden.

Ich bin der Überzeugung, dass man Menschen grundsätzlich viele, viele Freiheiten einräumen könnte, ohne regulativ tätig werden zu müssen. Ich bin der Überzeugung, dass Menschen untereinander die Dinge am allerbesten regeln könnten und dass staatliche Interventionen ohnehin nur im Ausnahmefall stattfinden müssten.

Und da habe ich den Eindruck, viele Menschen fürchten die Freiheit. Sie haben lieber ein ganzes Korsett, ein ganzes Inventarium an Vorschriften, die sie zum Teil gar nicht kennen, aber von denen sie wenigstens das Gefühl haben, sie sind eingehegt und einigermaßen sicher. Und die Freiheit wird dann dafür geopfert.

Der Fraktionszwang „eine ungute Sumpfblüte“

ET: Da kommen wir gleich zu dem Fraktionszwang, der ja von vielen als nicht verfassungsgemäß angesehen wird. Was blüht einem, wenn man sich dem nicht beugt?

Fiechtner: Ja, es ist so – der Fraktionszwang ist eine ungute Sumpfblüte des in Parteien und Fraktionen gegossenen Parlamentarismus. Und ist als solcher wahrscheinlich aufgrund der Struktur, wie heute gewählt wird, unvermeidbar, … überhaupt, um in ein Parlament zu kommen, der Weg gar nicht anders geht als über eine Partei oder eine parteipolitische Vereinigung. Das heißt, man muss von vornherein schon in hohem Maße kompromissbereit sein, um zumindest die großen Würfe, die diese Partei jeweils darstellt, mitzutragen. So weit, so gut.

Die Folge beim Abweichen haben wir ja schon mehrfach sehen können. Sie erinnern sich an Frank Schäffler FDP, der in der Euro-Frage eine sehr kritische Haltung eingenommen hat und sogar parteiintern eine Abstimmung erzwungen hat. Er wurde ja in der folgenden Wahl oder in den Aufstellungs-Versammlungen zur folgenden Bundestagswahl abgestraft.

Redeverbot und Ausgrenzung

ET: Redeverbot gibt es dann auch, nicht wahr?

Fiechtner: Redeverbot auch, ja, das ist mir widerfahren. Ich habe in einer Rede zum Thema Gesundheitskarte für Flüchtlinge entgegen einem Beschluss, der ad hoc gefasst wurde innerhalb der AfD-Fraktion damals, trotzdem meine Position aufrechterhalten, weil ich der Überzeugung war und bis heute bin, dass das, was ich vertreten habe, der eigentlichen AfD-Linie entsprochen hat.

Und damals wurde mir ja, nachdem ich dann trotzdem meine Position vertreten hatte, tatsächlich mit massiven Sanktionen begegnet. – ET: Was heißt das? – Ich hatte damals ein Redeverbot bekommen auf unbegrenzte Zeit – ET: im Parlament, – ja, im Parlament.

Qualität, eine neue Struktur und eine neue Geisteshaltung

ET: Insofern spüre ich bei Ihnen auch aus allen Ihren Bemühungen, es ist nicht gegen den Parlamentarismus, was sie unternehmen, sondern im Gegenteil.

Fiechtner: Das ist richtig. Ich denke, ein Parlamentarismus ist per se etwas, was menschheitsgeschichtlich sich entwickelt hat und was gut ist und notwendig ist, um das Zusammenleben von Menschen eines Volkes zu gestalten. Allerdings, die Voraussetzungen, wie wir sie heute haben, sind weit weg von dem, was ich als Optimum erachten würde.

Als optimal empfände ich, wenn Menschen berufen werden würden in die Parlamente, die durch ihr eigenes Leben gezeigt haben, dass sie lebenstüchtig sind.

Weg von Parteikarrieren, die letztlich vor dem Hintergrund von Machterwerb und Gelderwerb und Einfluss und Show stattfinden, zurückzukehren zu einem Experten-Parlamentarismus. So wäre meine Vision eines Parlamentarismus, die aber weit entfernt ist von dem, was wir momentan haben.

ET: Gut, aber ohne Visionen weiß man nicht, wo man hingehen möchte. Und nur gegen irgendetwas zu sein, reicht auch nicht.

Fiechtner: Das ist richtig. Ich würde auch Anleihen nehmen aus alten Kulturen, Griechenland oder Israel, wo dann Menschen, damals waren es in aller Regel Männer, aber die Vorstellung, dass Frauen das auch machen können, ist ja übrigens gar nicht so jung. Wir haben zwar 100 Jahre Frauenwahlrecht, aber wenn Sie den biblischen Text nehmen, das erste Buch Mose, Kapitel 1 und 2, sehen Sie ja schon, Mann und Frau werden hier als gleichberechtigt behandelt.

„Wir befinden uns hier in einer infantilisierenden Gesellschaft“

Fiechtner: Und ich würde hier in Analogie zu diesen alten Kulturen auch die Hürden etwas höher setzen. Wir sind hier in einer infantilisierenden Gesellschaft, wo das Kindliche und Kindische immer mehr in den Vordergrund tritt und geradezu preisend hervorgehoben wird.

Und der Weg muss andersherum sein. Die Kinder oder auch die Jugendlichen brauchen Erwachsene, gestandene Erwachsene als Vorbild. Und das sollte sich in der Vertretung auf der politischen Ebene wiederfinden. Und von daher, ich kann dem Slogan nichts abgewinnen, wenn es heißt: „Vom Kreißsaal über den Hörsaal in den Plenarsaal“.

Die Öffentlich-Rechtlichen abschaffen?

ET:  Friedrich Merz  schlägt vor, dass man auf die ganzen herkömmlichen Öffentlich-Rechtlichen und auch die übrige Mainstream Presse verzichten könnte.

Fiechtner: Ich habe es im Detail nicht gelesen, nur kursorisch. Ich stimme Friedrich Merz zu. An der Stelle. Denn was wir momentan in der Medienlandschaft haben, ist eine mit über acht Milliarden Euro Zwangsgeldern finanzierte staatliche Medien-Struktur mit unterschiedlichsten Sendern, den Hauptsendern ARD und ZDF, aber auch diesen vielen Unter-Sendern bis hin zu der Verbreitung über das Internet.

Allerdings hat sich die Entwicklung so dargestellt, dass wir de facto wiederum einen Mainstream Sender haben.

Pläne gibt es ja zum Beispiel bei Boris Johnson in Großbritannien, die BBC auf ein Minimal-Programm zurückzuschrauben. Was ich als gut erachten würde, wenn dies auch hier geschähe. Und wenn die Anbieter von Film und Fernsehen und Beiträgen sich tatsächlich einem echten Wettbewerb stellen müssten. Da kann ich Friedrich Merz aus vollem Herzen zustimmen.

„Das Leben ist voller Risiken“

ET: Man hatte ja gedacht, dass die Öffentlich-Rechtlichen einen Schutz bieten, nicht wahr, an Neutralität in ihrer Berichterstattung.

Fiechtner: Es gibt keinen Schutz, kann es auch nicht geben. Das Leben ist voller Risiken. Und dann gibt es eben Anbieter. Und wenn das Angebot eben auch Grenzen überschreiten kann und keine Zensurmaßnahmen erfolgen, kann der Bürger sich ja informieren, wo er will.

ET: Ich fasse das mal zusammen als ein Plädoyer für den mündigen Bürger, wäre Ihnen das recht?

Fiechtner: Absolut recht. Ich bin der Überzeugung, der Bürger ist mündig. Man darf ihn nicht entmündigen, indem man versucht, ihm alles und jede Entscheidung abzunehmen.

ET: Ich bedanke mich herzlich, Herr Dr. Fiechtner, für diese Wanderung durch unsere parlamentarische Demokratie, die Sie eigentlich bestätigen, aber reformieren wollen.

Fiechtner: Genau!

Mehr dazu im Video.

Das Gespräch mit Dr. med. Heinrich Fiechtner, Landtagsabgeordneter in Baden-Württemberg (fraktionslos), führte Renate Lilge-Stodieck, Stellvertretende Chefredakteurin der Epoch Times Deutschland, am 19.02.2020.

 



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