Finnland und Schweden machen Mut

Ganz Europa freut sich über die Ankündigung einer deutschen Aufrüstung, Russland erlebt einen Realitätstest. Ein Kommentar.
Andreas Unterberger zum Ukraine-Russland-Krieg
Der Prozess zur Ratifizierung Schwedens und Finnlands als neue NATO-Mitglieder wurde am 5. Juli 2022 offiziell eingeleitet. Hier Pekka Haavisto (Außenminister Finnlands, links), NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg und Ann Linde (schwedische Außenministerin, rechts) nach der Unterzeichnung der Beitrittsprotokolle in Brüssel.Foto: KENZO TRIBOUILLARD/AFP via Getty Images

In den letzten Jahrzehnten hat Moskau seinen Behauptungen, dass es – als größtes Land der Erde – eingekreist werde, meist einen Namen gegeben: den der NATO. Jetzt aber wird ausgerechnet als Folge von Putins Invasion in der Ukraine diese NATO durch den Beitritt Finnlands und Schwedens deutlich stärker denn je. Jetzt hat sie ihre direkte Grenze zu Russland vervielfacht und um nicht weniger als 1.300 Kilometer verlängert. Wenn also wirklich die NATO-Angst das Angriffsmotiv Putins gewesen sein sollte, dann hätte Putin seinem Land die größte Selbstbeschädigung seiner Geschichte zugefügt.

Tatsache ist freilich, dass die NATO mit ihrem zentralen Artikel 5 kein Angriffs- und schon gar kein Einkreisungsbündnis ist, sondern eines, in dem sich inzwischen 30 Staaten aus eindeutig freiem Willen zum gegenseitigen Beistand gegen Angriffe zusammengeschlossen haben. Und die fürchten sie vor allem von dem bis zu den Zähnen mit Atomraketen bewaffneten Russland.

Länder, die sich mit Russland ähnlich verbündet haben, sind hingegen rar. Belarus, Kuba, Venezuela und einige der mittelasiatischen Nachfolgestaaten der Sowjetunion sind das. Jedoch sind das durchweg Diktaturen, wo nicht etwa ein Volk bei Moskau Schutz gegen Bedrohungen gesucht hätte, sondern ein Diktator Schutz gegen das eigene Volk.

Selbst der gegenwärtige Herrscher von Kasachstan, der erst vor wenigen Monaten nur mithilfe russischer Truppen seine Macht absichern konnte, ist in den letzten Tagen deutlich auf Distanz zu Russland gegangen. Er biedert sich Europa an und betont das Recht von Staaten auf ihre eigene Souveränität – aus gutem Grund: Sieht er doch deutliche Parallelen zwischen seinem eigenen Land, wo die russischsprechenden Einwohner mehr als ein Fünftel ausmachen, und einem anderen Nachfolgestaat der Sowjetunion, der Ukraine. Auch dort hat ein bedeutender Teil der Einwohner zumindest bis vor Kurzem Russisch als erste Sprache gesprochen. Von ihnen haben freilich in den letzten Jahren viele ihre Loyalität von Moskau ab- und Kiew zugewandt. Denn sie sehen, dass Moskau wieder ganz in die Diktatur einer Mischung aus Stalin und Zar zurücksinkt, dass sich Kiew hingegen intensiv bemüht, nach dem verheerenden sowjetischen Erbe demokratisch, rechtsstaatlich und westlich zu werden.

Es scheint sicher, dass Putin bei seinen Planungen vor der Ukraine-Invasion nicht mit diesem Schritt Schwedens und Finnlands gerechnet hatte. Dabei ist dieser ein absolut Bedeutender. Er ist noch dazu in einem fast völligen inneren Konsens beider Nationen erfolgt. Mit dem Beitritt der zwei militärisch gewichtigsten Länder ist nun ganz Skandinavien Teil der NATO.

Sie waren bisher neutral. Sie hatten ihre Neutralität in Sachen Verteidigungsbereitschaft auch sehr ernst genommen – sehr zum Unterschied von den verbliebenen Neutralen Europäern, also Österreich, Irland, Malta und Zypern, die zwar alle insgeheim auf die NATO bauen, aber aus innenpolitischen Gründen nicht beitreten und dennoch wenig für die eigene Verteidigungsbereitschaft tun.

Auffallend ist dabei auch, dass Finnland mit seiner langen Landgrenze zu Russland eine ganz ähnliche Geschichte wie Polen hat, das sicher zu den konsequentesten Gegnern Russlands zählt:

  • Beide haben im 20. Jahrhundert russische Truppen militärisch wieder zurückdrängen können.
  • Beide haben aber im Osten ihres Landes wichtige Gebiete an die Sowjetunion verloren.
  • Beide machen sich daher besonders wenig Illusionen über den großen Nachbarn im Osten.

Für die Neumitglieder Schweden und Finnland bedeutet der NATO-Beitritt die Verpflichtung der USA, Großbritanniens und der meisten EU-Staaten, ihnen notfalls beizustehen. Er bedeutet vor allem aber die atomare Garantie der USA für ihre Sicherheit. Wie wichtig beides ist, sehen sie am Los der alleine dastehenden Ukraine.

Sie haben auch erkannt, dass der im EU-Vertrag stehende gegenseitige Beistand aller Unionsmitglieder ziemlich wenig bedeutet. Sonst hätten sie sich ja mit der Rolle eines bloßen EU-Mitglieds begnügen können. Aber erstens sind die Nichtmitglieder USA und Großbritannien militärisch die weitaus relevantesten Akteure auf westlicher Seite. Und zweitens ist die Sicherheitszusammenarbeit der EU seit Jahren mehr eine planerische Überschrift als Inhalt.

Das hat man auch bei den Waffenlieferungen an die Ukraine gesehen. Dabei waren eindeutig die Briten und Amerikaner die Wichtigsten und Effizientesten. Auch Polen und die kleinen Balten-Staaten waren sehr hilfreich für die Ukraine, während Frankreich wie so oft mit inneren Problemen beschäftigt ist, sich militärisch einzig auf seine Atomwaffen verlässt und selbst bei seinen afrikanischen Einsätzen gegen die Islamisten wenig erfolgreich ist.

Deutschland wiederum hat sich vor allem in der Anfangsphase des Krieges ziemlich blamiert, als die Lieferung alter Stahlhelme die erste Aktion gewesen ist. Zwar hat sich da inzwischen etliches geändert, aber vorerst ist es doch nur ein nettes Versprechen an die Zukunft, wenn Bundeskanzler Scholz ankündigt, dass die Bundeswehr zur stärksten konventionellen Armee Westeuropas werde. Zwar klingt das als Antwort auf die Invasion angekündigte deutsche Rüstungsprogramm recht eindrucksvoll, aber solche Ankündigungen sind halt schon allzu oft bloß auf dem Papier geblieben, weil das Geld doch nicht gereicht hat oder weil anderes wahlkampfwichtiger gewesen ist.

Eine erstaunliche Tatsache ist freilich, dass sich zum ersten Mal in der Geschichte – bis auf Russland – ganz Europa über die Ankündigung einer deutschen Aufrüstung freut. Niemand redet von einem deutschen Imperialismus. Und Tatsache dürfte auch sein, dass die konventionelle Stärke der Armeen Moskaus früher weit überlegener gewesen sein dürfte. Seriöse Analysen waren einst zu dem Schluss gekommen, dass die Rote Armee und ihre Verbündeten binnen weniger Wochen am Rhein stehen könnten. Was in ganz Westeuropa (bis auf die Linksradikalen) großes Interesse an der amerikanischen Atomgarantie zur Abschreckung eines solchen Angriffs geweckt hat.

Inzwischen erlebt die russische Armee in der Ukraine aber konventionell, insbesondere infanteristisch einen für Moskau schockierenden, für Europa aber erfreulichen Realitätstest. Gleichzeitig kommen auf westlicher Seite in Nordeuropa zwei gut gerüstete und so wie die Ukraine hoch motivierte Länder dazu. Alleine Finnland hat 900.000 im Training stehende Reservisten. Das sind weit mehr, als die russische Invasionsarmee ausmacht.

All das vermag gerade in gefährlichen Zeiten doch einige Zuversicht zu geben.

Über den Autor:

Andreas Unterberger war 14 Jahre in Österreich Chefredakteur bei der „Presse“ bzw. „Wiener Zeitung. Er schreibt auf das-tagebuch.at sein „nicht ganz unpolitisches Tagebuch, das heute Österreichs meistgelesener Internet-Blog ist.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion