Der Freie Wille lässt sich nicht verneinen

Ist der Mensch ein „hackable animal – ein Tier, das gehackt werden kann“, wie es Prof. Harari und Berater von Klaus Schwab erklärt? Dem Menschen den freien Willen abzusprechen, ist vor allem auch deshalb problematisch, weil es ihn zu einem steuer- und lenkbaren Automaten degradiert.
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Kann man Menschen ihren freien Willen nehmen?Foto: iStock
Von 23. Dezember 2022

Yuval Noah Harari, Professor für Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, ist nicht nur Bestsellerautor. Er ist auch bekannt als Top-Berater von Klaus Schwab, Gründer und Frontmann des World Economic Forum (WEF). Im Jahr 2018 schrieb Harari: „Leider ist der ‚freie Wille‘ keine wissenschaftliche Realität. Er ist ein Mythos, ein Erbe der christlichen Theologie.“

Und in einem Interview sagte Harari 2019: „Der Mensch ist heute ein ‚hackable animal‘ – ein Tier, das gehackt werden kann. … Einen Menschen zu hacken, heißt: ihn besser zu verstehen und zu durchschauen, als er selber das vermag. … Die Folgen liegen auf der Hand: Wer die inneren Regungen der Menschen kennt, kann ihre Handlungen antizipieren. Und ihre Begehren natürlich auch manipulieren. Letztlich werden diese Instanzen [gemeint sind hier Unternehmen und Staaten] also immer mehr Entscheidungen an unserer Stelle treffen, weil sie unsere inneren Abläufe absolut perfekt erfassen.“

Menschen können „gehackt“ werden wie ein Computer

In einem weiteren Interview im gleichen Jahr sagte Harari: „Menschen sind hackable Tiere. Weißt Du, die ganze Idee, dass Menschen Seele und Geist haben, dass sie einen freien Willen haben. Das, was immer ich wähle, ob bei Wahlen oder im Supermarkt, das ist mein freier Wille. Das ist vorbei – mit dem freien Willen.“ („Humans are now hackable animals. You know the whole idea that humans have this soul or spirit and they have free will. So, whatever I choose whether in the election, or whether in the supermarket, this is my free will. That’s over – free will.“)

Die Aussage, dass der Mensch keinen freien Willen habe, dass es „vorbei“ sei mit seinem freien Willen, soll in diesem Text kritisch hinterfragt werden.

Das halte ich für dringend notwendig, denn erstens scheint Harari eine der metaphysischen Grundannahmen, die der Königsberger Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) als unverzichtbar ansieht für das Ideal der Aufklärung, der vernünftigen Autonomie, mal so eben vom Tisch wischen zu wollen.

Zudem ist es mir wichtig, zweitens, herauszuarbeiten, dass das Menschenbild, das Harari stellvertretend für die moderne Sozial- und Wirtschaftswissenschaft angenommen hat und verbreitet, erkenntnistheoretisch fehlerhaft und auch inhuman ist.

Vor allem auch will ich drittens die Gefahr deutlich machen, die von einem solchen Wissenschaftsbild des Menschen ausgeht: Dass es dazu verleitet, den Menschen als eine nach politischen Zielen steuer- und lenkbare Kreatur herabzuwürdigen und damit auch tyrannischen Machtphantasien Vorschub zu leisten.

Die Freiheit verneinen

Ideen wie der „Great Reset“, die „Neue Weltordnung“ oder auch der „Transhumanismus“ entstammen letztlich genau solch einem Bild der menschlichen Natur in den Sozial- und Wirtschaftswissenschaften: die Freiheit des Individuums zu versuchen zu überwinden oder gar im Vorhinein zu verneinen, und gleichzeitig einem allmächtigen Staat den Boden zu bereiten.

Lassen Sie uns einsteigen. Hararis Mutmaßung basiert auf dem „Szientismus“. Dieser Begriff steht für die Grundhaltung, die wissenschaftliche Methode der Naturwissenschaften auf die Sozial- und Wirtschaftswissenschaft, die Wissenschaft des handelnden Menschen zu übertragen.

Der Szientismus wendet mechanische Analogien an, um das Individuum zu studieren. Organische Analogien werden auf fiktive Kollektive, auf Gesellschaften angewandt. Er verneint dabei die Existenz eines individuellen Bewusstseins des Menschen und seinen freien Willen.

Der Begriff wissenschaftliche Methode ist bereits gefallen. Mit ihm bezeichnet man das Vorgehen in einer Wissenschaft, um Erkenntnisse über ein Erkenntnisobjekt zu erlangen.

In den Naturwissenschaften bildet man üblicherweise Hypothesen: „Wenn A, dann B“ oder „Wenn A um x% steigt, dann verändert sich B um y%“. So wird ihre Validität anhand von Daten getestet. Die Daten sind Beobachtungen, gewonnen aus historischen Datenzeitreihen beziehungsweise Laborversuchen.

Die Erkenntnis, an die der Naturwissenschaftler gelangen will, wird also in der Erfahrung gesucht. Und die Erfahrung dient auch zur Beurteilung des Wahrheitsgehaltes der Hypothesen, die der Naturwissenschaftler aufstellt.

Die zentrale, meist jedoch nicht gesondert hervorgehobene Annahme, die dabei gemacht wird, ist die Gültigkeit des Determinismus: Ein Geschehen, eine Beobachtung lässt sich durch einen oder mehrere Faktoren kausal, also ursächlich erklären.

Das ist für sich genommen zunächst einmal unproblematisch. Alle Erfahrung, die wir in der realen Welt, in der Naturwissenschaft machen, unterliegt der handlungslogischen Kategorie der Kausalität, also der Ursache-Wirkungsbeziehung. Sie ist eine „Bedingung der Möglichkeit objektivierter Erfahrung“, wie Kant es ausdrücken würde.

Menschen handeln bewusst, im Gegensatz zu Atomen

Und das Handeln des Menschen ist insofern determiniert, als es Ergebnis seiner „persönlichen Geschichte“ ist – seiner Herkunft, seinen Talenten, seinen Erfahrungen etc. entsprechend.

Der Determinismus wird heutzutage materialistisch interpretiert, und zwar in dem Sinne, dass angenommen wird, beobachtbare Phänomene würden bestimmt durch materielle, „greifbare“ Faktoren physischer Art und/oder durch biologische und chemische Prozesse, während „geistige“ Erklärungsfaktoren als Erklärungsgrößen ausgeschlossen werden.

In der Naturwissenschaft ist die Anwendung des ‚materialistischen Determinismus‘ relativ unproblematisch. Hier beschäftigt man sich mit Atomen, Molekülen, Planeten, also Erkenntnisobjekten, die nicht handeln, die keine Ziele haben, die nicht zwischen Handlungsalternativen wählen, sondern die schlicht und einfach „reagieren“ auf eine Ursache; denn sie haben kein „Bewusstsein“, keinen freien Willen.

Doch im Bereich des menschlichen Handelns ist die Anwendung des materialistischen Determinismus höchst problematisch. Denn hier gibt es, anders als in der Naturwissenschaft, keine (Handlungs-)Konstanten. Es verhält sich hier kategorisch anders als in der Naturwissenschaft. Warum?

Die Antwort ist im Satz „Der Mensch handelt“ zu finden. Das ist ein Satz, der sich nicht widerspruchsfrei verneinen lässt und damit für das menschliche Erkenntnisvermögen „wahr“ ist.

Man kann nicht sagen „Der Mensch handelt nicht“, ohne einen Widerspruch zu verursachen: Wer eine solche Aussage macht, der handelt – und widerspricht dem Gesagten. Wer verneint, dass der Mensch handelt, setzt also die Gültigkeit dieser Aussage bereits voraus.

Der Mensch ist im Handeln nicht völlig frei, aber er hat einen freien Willen

Aus dem Satz „Der Mensch handelt“ lassen sich nun weitere wahre Aussagen ableiten. Zum Beispiel: Menschen haben Ziele; sie wählen Mittel aus, um ihre Ziele zu erreichen; Mittel sind denknotwendig knapp; Handeln erfordert Zeit; und anderes mehr.

Wenn man den Determinismus auf das menschliche Handeln anwendet, dann macht man, (bewusst oder unbewusst), die Annahme, dass das Handeln des Menschen nicht voraussetzungslos ist.

Und das ist – wie bereits gesagt – nicht problematisch: Handeln, Wille und Wollen des Handelnden sind durchaus bedingt, sie sind das Ergebnis seiner individuellen Entwicklung, seines Werdens im Leben, seiner Vorgeschichte. So gesehen ist sein Handeln nicht „völlig frei“.

Das heißt aber noch nicht, dass es keinen „freien Willen“ gäbe! Genau das aber unterstellt der Determinismus in seiner materialistischen Interpretation. Es lässt sich zeigen, dass diese Position nicht haltbar ist.

Will man bestreiten, dass der Handelnde einen freien Willen hat, muss man davon ausgehen, dass es Faktoren (biologischer, physischer, chemischer Art innerhalb oder außerhalb des Körpers des Handelnden) gibt, die das menschliche Handeln gesetzmäßig bestimmen. Wie könnte es denn sonst anders sein?

Was die Zukunft verändert

Doch der Beweis dafür ist bislang nicht erbracht, und er lässt sich auch nicht erbringen. Die Erklärung dafür lautet, dass der Mensch lernfähig ist: dass sich sein Wissen, seine Ideen im Zeitablauf ändern, sich ändern können. Und die Aussage, dass der Mensch lernfähig ist, lässt sich ebenfalls nicht widerspruchsfrei verneinen.

Wer sagt „Der Mensch ist nicht lernfähig“, der will damit seinem Zuhörer etwas vermitteln, was dieser noch nicht weiß, dass er aber ganz offensichtlich fähig ist zu lernen, (sonst würde der Sprecher diese Aussage ja nicht machen). Es handelt sich hier um einen performativen Widerspruch. Und wer sagt „Der Mensch ist fähig zu lernen, nicht lernfähig zu sein“, der begeht einen offenen Widerspruch.

Wenn man aber nicht bestreiten kann, dass der Mensch lernfähig ist, dann kann man auch das künftige menschliche Handeln nicht schon heute wissen. Das Wissen, die Ideen des Handelnden, die sein Handeln bestimmen, können sich schließlich über die Zeit verändern. Der künftige Wissensstand des Handelnden, seine künftigen Ideen, sind heute unbekannt, und daher lässt sich aus heutiger Sicht auch das Handeln des Handelnden in der Zukunft nicht wissen.

Erkenntnistheoretisch lässt sich zeigen, dass die Ideen das „ultimativ Gegebene“ sind, will man die Gründe für das Handeln des Handelnden erklären; die Ideen sind keiner weiteren Erklärung, keiner „Letztbegründung“ mehr zugänglich.

Alles, was sich sagen lässt, ist, dass eine bestimmte Person handelt, weil sie selbst sich eine bestimmte Idee (Vorstellung oder Theorie) ausgewählt, sie sich zu eigen gemacht hat. Wollte man das bestreiten, müsste man den Beweis antreten, dass die Entstehung, die (Aus-)Wahl der Ideen durch interne Faktoren und/oder externe Faktoren abschließend erklärt werden kann. Aber auch das ist – aufgrund der nicht bestreitbaren Lernfähigkeit des Handelnden – nicht möglich.

Der Mensch ist kein willensfreier Automat

Dass die Idee des „unfreien Willens“, wie es der materielle Determinismus impliziert – und wie sie Professor Harari vertritt –, logisch widersprüchlich und damit fehlerhaft ist, illustriert abschließend die folgende Überlegung:

Wir kommen also zu folgender Schlussfolgerung: Weil man erstens nicht widerspruchsfrei verneinen kann, dass der Mensch handelt; und weil man zweitens nicht widerspruchsfrei argumentieren kann, das menschliche Handeln sei durch bestimmte Faktoren (qualitativ/quantitativ) gesetzmäßig erklärbar, lässt sich die Idee eines „freien Willens“ nicht so mir-nichts-dir-nichts verneinen, wie es Professor Harari tut.

Man kann nicht sinnvoll bestreiten, dass der Handelnde innerhalb gewisser Grenzen den Verlauf der Ereignisse selber beeinflussen, ihnen einen anderen Verlauf geben kann im Vergleich zur Situation, in der er nicht diese, sondern jene Handlung vollziehen würde; und dass er in eben diesem Sinne, durch die Wahl seiner Handlungen, sehr wohl einen freien Willen hat.

Der Mensch lässt sich nicht als willensfreier Automat denken, der auf bestimmte Impulse stets in einer ganz bestimmten Art und Weise reagiert. Sein künftiges Handeln lässt sich aus handlungslogischen Gründen nicht prognostizieren und steuern im Sinne von „Wenn A, dann B“.

Dem Menschen den freien Willen abzusprechen, ist vor allem auch deshalb problematisch, weil es ihn zu einem steuer- und lenkbaren Automaten degradiert.

Es lässt als möglich und richtig erscheinen, die Menschen nach politischen Erwägungen zu „bewirtschaften“. Und das öffnet die Tür zur Tyrannei. Man ist gut beraten, an der Idee des freien Willens festzuhalten, vor allem auch wenn das friedvolle und produktive Zusammenleben der Menschen das Ziel sein soll.

 

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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